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Eine kurze Begegnung mit Kira Muratowa

Die ukrainische Regisseurin gehörte zu den bekanntesten, aber auch umstrittensten Filmschaffenden der Sowjetunion. Anlässlich der Veröffentlichung von zwei ihrer lange unter Verschluss gehaltenen Werke, Kurze Begegnungen und Langer Abschied, hat sich unsere Autorin auf einen Ausflug in ihre Filmwelt begeben.

20. September 2023

Auf den verschlungenen Pfaden der Arthouse-Welt gerät man, abseits der Mainstream-Scheinwerfer, häufig und manchmal sogar gänzlich unbeabsichtigt in eine Welt, die das Ungewöhnliche, das Unkonventionelle und Unerwartete besonders gedeihen lässt. Ohne jegliches Vorwissen über die ukrainische Regisseurin Kira Muratowa habe ich ihre Filme Kurze Begegnungen und Langer Abschied gesehen, und wurde sofort in den Bann gezogen von der ruhigen Vehemenz, die beide Filme in sich tragen, von der Surrealität, die einem doch so vertraut und echt erscheint. Beide Filme erzählen die Geschichten von Frauen, die mit etwas kämpfen – mit etwas, das sie in sich selbst tragen, aber auch etwas Übergreifendem, von dem sie Teil sind, das sie aber kaum kontrollieren können. Mit ihren (nicht unbedingt auffälligen) politischen und, sofern man das sagen kann, unaufgeregt feministischen Filmen, nimmt Muratowa im ARTHAUS-Filmschaffen einen ganz besonderen Platz ein.

Muratowa wurde 1934 in Soroca, im heutigen Moldawien, in eine Zeit geboren, die stark von politischer Instabilität und Umwälzung geprägt war. Es herrschte eine repressive Atmosphäre, in der politische Opposition und Meinungsfreiheit unterdrückt wurden. Vor allem Kunst und Film waren von Zensur betroffen. Die Regierung überwachte und regulierte die Inhalte filmischer Werke, um sicherzustellen, dass sie den ideologischen Linien des Staates entsprachen.

Kira Muratowa in ihrer einzigen Filmrolle als Valentina in Kurze Begegnungen. © 1967 – Studio Cinématographique d’Odessa. All rights reserved.

Kira Muratowa in ihrer einzigen Filmrolle als Valentina in Kurze Begegnungen. © 1967 – Studio Cinématographique d’Odessa. All rights reserved.

Auch Muratowas Filme fielen der staatlichen Regulierung teilweise zum Opfer. Ihr Film Kurze Begegnungen (1968) erzählt die Geschichte von Valentina, einer selbstbewussten, eigenwilligen Frau. Durch Zeitsprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird eine introspektive Atmosphäre geschaffen, ein Blick in Valentinas Kopf ermöglicht. Valentinas Mann wird vom Moskauer Liedermacher Wladimir Wyssozki gespielt, der mit seiner Musik und seiner schelmischen Art einen kaum übersehbaren Trotz in den Film bringt. Dass Wyssozki bei den obersten Sowjets eher unbeliebt war, die in ihm einen Unruhestifter sahen, war womöglich nicht der einzige Grund, warum der Film der Zensur erlag. Bedrückend, nachdenklich und nahezu monoton in der Bildgestaltung, zeichnet der Film ein ganz bestimmtes Bild der damaligen Sowjetunion – was der Zensurbehörde nicht entgangen sein dürfte, die dafür sorgte, dass er jahrelang unter Verschluss gehalten wurde.

Reflektionen einer komplexen Mutter-Sohn-Beziehung in Langer Abschied. © 1971 Studio Cinématographique d’Odessa. All rights reserved.

Reflektionen einer komplexen Mutter-Sohn-Beziehung in Langer Abschied. © 1971 Studio Cinématographique d’Odessa. All rights reserved.

Langer Abschied (1971), nach Kurze Begegnungen der zweite Film, bei dem Muratowa alleinig Regie führte, hatte erst 1987, zehn Jahre später als Kurze Begegnungen, seine Premiere in der Sowjetunion. Das Werk stieß den Zensoren so auf, dass Muratowa jahrelang keine weiteren Filme drehen durfte. Umso erstaunlicher, dass sie ihren Weg als Filmemacherin (in einer noch dazu absolut männerdominierten Branche) dennoch konsequent beschritten hat. Der Film über die Abnabelung einer Mutter von ihrem Sohn soll aber bereits vorher häufig als filmisches Meisterwerk am Gerassimov-Institut für Kinematographie gezeigt worden sein. Es ist ein ähnlich sphärischer Film, dessen alltägliche Szenerien durch kleine Details einen Einblick in die Gefühlswelt einer Frau schaffen, die den Moment, in dem ihr Sohn sie verlassen und die Einsamkeit über sie hereinbrechen wird, herauszögern will. Muratowa gelingt es in ihrer Bildsprache durch den sparsamen Einsatz filmischer Mittel die dargestellten Situationen mit so viel Bedeutung aufzuladen, dass die gesamte Komplexität der mütterlichen Gefühlswelt deutlich wird.

Gibt man sich der Langsamkeit, Ruhe und Schlichtheit der Inszenierungen hin, wird eine Vielschichtigkeit erkennbar, die das Leben in der Sowjetunion auf feinsinnige Art aufgreift und Platz für eine surreale, tiefgreifende Intimität entstehen lässt - ein Stil, der typisch für Muratowas Schaffen ist. Zweifellos beschritt sie mit ihrem filmischen Werk damals gänzlich neue Pfade. Mit ihrem unkonventionellen Erzählstil und ihrer kompromisslosen Herangehensweise an das Filmemachen wusste sie eine bemerkenswerte emotionale Resonanz zu erzeugen, die lange nachwirkt.

LH

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