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Bild zu 30 Jahre Und täglich grüßt das Murmeltier

30 Jahre Und täglich grüßt das Murmeltier

Das Tagebuch eines Menschen, der seit 1993 jeden Abend Harold Ramis' modernen Klassiker auf VHS guckt. Was er nicht wissen kann: Mittlerweile gibt es den Groundhog Day bei ARTHAUS+.

07. März 2023

2. Februar

Es gibt Filme, die dein Leben wirklich verändern. Manche Leute glauben nicht daran. Sie denken, Filme sind reine Unterhaltung. Du gehst aus dem Kinosaal oder knipst das Licht im Heimkino aus und vergisst sie. Aber nicht nur Kinder in der magischen Phase möchten das Licht lieber anlassen, wenn sie einen Horrorfilm gesehen haben, und nicht nur cinephile Nerds zitieren Filmszenen im richtigen Leben. Du, liebes Tagebuch , bist der Beweis, dass der Einfluss von Filmen noch weiter gehen kann. Aber dafür müssen wir ein paar Jahre zurückreisen ins Jahr 1993. Damals sah ich Und täglich grüßt das Murmeltier zum ersten Mal. Irgendwann im Dezember. Aber für mich ist seitdem jeder Tag der 2. Februar. Groundhog Day. Der Tag des Murmeltiers.

2. Februar

Unglaublich aber wahr, zufällig besitze ich so einen Radiowecker, der mich damals mit dem Song "I Got You Babe" von Sonny und Cher geweckt hat. Ausgerechnet mit dem Stück, von dem Phil Connors im Film an jedem verdammten 2. Februar geweckt wird. Heute glaube ich nicht mehr, dass es Zufall war. Wenn dann mein Kumpel Ralle wieder anruft (so wie jeden Tag) und mir erzählt, dass er diesen neuen Superfilm aus der Videothek ausgeliehen hat, in dem ein Wetteransager in einer Zeitschleife gefangen ist, dann ist mir der Irrsinn dieser Koinzidenz mit dem Song aus dem Radiowecker längst bewusst. 1993 habe nichts davon geahnt. Ich war immer ein Kinomuffel und kannte den Film gar nicht. Ich muss zugeben, dass ich nicht mal das Lied kannte.

2. Februar

Das Telefon klingelt.

2. Februar

Liebes Tagebuch, heute abend werde ich mit meinen Freunden Ralle, Eva, Carlos und Anita sowie der mir unbekannten (aber inzwischen längst bestens bekannten) Maria einen Filmabend verbringen. Ich weiß, liebes Tagebuch, dass du das schon längst weißt. Aber was soll ich dir sonst erzählen? Was wir gucken werden? Es ist so nett, dass du trotzdem fragst, liebes Tagebuch! Natürlich gucken wir Und täglich grüßt das Murmeltier. Den Film, den wir seit 30 Jahren jeden Tag an diesem Filmabend gucken.

Der Tag, an dem sich die Zukunft entscheidet © Studiocanal

Der Tag, an dem sich die Zukunft entscheidet © Studiocanal

2. Februar

Vor 30 Jahren hatte Ralle ein kleines Problem, und dasselbe kleine Problem hat er noch heute. Denn heute ist ja schließlich derselbe Tag wie vor 30 Jahren. Sein Videorekorder ist ein altes Betamax-Modell, den Film gibt es in der Videothek aber nur auf VHS. "VHS hat sich durchgesetzt, das konnte ja keiner ahnen" sagt er am Telefon zu mir. Wenn der wüsste, was man noch so alles nicht ahnen konnte. Hätte ich damals gewusst, dass ich ausgerechnet diesen Tag immer wieder erleben müsste, hätte ich mir wohl etwas anderes vorgenommen als mit Ralle, Eva, Carlos, Anita und Maria auf dem Sofa vor der Glotze zu sitzen. Ich wäre lieber nach Hawaii geflogen oder so. Ich wollte schon immer mal nach Hawaii. Aber das wäre ein Fehler gewesen.

