David Peace ist einer jener Autoren, die man entweder liebt oder hasst. Dazwischen gibt es nix. Seine Sätze sind kurze, spitze Klingen. Seine Charaktere abgründige Gestalten. Seine Geschichten durchzogen von toxischer Männlichkeit, Rassismus, Obsession, Misogynie, Korruption, Gewalt. "UK Noir" könnte man das wohl nennen. Peace wurde und wird gerne mit James Ellroy verglichen, was durchaus passt, da sich nicht nur die gnadenlosen Schreibstile ähneln, sondern auch der pessimistische Blick auf die Gesellschaft und der Ansatz, reale Geschehnisse und Charaktere literarisch zu attackieren. Peace selbst macht keinen Hehl daraus, dass er James Ellroy als großes Vorbild sieht, nennt aber stets auch Alan Sillitoe als ähnlich wichtigen Einfluss – dessen Romane "Die Einsamkeit des Langstreckenläufers" und "Saturday Night and Sunday Morning" zählen zu den besten literarischen Werken über die frühe britische Working Class.
Der "Yorkshire Ripper" mordete in der Zeit von 1975 bis 1980. Der Name wurde erst ab 1978 in der Presse benutzt, als ein Trittbrettfahrer in Erscheinung trat und seine Bekennerbriefe mit "Jack the Ripper" unterzeichnete. © Channel 4 / Arthaus
Zu den frühesten und größten literarischen Erfolgen von David Peace zählen die vier Bücher des "Red Riding Quartett", die allesamt die Jahreszahlen als Titel tragen, in denen sie spielen: "1974", "1977", "1980" und "1983". Peace, der in der sehr eigenen Region Yorkshire im Norden Englands aufwuchs, widmet sich darin der Suche nach dem sogenannten "Yorkshire Ripper" oder "Yorkshire Killer" Peter Suttcliffe, der zwischen 1975 und 1980 mindestens 13 Frauen ermordete und sieben teilweise lebensgefährlich verletzte. Die Suche nach Suttcliffe dient Peace jedoch nur als Rahmen für sein strauchelndes Figurenkabinett, sein obsessives Abarbeiten an der englischen Gesellschaft und seiner bedenklichen Faszination für die Gewalt, die hier vor allem an Frauen ausgeübt wird. "1974", zugleich Peaces Romandebüt, bekam nicht nur deswegen gemischte Kritiken. Trotzdem attestierten viele dem Buch eine abgründige Faszination. So zum Beispiel die Autorin und Journalistin Katharina Döbler im Deutschlandfunk, die das Buch zugleich "packend und abstoßend, unerträglich und faszinierend" fand. David Peace selbst sagte 2006 über "1974": "Es ist die Arbeit eines einsamen Mannes. Es gibt eine Reihe von Leuten, die dieses Buch nicht mögen und ich verstehe absolut, warum." Trotzdem führte Peace die Romanreihe erfolgreich weiter und erzählt in jedem Band aus einer etwas anderen Charakter-Perspektive, die aber allesamt entweder im Lokaljournalismus oder in der Polizeiarbeit zu verorten sind.
Der große Erfolg der Romane, das weit verbreitete Interesse an Serienmödern und der Stil von David Peace, der oft auf perfekt getrimmte Dialoge setzt, machten die "Red Riding"-Reihe von Anfang an zur perfekten Wahl für eine Verfilmung. Das übernahm der englische TV-Sender Channel 4 unter Produzent Andrew Eaton, nach Drehbüchern von Tony Grisoni. Die Story wurde dabei auf lediglich drei Filme verteilt. Die jeweiligen Hauptrollen spielten Andrew Garfield (1974), Paddy Considine (1980) und David Morrissey und Mark Addy (beide in 1983). Die Regie übernahmen jeweils für einen Film in chronologischer Reihenfolge Julian Jarrold, James Marsh und Anand Tucker.
Alle Teile gibt es ab sofort bei Arthaus+ zu sehen und seien an dieser Stelle eindringlich empfohlen. Denn alle drei Regisseure und der sehr britisch und intensiv aufspielende Cast schaffen es, die fiebrige Stimmung der Bücher in atmosphärische, brutale, manchmal triste, manchmal blutige Bilder und Szenen zu überführen. Und obwohl man kaum einen Charakter findet, der wirklich sympathisch ist, fühlt man doch mit ihnen und wird hineingezogen in das Netz aus Sensationsgeilheit, Paranoia und gesellschaftlichen Spannungen, die immer wieder in Gewalt eskalieren.
Hannah Pilarczyk schrieb zum deutschen Fernsehstart in der ARD im Januar 2011 sehr treffend: "Das Fernsehjahr beginnt mit einem absoluten Highlight [...] ein verstörendes Epos von Gewalt und Verschwörung. [...] eine Trilogie, die mindestens so viel Spannung aus ihren ästhetischen Gegenüberstellungen wie aus ihrem Plot bezieht." Dem ist wenig hinzuzufügen.
Außer vielleicht die Einladung, weitere Bücher von David Peace zu lesen. Zum Beispiel "GB 1984" über den Bergarbeiterstreik in diesem Jahr. Oder aber das leider noch nicht ins Deutsche übersetzte "Patient X", in dem sich Peace, der 12 Jahre in Japan lebte, dem Dichter und Schriftsteller Akutagawa Ryūnosuke literarisch und biografisch annähert. Hier beweist Peace, dass er weit mehr kann als "UK Noir".
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DK