Zwei Filme, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Zunächst Aprile. Eine dokumentarische Farce mit einem selbstreferenziellen Nanni Moretti im Mittelpunkt. Oder einfach: eine überzeichnete Alltagsstudie. Der Regisseur, Schauspieler und Autor war schon vor dieser persönlichen und gesellschaftlichen Bestandsaufnahme zum Ende des Milleniums für seine autobiografisch gefärbten Arbeiten bekannt. Aprile steht denn auch in direkter Tradition zum fünf Jahre zuvor verwirklichten Filmdiarium Liebes Tagebuch…. Aber es gibt mehr Dinge, die Moretti umtreiben als die eigenen Sorgen und Nöte: Drei Jahre nach Aprile, 2001, folgte der Spielfilm Das Zimmer meines Sohnes, der in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde. Hier griff Moretti offensichtlich auf jenes streng abgezirkelte Drehbuch zurück, das er in Aprile bereits angekündigt hatte. Während er sich da noch scheinbar hatte treiben lassen, ganz ohne Skript, und keine Entscheidung zu treffen vermochte, ob er eine Doku über Berlusconis Wahlsieg 1994, die Schwangerschaft seiner Frau und die Geburt des Sohnes oder ein Musical über einen Konditor drehen sollte, so entwickelt sich die Geschichte von Das Zimmer meines Sohnes mit geradezu eiskalter Zwangsläufigkeit. Moretti spielt darin einen Psychoanalytiker, dessen Sohn bei einem Tauchgang ums Leben kommt. Allerdings steht dieses Unglück irgendwie "verrutscht" inmitten der Handlung, so als wolle Moretti dem Tod nicht die Hauptrolle zugestehen.
Nanni Moretti gilt nicht von ungefähr als linker Filmemacher. Er hat sich dokumentarisch ausgiebig mit dem Aufbruch der italienischen Kommunisten nach dem Kalten Krieg beschäftigt – und in der Öffentlichkeit des Öfteren die mediale Macht Berlusconis angeprangert. Und er ist ein Künstler, der sich keine Illusionen macht. So bezeugt Aprile trotz der Niederlage der Rechten bei den Wahlen 1998 nicht mal einen Pyrrhussieg. Moretti verknüpft in den knapp 80 Minuten, die zwischen Berlusconis Triumph und dem Comeback der Linken liegen, die eigenen Dilemmata zu einem weiterhin unvollständigen Ganzen. Immerhin wird der Wille offenbar, das Private mit dem Politischen, das Dokumentarische mit dem Fiktionalen zu verbinden. Und nicht zuletzt auch das Scheitern an dieser Aufgabe. Die lächerlichen Aspekte angesichts der Ernsthaftigkeit. Dennoch bleiben alle möglichen Details hängen – die Aufmärsche der Separatisten aus Anlass der "Unabhängigkeit Padaniens" im Norden Italiens, die Geflüchteten aus Albanien, die traurigen Augen des Konditor-Darstellers als er erfährt, dass das Musical auf Eis gelegt wird, die wunderbare "Tanzszene" von Moretti mit Säugling im Arm – sie bleiben hängen wie Zutaten eines Eintopfs zwischen den Zähnen stecken bleiben. Man denkt daran, wie mit einem Zahnstocher im Mund nach dem Essen.
Das Zimmer meines Sohnes hat eine andere Wirkung. Dieses Drama kommt einem vor wie der Film gewordene Sack Federn. Der ist bekanntlich auch nicht leichter als ein Sack Blei. Und dennoch hat diese tragische Geschichte über bürgerlichste Verhältnisse eine Beiläufigkeit, die einen die Zeit vergessen lässt. Das scheint überhaupt der Balanceakt Morettis zu sein. Dieses Spiel mit der Zeit. Mal dreht er mit seinen Geschichten an der Uhr, damit wir uns für die Länge eines Films von ihrem Regiment erholen können, mal bildet er Epochales ab, um uns daran zu erinnern, wie die Umstände genau waren und sind. Hauptsache sich selbst oder dem Publikum keine Gelegenheit geben, die Seele einfach mal baumeln zu lassen. So führt er in seinem Werk zusammen, was nicht zu trennen ist. Die Sehnsucht nach guter Unterhaltung und den Wunsch nach einer besseren Welt.
WF