In Roger Kumbles Adaption des Romans "Gefährliche Liebschaften" über die Dekadenz des Ancien Régimes im 18. Jahrhundert trifft der Geist des Fin de Siècle zeitversetzt auf 1990er-Coming-of-Age-Befindlichkeiten. Und er trifft die Klientel, die mit letzteren im eigenen Leben zu ringen hat, damals mitten ins Herz. Manche kennen den Film bis heute in- und auswendig wie einen Popsong. Am Ende des Jahrtausends schreiben wir außerdem das Ende eines Jahrzehnts, das die Hochphasen von Techno und HipHop sowie noch dazu die Revolte der Riot Grrrls und den Siegeszug des Grunge mit neuen Role Models samt alternativen Lebensentwürfen erleben durfte. Sarah Michelle Gellar, deren Stern durch ihre Rolle als Buffy the Vampire Slayer in Joss Whedons bahnbrechender Serie bald heller leuchten wird als ihre Augen (überhaupt sind Fernsehserien jetzt das neue Ding, sogar die Intellektuellen gucken sie), dazu Reese Witherspoon und Ryan Phillippe heißen die aufstrebenden Stars in dieser Adoleszenz-Sensation aus dem Jahr 1999 – im deren Mittelpunkt Rich Kids stehen, für die das Leben ein Spiel ist, bei dem es nur sie als Gewinner*innen geben kann. Geld macht vielleicht nicht glücklich, aber es polarisiert.
Ähnliches Polarisierungspotenzial mag man aus heutiger Sicht auch dem Soundtrack zusprechen. Aber dank der Songauswahl liegt Eiskalte Engel damals am Puls der Zeit, von der wir mehr erzählt bekommen als uns, die wir sie noch persönlich mitmachen, lieb sein kann. Worüber sich diejenigen, die zu jung oder abgelenkt waren, umso mehr freuen dürften. Von wegen Reproduktion von Oberflächlichkeiten und pubertärer Eskapismus, von wegen nichts für Erwachsene. Eiskalte Engel ist der schillerndste Beweis, dass Margaret Thatcher sich irrt, als sie behauptet, es gebe "no such thing as society", wo sich doch das Spektrum der ganzen Welt in zwei Figuren, nämlich den durchtriebenen Stiefgeschwistern Kathryn und Sebastian manifestiert und in den Melodien widerspiegelt, die das Leben der Hauptfiguren perfekt beschreiben, auch wenn sie einem Milieu entstammen, das mit unserer echten Welt eigentlich kaum Berührungspunkte hat. Ja, das ist so wahr und weil man diese Wahrheit kaum besser einfangen kann als Eiskalte Engel und die einschlägige Musik von Placebo über Skunk Anansie, Aimee Mann und Counting Crows bis zu The Verves "Bittersweet Symphony", schlagen wir als Playlist danach aus Anlass der Wiederaufführung des zeitlosen Zeitgeist-Schockers eine alternative Playlist der Nineties vor. Eine andere Welt ist eben immerzu möglich. Welche die bessere ist, mag jede/r selbst entscheiden. Fest steht aber weiterhin, dass die eine nicht ohne die andere existieren kann. Aus solchen Erkenntnissen werden klassenübergreifend gebrochene Herzen geboren.
PS: Dass dann die Nullerjahre kommen würden, konnte ja niemand ahnen...
WF