John Cleese wird natürlich auf ewig mit seinen unzählbaren Rollen aus den Produktionen des Monty Python’s Flying Circus verbunden sein, oder mit Basil Fawlty aus dem Hotel Fawlty Towers oder mit Archie Leach aus Ein Fisch namens Wanda. Der Name Brian Stimpson fällt einem, wenn überhaupt, erst ein wenig später ein, wenn man an sein Werk denkt. Was sehr schade ist, denn John Cleese hat mit seinem Spiel eines neurotisch pünktlichen Schuldirektors, der an einem schicksalhaften Tag die Kontrolle über die Zeit und sein Leben verliert, ein sehr unterhaltsames Kapitel der britischen Humor- und Kinogeschichte geschrieben.
Stimpson war nicht immer pünktlich, im Gegenteil. In seiner Jugend war er ein chronischer Verpeiler und Zu-Spät-Kommer. Seine vermeintliche Rehabilitation zu einem Mann mit Kontrolle, der sich und die Schule, die er leitet, perfekt getaktet hat, erzählt er gerne Kolleginnen und Schülern, die mal wieder bummeln oder einen Termin vergessen haben. Seine öffentliche Schule trägt den schönen Namen Thomas Tompion Comprehensive School, benannt nach dem "Father of English Clockmaking", der von 1639 bis 1713 lebte. Brian Stimpson ist außerdem verheiratet, Vater eines pubertierenden Sohnes, dem es eher an Disziplin mangelt, und er hat einen großen Tag vor sich: Wir schreiben den 5. Mai 1985 und Stimpson wird am Nachmittag seine Antrittsrede als neuer Vorsitzender der Headmasters Conference im ca. zweieinhalb Stunden entfernten Norwich halten. Es ist ein historischer Tag für ihn, denn er ist der erste Leiter einer staatlichen Schule, dem diese Ehre zuteilwird.
So viel sei verraten: Stimpson wird schließlich in Norwich (s)eine Rede halten, aber diese und der Weg dahin, verlaufen ungefähr so, wie seine schlimmsten Alpträume aussehen dürften. Dabei muss man wissen: Stimpson ist kein Mann, der von Zombies oder Monstern träumt. Das nackte Grauen ist für Brian Stimpson ein verpasster Zug, ein falsches Abbiegen, Missverständnisse mit der Polizei, eine alte Freundin, die ihn noch als unpünktlichen Tu-nicht-Gut kannte oder eine gerade so erwachsene Schülerin, die eine Affäre mit seinem Kollegen hat und ihm verheimlicht, dass sie weder einen Führerschein noch ihr Auto wirklich „geliehen“ hat, mit dem sie ihn nach Norwich fahren will. Und das ist nur ein kleiner Auszug der Charaktere und Geschehnisse, denn Clockwise malträtiert Stimpson mit der Taktung eines Uhrwerks mit immer neuen Pannen, Missverständnissen und bizarren, bis absurden Situationen. Böse gesagt könnte man festhalten: Mr. Bean hat Jahre später als Konzept seiner Sendung einfach Clockwise in doppelter Geschwindigkeit inszeniert.
Selbst bei der Irrfahrt ins Grüne, darf der Blick auf die Uhr nicht ausfallen. © STUDIOCANAL GmbH
John Cleese selbst hat oft von diesem Film geschwärmt. Es sei das erste und einzige Mal bis dahin gewesen, dass er ein "wundervolles Drehbuch für eine Hauptrolle" geschickt bekommen habe. "Das Drehbuch von Michael Frayn war so komisch, dass ich beim Lesen nur noch quieken konnte", sagte Cleese. Ein wuchtiges Kompliment, wenn man bedenkt, dass auch Cleese für Monty Python zahlreiche Szenen schrieb, die noch immer Kultstatus besitzen. Michael Frayn war zuvor in England hauptsächlich für seine Theaterstücke und seine Romane bekannt. Clockwise war sein erstes Filmdrehbuch. Das Thema habe ihn schon immer interessiert, sagte Frayn damals: "Ich wollte immer schon über einen Mann schreiben, der auf die schlimmste Weise zu spät kommt. Ich habe selbst große Probleme damit, pünktlich zu sein und schaffe das nur, wenn ich unmenschliche psychologische Kraft aufbringe." Frayn gab zu, dass er erst "keinen bestimmten Schauspieler" für die Rolle im Sinn hatte. Als Cleese das Drehbuch las, rief er noch am gleichen Tag bei seinem Agenten an, der die Sache einfädelte. Cleese und Frayn wählten schließlich auch den Regisseur aus und entschieden sich für Chris Morahan, der schon ein Theaterstück von Frayn verfilmt hatte.
Clockwise ist nicht weniger als ein Schaulaufen für Cleeses bisweilen sehr körperlichen Humor. Obwohl John Cleese die zahlreichen gesprochenen Running Gags, die mit großer Freude zu Tode geritten werden, ebenso perfekt an sein Publikum bringt, sind es doch die Szenen, wo man an seiner Körperhaltung und seinen Gesten bereits merkt, dass die Wand, die Stimpson vom Wahn trennt, nur noch hauchdünn ist. Cleese meint: "Stimpson ist ein Opfer der Umstände. Als sich der Druck erhöht, wird sein Handeln immer erratischer. Das Herzstück einer jeden Komödie, sind die Dinge, die schief gehen – und exakt das passiert ihm immer und immer wieder. Am Anfang des Films hat er alles unter Kontrolle, aber als ihn die Handlung überrollt und er nicht mehr hinterherkommt, bricht etwas in ihm."
Damit sind wir wiederum bei der besonderen Zutat des britischen Humors, der ja gerne in dunklen Meeren fischt und selbst Klamauk mit Bösartigkeiten würzt. Man kann in Clockwise laut lachen, man hat große Freude an den bekannten britischen TV-Gesichtern, die hier in einigen Szenen auftauchen, man entwickelt einen gesunden Unglauben, über die absurden Dinge, die diesem Mann widerfahren – und trotzdem macht diesen Film vor allem seine Gnadenlosigkeit so besonders. Und damit Szenen wie diese:
Hier waren sich John Cleese und Michael Frayn übrigens zuerst nicht einig. Cleese hielt das Ende des Films für ein wenig zu gnadenlos. "Ich fand nicht, dass sein Ende das richtige war. Ich habe das Michael Frayn auch gesagt, obwohl ich ihn sehr verehre und einen Heidenrespekt vor ihm habe. Er sagte mir, er glaube eben nicht, dass irgendjemand in diesem Leben irgendwann wirklich etwas lernt. Darauf meinte ich: ‚Du hast recht – aber wir könnten hier doch auf die künstlerische Freiheit pochen.‘“ Eine wahrlich sehr britische Unterhaltung ...
Clockwise war 1985 vor allem in England erfolgreich. Das amerikanische Kino zeigte sich eher verwirrt, immerhin tendierte man dort bei Komödien ja eher zum Happy End. Trotzdem gab es gute Kritiken, wie diese aus der Los Angeles Times, die auch einen perfekten Schluss für diesen Text liefert: "Das Ende von Clockwise ist kalt, aber in der Logik des Filmes schlüssig. Die Wirkung dieser Szene ist so kraftvoll, dass man beinahe die so simple wie wahre Message des Filmes verpasst: Bei Pünktlichkeit ist es wie bei allen Dingen im Leben – man muss das richtige Maß finden."