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So sind wir, so ist das Leben: "Ich habe fünf Kinder, alle in der Pubertät."

Der 1999 geborene Drehbuchautor und Regisseur Nathan Ambrosioni erzählt in So sind wir, so ist das Leben von einer besonderen Familie. Camille Cottin spielt die Sängerin Toni, die ihre fünf Kinder allein großziehen muss – und mit Anfang 40 überlegt, ob es jetzt nicht Zeit sei, mal die eigenen Träume zu erfüllen.

25. März 2024

Das französische Kino schafft es irgendwie immer wieder, von glamourösen Alltagsmenschen zu erzählen. In So sind wir, so ist das Leben sind es die von Camille Cottin gespielte Toni und ihr fünf Kinder – zwei Söhne, drei Töchter. Der Vater ist schon vor Jahren gestorben. Eine laute, aufgekratzte Familie, die in einer aus Berliner Sicht großen, aber für sie noch immer zu kleinen Wohnung lebt. Toni ist Sängerin, wurde als junge Frau von ihrer Mutter in Talentshows geschickt, hatte mit "Pas qu’un peu" ("Nicht nur ein bisschen") einen kleinen Hit. Es ist ein Song über eine starke Frau, die sich nicht zähmen lassen will und ihren eigenen Weg geht. Toni ist sich der Ironie durchaus bewusst, dass ihr Leben als alleinerziehende Mutter für viele wie die Antithese zu dieser kämpferischen Message wirkt.

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"Ich habe fünf Kinder. Alle in der Pubertät. Und zwar alle fünf. Soll ich sie dir vorstellen?"

Wobei man gleich klarstellen sollte: Auch wenn Toni um jeden Cent ringen muss, auf Junggesellinnen-Abschieden und in halbleeren Bars singt, um Geld reinzuholen, permanent gehetzt wirkt und kaum Zeit für sich hat, zeigt sie dieser Film nie aus einer Position des Mitleids oder der Wertung. Im Gegenteil: Von der ersten Szene an sitzt man inmitten einer Familie, die gleichermaßen stresst und fasziniert. Es wird gestritten, genervt mit den Augen gerollt, geschubst, gemobbt – aber trotzdem spürt man die Liebe zwischen diesen Menschen. Toni selbst bringt die Situation einmal am besten auf den Punkt, als sie in einer Bar angeflirtet wird und sie den Typen mit folgenden Worten in die Flucht schlägt: "Ich habe fünf Kinder. Alle in der Pubertät. Und zwar alle fünf. Soll ich sie dir vorstellen?" Jetzt, mit 43 Jahren und den ersten Kindern, die eventuell bald fürs Studium ausziehen werden, will Toni auch mal an sich selbst denken und ihren eigenen Weg gehen. Aber wie sieht der eigentlich aus? Vielleicht noch mal studieren? Und Lehrerin werden?

Toni (Camille Cottin) © CHI-FOU-MI PRODUCTIONS – STUDIOCANAL – FRANCE 2

Toni (Camille Cottin) © CHI-FOU-MI PRODUCTIONS – STUDIOCANAL – FRANCE 2

Die Momente, in denen man erwachsen wird

Camille Cottin spielt diese Toni – die der Regisseur und Drehbuchautor Nathan Ambrosioni übrigens als Hommage an Toni Colette so nannte – mit einer Art gestresster Nonchalance. Der weitere Cast ist zum Glück so stark, dass Cottin ihre Filmfamilie nicht überstrahlt. Mathilde (Léa Lopez), Marcus (Thomas Gioria), Camille (Louise Labeque), Timothée (Oscar Pauleau) und Olivia (Julianne Lepoureau) haben eine ganz besondere Chemie, die Nathan Ambrosioni immer wieder in sehr pointierten, aber zugleich natürlich wirkenden Szenen einfangen kann. Dabei lernt man vor allem die Szenen lieben, die in Tonis Auto, am Küchentisch oder auf dem Sofa vor dem Fernseher spielen.

Camille Cottin meint im Interview für das Presseheft zum Film, dass diese Chemie schon im Drehbuch von Nathan Ambrosioni angelegt war: "Wir haben im Vorfeld eine gemeinsame Lesung des Drehbuchs gemacht, und am Ende habe ich geweint. Das hat mich überrascht, denn ich bin es nicht gewohnt, meine Gefühle so offen zu zeigen. Als ich das Drehbuch zuerst alleine las, hatte ich nicht das Gefühl, dass Nathans Schreibstil einen solchen inneren Aufruhr auslösen könnte. Dieses Skript dann aber mit jungen Menschen zu spielen, löste in mir eine sehr tiefe Emotion aus. Es erinnerte mich an Assoziationen zu einer verlorenen Kindheit, an den Moment, in dem man erwachsen wird. Der Film handelt auch wirklich von diesem Übergang, diesen ständigen Veränderungen, die wir alle im Leben durchmachen."

v.l.n.r. Olivia (Juliane Lepoureau), Camille (Louise Labèque), Toni (Camille Cottin), Timothée (Oscar Pauleau), Mathilde (Léa Lopez) © CHI-FOU-MI PRODUCTIONS – STUDIOCANAL – FRANCE 2

v.l.n.r. Olivia (Juliane Lepoureau), Camille (Louise Labèque), Toni (Camille Cottin), Timothée (Oscar Pauleau), Mathilde (Léa Lopez) © CHI-FOU-MI PRODUCTIONS – STUDIOCANAL – FRANCE 2

Camille Cottin: "Ich liebe es, wie die Teenager:innen in diesem sehr gut gemachten Drehbuch porträtiert werden."

