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Kennen Sie den schon? Sinola mit Clint Eastwood

Wenn Sie denken, dass Sie schon alles gesehen haben: Unsere Reihe mit verhinderten Kinoklassikern und vergessenen Filmschätzen. Diesmal: Ein großartiger Western, der in Dirty Harrys Schatten steht.

Filmgeschichten/Kennen Sie den schon …?

19. September 2019

Es gibt einschneidende Jahre in der Karriere von Clint Eastwood, zu denen 1972 jedoch seltener gezählt wird. Dann schon eher 1964, das den Beginn seiner bahnbrechenden Italo-Western-Ehe mit Sergio Leone markiert. Nicht zu vergessen Eastwoods spätere Triumphe als Regisseur, etwa mit Erbarmungslos 1992, der ihm ebenso wie gute zehn Jahre später Million Dollar Baby einen Oscar für seine Tätigkeit hinter den Kulissen einbrachte. Neben diesen herausragenden Erfolgen könnte man noch mehrere Dutzend weitere Titel nennen, die einem in den Sinn kommen, wenn der Name Eastwood fällt. Sinola aus dem Jahr 1972 dürfte aber wohl nur eingefleischten Aficionados einfallen. Dabei handelt es sich beim Helden Joe Kidd um eine der interessanteren Rollen Eastwoods aus dieser Ära, vor allem im Vergleich mit seinem schmutzigen 1971er-Alter-Ego. Aber dazu später mehr.
Erbarmunglos gilt heute als nachträgliche Abrechnung mit einem musterhaften Hollywood-Charakter, den Clint Eastwood damals wie kaum ein Zweiter verkörperte. Eine geniale Masche, seit er sich für Leone zum ersten Mal den Poncho überwarf – als einsamer Wolf mit Schießeisen. Aber schon in John Sturges’ Spätwerk Sinola, zwanzig Jahre vor Erbarmunsglos entstanden, spielt Eastwood einen Typen, der trotz lässigem Einzelgängertums nicht mit Scheuklappen durch die Landschaft reitet. Unter der Regie des Die glorreichen Sieben-Machers Sturges, nach dem Skript des Jackie Brown-Autors Elmore Leonard und mit einem Score des Mission Impossible-Komponisten Lalo Schifrin sowie den Stars John Saxon und Robert Duvall neben, hinter und vor Eastwoods Flinte – derart phantastisch besetzt erzählt Sinola die Geschichte des Kampfes mexikanischer Kleinbauern gegen amerikanische Großgrundbesitzer. Viva Zapata! mit aufreizend gezackten Sporen an schmutzigen Stiefeln und Salamanderblicken unter zerbeulten Hüten.

Aufgesetzter Akzent und subtile Untertöne

Nun, für den Geschmack mancher Cineast*innen mögen ein paar Szenen von vornherein etwas zu viel Staub angesetzt haben. Hollywood-üblich kommen die Mädchen zu leicht weg und die Mexikaner weder im Cast noch im Kampf um ihre Rechte ohne starke weiße Männer aus – so gibt Saxon den Anführer der Aufständischen. Mit gespieltem Akzent, versteht sich. Doch immer wieder schenkt uns der Film kleine "Fehlerchen" in der Wildwest-Matrix, die das Geballer und Geprahle mehr als unterhaltsam gestalten – nicht nur für Genre-Romantiker*innen.

In einem Team mit Joe Kidd (Clint Eastwood). John Saxon als Luis Chama und Stella Garcia als Helen Sanchez

In einem Team mit Joe Kidd (Clint Eastwood). John Saxon als Luis Chama und Stella Garcia als Helen Sanchez

Der Schreibkunst Leonards und dem inszenatorischen Witz Sturges` haben wir zum Beispiel einige flotte Schusswechsel zwischen knochentrockenen One-Linern zu verdanken. Spätestens als Joe Kidd nach der Flucht aus dem Gefängnis des gottverlassenen Örtchens Sinola den ungeliebten ehemaligen Zellengenossen in Notwehr umlegt, dem er zur Vorwarnung noch in Terrence-Hill-Manier die Bratpfanne übergezogen hatte, während er sich hinter der Theke des Saloons ebenso Terrence-Hill-mäßig ein Bier gönnt, ist man begeistert bei der Sache. Dafür wird man im Verlauf der – überschaubaren – Handlung mit der cleversten Eroberung eines Wachturms einer Westernstadt belohnt. Ever. Und das ist keine Lappalie. Joe Kidd steht nämlich sowohl für einen gelassenen als auch einen für einen besonnenen Umgang mit den für damalige Verhältnisse teils hochmodernen Waffen. In den Händen der tumben Gegenspieler entpuppen diese sich wiederum als gefährliche Spielzeuge einer näher kommenden Zukunft. Das 20. Jahrhundert steht vor der Tür, und es hat den kalten Wind des industriellen Aufbruchs im Rücken. Es sind letztlich die zeitlosen Waffen der Frau, in diesem Fall die Reize der Aktivistin Helen Sanchez (Stella Garcia), die dem Außenseiter Joe Kidd die Augen auch für grassierende Ungerechtigkeiten öffnen. Das stärkere Bild aus Sinola ist jedoch letztlich die gekaperte Eisenbahn – Symbol des Fortschritts und der damit einhergehenden Ausbeutung der mexikanischen Bauern – die den Rebellen als Rammbock dient.

Viva Zapata! mit aufreizend gezackten Sporen an schmutzigen Stiefeln und Salamanderblicken unter zerbeulten Hüten.

Dieser von den Aufnahmen her amüsante und inhaltlich subtile Showdown-Twist ist wie der komplette Film heutzutage ziemlich unterbewertet. Es könnte an der gesteigerten Aufmerksamkeit liegen, die Clint Eastwood ein Jahr vor dem Start von Sinola in der Rolle des nach eigenen Gesetzen handelnden Inspektors Harry Callahan aus Don Siegels Blockbuster Dirty Harry auf sich zog. Schon 1973 folgte die Fortsetzung der Story um jenen skrupellosen Ermittler, der wie Joe Kidd, aber auf andere Weise für fehlendem Respekt vor Autoritäten und für Selbstjustiz steht. Verschiedene (Film-) Welten, die in der komplexen Persönlichkeit Eastwoods ihren kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden haben. Ein wenig schade, dass Joe Kidd es nicht wirklich aus dem Schatten von Harry heraus geschafft hat.

WF

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