Das Seriencamp der Münchener Hochschule für Fernsehen und Film war und ist das erste deutsche Festival, das sich ausschließlich mit Serienformaten befasst. 2015 gegründet, traf man schon im ersten Jahr einen Nerv und eine Entwicklung, die man ja bereits seit Die Sopranos, Six Feet Under und ach was, eigentlich schon seit Fassbinders Acht Stunden sind kein Tag hätte erahnen können.
Da es in diesem Jahr aus bekannten Gründen nicht möglich ist, die handverlesenen Serienfolgen auf großen Leinwänden der Öffentlichkeit zu präsentieren, hat man sich für die erste digitale Ausgabe etwas sehr Schönes ausgedacht: Im digitalen Watchroom kann man sich über den gesamten Festivalzeitraum die jeweils ersten Episoden von 80 nationalen und internationalen Serien in voller Länge anschauen. Viele von ihnen werden dann auch noch von den Festivalmacher*innen anmoderiert. Alles, was es braucht, ist eine Registrierung mit einer gültigen Mailadresse.
>>> Hier geht’s zum Watchroom
Eine gute Gelegenheit also, hier in den nächsten Wochen zu stöbern und ein paar neue Lieblingsserien außerhalb des eigenen Streaming-Kanal-Abos zu finden. Wir empfehlen fürs erste diese hier:
Kinder, wie die Zeit vergeht! In Russell T. Davies’ Serie Years & Years tut sie dies geradezu rasend, allerdings läuft sie nicht spurlos an den Menschen vorbei. Sie durchzuckt sie eher wie ein Blitz. Das ist schmerzhaft für die Held*innen und Anti-Held*innen der Geschichte und hinterlässt bei ihnen fiese Wunden, das Publikum jedoch bleibt dauerhaft elektrisiert.
2019 ging die Ko-Produktion von BBC One und HBO auf Sendung und umfasst sechs Folgen á 60 Minuten, worin sie einen erzählten Zeitraum von 15 Jahren abdeckt. Gibt es ein Genre für diese Art Unterhaltung? Science-Fiction. Dystopie. Drama. You name it.
Dass eine der besten Serien zum Thema Rassismus und Black Lives Matter ausgerechnet den ollen Fascho, pardon Horror-Literat H.P. Lovecraft thematisiert, hätte man ja irgendwie auch nicht gedacht. "Schuld" daran sind Autor Matt Ruff, der mit seinem Roman gleichen Namens die Vorlage lieferte und Get Out-Regisseur Jordan Peele, der gemeinsam mit J.J. Abrams diese wundervoll knallige Serie um die Erlebnisse des Ex-Soldaten und Horrorfans Atticus machte. Es geht um den Alltagshorror des amerikanischen Rassismus, um okkulte Geschichten, furchteinflößende Wesen, die älter als die Welt sind, die Freuden des Pulp-Horrors und natürlich um das erstaunliche Werk des Rassisten, Misanthropen und leider auch ziemlich guten Autoren H.P. Lovecraft. Der würde sich bei dieser Serie vermutlich im Grab rumdrehen – gut so!
Viele Streamingdienste haben inzwischen gemerkt, dass auch in Deutschland Serien, die eigentlich auf andere Teile der Welt zielen, hier ein sehr großes Publikum erreichen können. Koreanische Soaps, japanische Noir-Geschichten – oder eben die bunten Story- und Farbexplosionen made in Bollywood gibt es inzwischen bei fast allen Anbietern. Beim Seriencamp findet sich für den Blick nach Indien die tolle Serie Bandish Bandits – eine charmante Love Story mit vielen Irrungen und Wirrungen, die erzählt, wie ein Student der Klasssichen Musik und eine junge Popsängerin trotz aller Gegensätze zueinanderfinden. Eine gute Einstiegsdroge in eine Welt des Erzählens, in der die Farben etwas greller und die Emotionen etwas größer geraten sind.
Diese Münchener Serie könnte man erzählerisch in die direkte Nachbarschaft des sensationellen HBO-Coming-of-Age-Dramas Euphoria stellen (die es auch im Watchroom gibt): Es geht um das Erwachsenwerden, um die Tücken und Freuden der ersten sexuellen Erfahrungen und um soziale Spannungen des Plattenbau-Viertels Hasenbergl. Was deutsche Produktionen selten schaffen, scheint hier zu klappen: eine erstaunlich tabufreie Erzählweise, eine Sprache, die nah an den Kids ist, ein guter Soundtrack und junge Laien-Darsteller*innen, die größtenteils tatsächlich in Hasenbergl aufwachsen. Der smarte Rapper Fatoni und die angriffslustige Rapperin Eunique sind ebenso Teil des Casts wie TikTok-Star Melina Celine.
Und noch ein Blick auf das andere Ende der Welt: The Bad Kids ist ein starker, atmosphärischer Krimi, der in China spielt. Am Anfang steht der Mord eines jungen Mannes, der seine Schwiegereltern bei einem vermeintlichen Ausflug von einem Berg stößt. Er wähnt sich unbeobachtet – hatte aber nicht die drei jungen Ausreißer auf der Rechnung, die zufällig zu Zeugen werden und den Mörder fortan erpressen. Die Serie wurde in China zum Hit – gerade weil sie erstaunlich direkt die sozialen Missstände der chinesischen Gesellschaft thematisiert und ein sehr hohes, internationales Produktionsniveau hat.