Es ist nicht nur eine moralische Frage, ob man Soldaten nach Kurt Tucholsky als Mörder – oder in abgeschwächter Form seines Ausspruchs aus dem Jahr 1931 als potenzielle Mörder – bezeichnen darf. In Deutschland ist in den 1980er Jahren auch eine juristische Auseinandersetzung darüber entbrannt, die wiederum 1995 vom Verfassungsgericht entschieden wurde. Seitdem gilt die Gleichsetzung von Soldat und Mörder weiter als strafbare Beleidigung, wenn damit eindeutig ein einzelner Soldat oder speziell etwa die Bundeswehr herabgesetzt werde.
Sind Soldaten Mörder?
Der lautlose Krieg kann einerseits als ein stiller Antikriegsfilm betrachtet werden – wenn auch nicht ganz so still wie der Titel es suggeriert. Andererseits setzt er sich explizit mit den Fragen auseinander, wann es im Krieg gerechtfertigt ist, einen anderen Menschen umzubringen, und ob es einen Unterschied macht, wenn es sich nicht um das Blutvergießen auf einem militärischen Schlachtfeld handelt, sondern um eine Tat, die sich quasi hinter den Kulissen des blutigen Kriegstreibens abspielt, konkret im Milieu der Geheimdienste. Und falls es das Gleiche wäre: Was bedeutet ein einzelner Mord an einem Spitzel im Kontext von Millionen Toten. Sind dann etwa doch alle Soldaten Mörder? Wer kann sich angesichts von real existierenden Feinden, die nicht nur nach dem eigenen Leben, nein, auch nach dem der Nächsten und vielen weiteren, einem persönlich zum Großteil unbekannten unschuldigen Zivilisten trachten, ein reines Gewissen leisten, das von pazifistischen Moralvorstellungen geleitet wird?
Der Krieg hat seine eigenen Gesetze © 1959 STUDIOCANAL FILMS Ltd. All rights reserved.
Hierauf gibt der Der lautlose Krieg keinesfalls umfassende Antworten. Das kann man von einem Kunstwerk auch schlecht erwarten. Die Geschichte, die der britische Film von Anthony Asquith aus dem Jahr 1958 erzählt (also noch unter dem recht frischen Eindruck der Gemetzel des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Verbrechen gegen die Menschlichkeit), stellt aber die Perspektive des Publikums mit der Verunsicherung des Protagonisten auf die Probe.
Die Moral von der Historie?
1944. der US-amerikanische Offizier Gene Summers wurde ins von den Deutschen besetzte Paris geschleust. Er soll einen Doppelagenten aus dem Weg räumen. Der vermeintliche Verräter zeigt sich Summers gegenüber allerdings von seiner menschlichen Seite, letztlich ist nicht einmal klar, ob er wirklich der Maulwurf ist. Summers' Vorgesetzte haben jedoch keine Zweifel und verlangen die Liquidierung, um die eigenen Leute zu schützen. Paul Massie spielt Summers als zunächst unbekümmerten Kriegsabenteurer, dem die Ausmaße seines Top-Secret-Auftrags erst allmählich klarwerden. Und am Ende fragt man sich vielleicht über die Handlung des eindringlichen Films hinaus nach der Moral von der Geschicht‘ – im Sinne der Historie: Warum etwa sehen Tucholsky und so viele andere es nicht so: Alle Soldat*innen sind Opfer? Es liegt ja auf der Hand, dass, wer einen Krieg überlebt in der Regel traumatisiert bleibt, und dass, wem der Krieg eine Glorifizierung wert ist die Umstände schon übel mitgespielt haben müssen. Bereits Brecht wusste die Schlechtigkeit so manchen Individuums mit den Verhältnissen zu erklären, die uns prägen. Um den Kreis kurzzuschließen: Sollte nicht sowieso der Umgang mit dem Leben eines Einzelnen den Zustand der ganzen Gesellschaft definieren?
Der Originaltitel von Der lautlose Krieg spricht jedenfalls eine klare Sprache, zeugt von der Macht der Befehlenden und der seelischen Not des Befohlenen: Order To kill. Und das vier Jahre, bevor die Filmserie mit dem heute wohl berühmtesten Agenten in den Kinos ihren Anfang nahm, jenes Spions im Dienste seiner Majestät, der über die Lizenz zum Töten verfügt. Was würde Gene Summers wohl von 007 halten? Was hätte er James Bond bei einem Martini zu erzählen?
WF