So sind wir, so ist das Leben konzentriert sich dabei voll auf Toni und ihre Kinder. Obwohl das Drehbuch von einem jungen Mann geschrieben wurde, spielt männliches Verlangen hier keine Rolle. Camille Cottin sagt dazu: "Männliches Begehren ist nicht das Thema des Films, und es gibt auch keine Liebesaffäre. Toni hat so was in dieser Zeit ihres Lebens überhaupt nicht im Sinn. Sie ist mit sich selbst beschäftigt und versucht, die täglichen Angelegenheiten ihres Familienlebens zu bewältigen." Gerade dieses Leben und die Menschen, die es prägen, seien für die das Besondere des Films: "Ich liebe es, wie die Teenager:innen in diesem sehr gut gemachten Drehbuch porträtiert werden. Die sehr subtile Art und Weise, in der jeder von ihnen beschrieben wird. Toni ist zwar die Hauptfigur in dieser Geschichte, aber jeder Teenager wird auf sehr unterschiedliche und detaillierte Weise dargestellt. Das Gleiche gilt für die Beziehungen zwischen ihnen. Sie sind sehr zielgerichtet und gekonnt geschrieben."

v.l.n.r. Olivia (Juliane Lepoureau), Camille (Louise Labèque), Mathilde (Léa Lopez), Timothée (Oscar Pauleau), Marcus (Thomas Gioria) © CHI-FOU-MI PRODUCTIONS – STUDIOCANAL – FRANCE 2

v.l.n.r. Olivia (Juliane Lepoureau), Camille (Louise Labèque), Mathilde (Léa Lopez), Timothée (Oscar Pauleau), Marcus (Thomas Gioria) © CHI-FOU-MI PRODUCTIONS – STUDIOCANAL – FRANCE 2

Nathan Ambrosioni: "Ich wollte die unterschiedlichen Charaktere meiner Freund:innen darstellen."

Damit wären wir wieder bei Regisseur und Drehbuchautor Nathan Ambrosioni. Er ist gerade mal Mitte zwanzig, Jahrgang 1999 um genau zu sein, und schrieb die ersten Seiten des Drehbuchs bereits im Alter von 21 Jahren – was wohl erklären dürfte, warum diese Charaktere so natürlich wirken. Ambrosioni hat für die fünf jungen Menschen seinen engsten Freundeskreis als Inspiration genommen, wie er im Interview zum Presseheft erzählt: "Mit ihnen wollte ich die unterschiedlichen Charaktere meiner Freund:innen darstellen. Sie ähneln wirklich den Mittel- und Gymnasial-Schülern, mit denen ich früher zusammen war. Sie haben komplexe Sehnsüchte und unterschiedliche Hoffnungen. Das ist eine zusätzliche Quelle der Angst für Toni, denn sie hat es mit starken Temperamenten zu tun, was nicht einfach ist, wenn man gerade versucht, sich selbst zu finden."

Nathan Ambrosioni war dabei "sehr beeindruckt" von seinen Schauspieler:innen: "Sie haben sich die Persönlichkeiten ihrer jeweiligen Charaktere mit einer beunruhigenden Leichtigkeit angeeignet. Die Adoleszenz ist ein fabelhaftes Terrain für das Kino, ein Reich der Träume und Sehnsüchte. Ich wollte das sehr genau darstellen, und deshalb gibt es keine Improvisation der Jugendlichen im Film, außer in drei sehr kurzen Szenen. Ich habe darauf bestanden, dass die von mir geschriebenen Dialoge respektiert und nicht verändert werden. Die Idee dabei war, dass diese Brüder und Schwestern eine gemeinsame, spezifische Sprache teilen, dass sie Kleidung und Redewendungen austauschen. Das ist es, was meiner Meinung nach diese Familie glaubwürdig gemacht hat: nicht die physische Ähnlichkeit, sondern die Tatsache, dass sie alle dieselbe Sprache sprechen." Was übrigens auch für die Körpersprache gilt: In einer der schönsten Szenen des Films läuft Tonis Hit während einer Autofahrt im Radio und ihre Kinder singen und performen begeistert mit. Wie sie da gemeinsam im Sitzen mitgrooven, sich ansingen und in die Runde grinsen – das sagt viel mehr aus, als man mit einem schnöden Dialog transportieren könnte.

Olivia (Juliane Lepoureau) und Toni (Camille Cottin) © CHI-FOU-MI PRODUCTIONS – STUDIOCANAL – FRANCE 2

Olivia (Juliane Lepoureau) und Toni (Camille Cottin) © CHI-FOU-MI PRODUCTIONS – STUDIOCANAL – FRANCE 2

Dank Szenen wie dieser, einem tollen Cast, einem wahnsinnig guten Drehbuch und vielleicht auch ein wenig dank des warmen Lichts Südfrankreichs ist So sind wir, so ist das Leben (bitte nicht verwechseln mit C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben von Rémi Bezançon aus dem Jahr 2007) ein Film geworden, bei dem selbst der abgewichsteste Kritiker dazu neigen könnte, das Wort "wundervoll" zu benutzen. Steile These, die Sie gerne überprüfen dürfen, denn den Film gibt es ab sofort als VOD und auf den gängigen Formaten fürs Heimkino.

DK

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