2. Februar

Liebes Tagebuch, heute fehlt mir beinahe die Kraft, dir zu schreiben. Gestern war ein schlimmer 2. Februar. Am Ende von Und täglich grüßt das Murmeltier habe ich geweint. Halb vor Glück, halb vor Verzweiflung. Die anderen waren ganz schön irritiert. Und dann habe ich, wie so oft, auch noch von dem Film geträumt und bin im Traum wie Bill Murray als Phil Connors durch das Örtchen Punxsutawney gelaufen. Dabei wusste ich immer schon vorher, was als nächstes passiert. Dann bin ich aufgewacht und … "I Got You Babe". Tja, und dann klingelte auch schon wieder das Telefon.

2. Februar

"Maria kommt auch. Die ist solo – und sie ist witzig". Diesen Spruch höre ich täglich von Ralle durchs Telefon. Und meine Antwort ist schon legendär, jedenfalls für mich selbst: "Sie ist witzig, aber ich kann nicht drüber lachen." Das kommt dir bekannt vor, liebes Tagebuch, und euch auch, ihr Menschen aus einer anderen Zeit beziehungsweise aus einer anderen Zeitschleife, die dieses Tagebuch vielleicht eines schönen Tages, der nicht der 2. Februar ist, in einer Welt, die nicht meine ist, finden werden? "Sie ist witzig, aber ich kann nicht drüber lachen." Ja, genau das sagt der TV-Wetteransager Phil Connors über seine Kollegin Rita. Also Bill Murray über Andie MacDowell. Nach 30 Jahren bin ich immer noch richtig verknallt in Andie MacDowell.

Happy End – bis alles wieder von vorne losgeht © Studiocanal

Happy End – bis alles wieder von vorne losgeht © Studiocanal

2. Februar

Wenn du wissen willst, liebes Tagebuch, woher ich weiß, wie viele Jahre schon vergangen sind – in der Parallelwirklichkeit, in der die Zeit immer weiter voran schreitet anstatt sich im Kreis zu drehen (und in der Andie MacDowell und Bill Murray vielleicht längst graue Haare haben)? Ein großer Teil von dir besteht nicht aus Worten, sondern aus einer Strichliste. Wie ein Gefangener in einer Knastzelle streiche ich jeden Tag ab. Liebes Tagebuch, du bist das einzige, was mir von Tag zu Tag bleibt, was nicht von einem Tag zum anderen auf Null springt. Wenn du mir verraten könntest, wie du von einem Tag zum anderen stabil bleibst … aber leider kann nur ich dir Dinge erzählen, nicht du mir. Du bist ja nur ein Tagebuch und bestehst nur aus meinen Gedanken.

2. Februar

Ach, wenn ich bloß alles vergessen könnte, denke ich manchmal, so wie alle um mich herum immer alles von einem Tag auf den anderen vergessen. Zum Beispiel die Einkaufsliste, die ich mit Ralle am Telefon morgens bespreche, weil wir den Filmabend ja spontan bei mir zuhause statt bei ihm machen müssen. Ich habe nämlich einen VHS-Rekorder. Aber Vergessen ist auch keine Lösung.

2. Februar

Klar habe ich den Filmabend in den letzten 30 Jahren auch öfter mal absagen wollen. Wollte gar nicht erst ans Telefon gehen. Aber ich wollte immer sehen, ob mein ganz persönlicher Murmeltiertag auch mal anders verläuft. Ob ich irgendwo einen Ausgang aus der Zeitschleife finde. Aber da ist kein Ausgang. Es ist ein bisschen so, als hätte ich mich in einem riesigen Einkaufszentrum verlaufen und würde ständig die Rolltreppen rauf und runter fahren ohne vom Fleck wegzukommen. Unheimlich? Schon. Aber ist es was anderes, wenn man jeden Tag zum selben 9-to-5-Job ins Büro geht, jedes Jahr an denselben Urlaubsort fährt und vielleicht sogar stets dasselbe Schuhmodell kauft?

Die Schneekugel, in der wir alle feststecken © Studiocanal

Die Schneekugel, in der wir alle feststecken © Studiocanal

2. Februar

Nein, das ist auch nichts anderes, liebes Tagebuch, als jeden Tag denselben Film zu gucken. Und wenn der Film so richtig gut ist – was soll daran verkehrt sein? Der Film ist der Höhepunkt jedes einzelnen Tages in meinem Leben, deshalb habe ich den Filmabend in den letzten 30 Jahren auch nie abgesagt. Selbst nach 30 Jahren meines "Und täglich grüßt Und täglich grüßt das Murmeltier"-Loops ist der Film ein Knaller. Dieser Film, und darum musste ich letztens wieder heulen, ist das Beste was mir je im Leben passiert ist. Dasselbe werde ich morgen auch noch denken, und das ist gut so.

