Der Unruhestifter im Kleinen
Louis Malles Stil ist unabhängig, extensiv und schwer zu verallgemeinern. Malle ist ein Wanderer zwischen verschiedensten Themen und Stilen. Dies lässt sich unschwer an seinem vielseitigen Filmrepertoire erkennen. Doch so unterschiedlich die Stile auch sein mögen, sie alle haben ein Leitmotiv: die Unberechenbarkeit des Schicksals. Malle gehört zu jener "Neuen Welle" von Filmemachern, die Ende der fünfziger Jahre das französische Kino überrollte und beeinflusste.
Louis Malle wurde 1932 in Thumeries, eine Stadt im Nord-Osten Frankreichs, geboren. Er war das fünfte von sieben Kindern einer reichen Industriellenfamilie, in der er katholisch erzogen wurde. Malle fasste schon bald den Entschluss Regisseur zu werden und verbrachte viel Zeit in Kinos. Trotzdem begann er zunächst ein Studium der Politikwissenschaft. Im Jahr 1952 wechselte er dann auf die Filmhochschule in Paris, die er allerdings 1953 ohne Abschluss verließ. Malle ging als Kameramann und Assistent des Tiefseeforschers Jacques-Yves Cousteau mit auf eine zweijährige Forschungsreise auf dem Schiff Calypso. Dort erlernte Malle die Technik des Filmemachens. Während dieser Zeit entstand der später Dokumentarfilm Die schweigende Welt (1956), der dann sogar einen Oscar und als erster Dokumentarfilm und die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes gewann.
Nach einigen kleinen, nicht vollendeten Projekten, gelang ihm 1958 sein erster eigener Spielfilm Fahrstuhl zum Schafott (1958), der zu einem Vorbild für Dutzende von Fahrstuhl-Krimis werden sollte. Malles Inszenierung eines Krimis als Liebesgeschichte, die betont kühlen Bilder und die Anlehnung an den amerikanischen Film Noir machen den Film zu einem visuellen Meisterwerk, der zum Vorreiter der Nouvelle Vague wurde. Es folgen weitere Filme, wie Die Liebenden (1958), in welchem sich eine Ehefrau und Mutter aus ihrem Provinzalltag in das ausschweifende Leben in Paris stiehlt und sich einer Affäre hingibt, wodurch der Film zum Skandal wurde. 1960 schuf Malle mit Zazie (1960) einen eindrucksvollen und grotesken Film über die Welt der Erwachsenen aus der Sicht eines kleinen Mädchens mit frechem Mundwerk. Zum ersten Mal sind Kinder ein Thema bei Malle – ein Thema, welches später zu einem seiner Wichtigsten werden sollte. 1967 entsteht Der Dieb von Paris und man erkennt immer mehr: Malle will provozieren. Dies jedoch nicht mit spektakulären Coups, sondern im Kleinen. Da ist die ambivalente Jeanne in Die Liebenden (1958), der sympathische Gentleman-Dieb in Der Dieb von Paris (1967) und die freche Göre Zazie – allesamt unberechenbare Charaktere, die feste Vorstellungen in Frage stellen und sogar über den Haufen werfen.
Schon bald folgte jedoch seine erste Schaffenskrise. Nach Der Dieb von Paris (1967) geht er nach Indien, um dort neue Kulturen kennenzulernen. In sieben Jahren zwischen 1966 und 1974 entstehen nur zwei Spielfilme: Herzflimmern (1971), der eine inzestuöse Beziehung thematisiert, und Lacombe Lucien (1973) über einen jungen Kollaborateur im besetzten Frankreich. Hier werden zum Teil, wie in Auf Wiedersehen Kinder (1987), seine eigenen Jugenderfahrungen verarbeitet.
Schließlich kehrte er in die französische Provinz zurück – ganz im Gegensatz zu seinen Kollegen der Nouvelle Vague, deren Leben sich größtenteils in der Großstadt abspielt. Dadurch gilt Malle eher als Außenseiter, weil er selten in Paris war und anders als die übrigen Regisseure nicht von der theoretischen Seite des Films kommt, sondern sich stets als Handwerker verstand. Bis zum Schluss bewegt sich Malle auf immer neuem Terrain und bietet immer wieder Neues – stilistisch wie thematisch. Im Alter von 63 Jahren stirbt er im Jahr 1995 in Los Angeles.
Vanya - 42. Straße (1995)
Verhängnis (1992)
Eine Komödie im Mai (1990)
Auf Wiedersehen, Kinder (1987)
Alamo Bay (1985)
Pechvögel (1984)
Mein Essen mit André (1981)
Atlantic City, USA (1980)
Pretty Baby (1978)
Black Moon (1975)
Lacombe Lucien (1974)
Herzflimmern (1971)
Der Dieb von Paris (1967)
Viva Maria! (1965)
Das Irrlicht (1963)
Privatleben (1962)
Zazie (1960)
Die Liebenden (1958)
Fahrstuhl zum Schafott (1958)