2. Februar

Du willst wissen, welche meine Lieblingsstelle im Film ist, liebes Tagebuch? Meine ewige Lieblingsstelle in Und täglich grüßt das Murmeltier ist das Gesicht von Bill Murray aka Phil Connors. Wie sich darin der Sarkasmus spiegelt über die Welt, wie sein Kollege Larry oder wie Rita sie sehen (bis er Rita mit anderen Augen betrachtet). Die Wut, die Sehnsucht, die Melancholie, der Humor. In Bill Murrays Gesicht blitzt das eigene Leben auf, wie man es selbst nie auszudrücken imstande wäre. Bill Murrays Gesicht hat mehr Abwechslung und Tiefe zu bieten als der eigene verfluchte Alltag.

2. Februar

Was ein bisschen nervt: Ich kenne nicht nur den Film auswendig, sondern auch die Reaktionen meiner Freundinnen und Freunde. Ich kenne jedes Kichern von Carlos, kenne jeden dummen Spruch von Ralle, wie er "die Alte anbaggern" würde, wenn er Phil Connors wäre. Kenne jeden Ellbogenstoß, den ihm seine Freundin Eva dafür versetzt. Ich weiß, wann Anita auf die Toilette geht und wann Maria fragt: "Hast du vielleicht noch mehr von den Chips, Philipp?" Ja, ich heiße Philipp, manchmal werde ich sogar Phil genannt. Zum Beispiel sagt Ralle am Telefon morgens immer zu mir: "Den Film musst du sehen, Phil, der Held heißt genau wie du! Ich finde, er sieht sogar ein bissen aus wie du"

2. Februar

Den Film habe ich natürlich mittlerweile entschlüsselt. Die Sache mit dem Schneesturm, der das TV-Team dazu zwingt, noch eine Nacht länger als geplant in Punxsutawney zu verbringen, ist nicht falsch zu verstehen. Der Sturm ist ein perfektes Bild für die Schneekugel, die ja wirklich existiert, in der wir alle ganz real gefangen sind, und die ab und an von einer unsichtbaren Hand geschüttelt wird, um uns in Aufregung zu versetzen, so als würde echt mal was Neues passieren. Stichwort Gott (wie im Film, schon klar). Ich würde Ralle gerne davon erzählen. Aber der ist eh schon so paranoid.

Der Blick, den die anderen auf die Welt werfen © Studiocanal

Der Blick, den die anderen auf die Welt werfen © Studiocanal

2. Februar

Ein paar Mal bin ich schon beim Neurologen gewesen, so wie Bil Murray im Film. Gespielt wird der Arzt übrigens von Harold Ramis, dem Regisseur höchstselbst, liebes Tagebuch. Alles in Ordnung, bei Phil Connors und bei mir. Haha. Natürlich habe ich in den letzten 30 Jahren schon sämtliche Faxen gemacht, die man sich so denken kann: Meinen Gästen nackt die Tür geöffnet, oder jede Filmszene vorhergesagt, kurz bevor sie im Film passiert. Lauter so Späße. Aber eine Sache habe ich tatsächlich bislang noch nicht ausprobiert. Ich könnte versuchen, ein besserer Mensch zu werden, so wie der Wettermann Phil Connors im Film. Nur was müsste ich dafür tun? Heute morgen ist mir eine Idee gekommen, die werde ich nachher vielleicht mal ausprobieren. Ich glaube nur, es ist gar nicht so einfach, an einem Tag ein besserer Mensch zu werden.

2. Februar

Es gibt Filme, die dein Leben wirklich verändern. Manche Leute glauben nicht daran. Sie denken, Filme sind reine Unterhaltung. Du gehst aus dem Kinosaal oder knipst das Licht im Heimkino aus und vergisst sie. Aber nicht nur Kinder in der magischen Phase möchten das Licht lieber anlassen, wenn sie einen Horrorfilm gesehen haben, und nicht nur cinephile Nerds zitieren Filmszenen im richtigen Leben. Du, liebes Tagebuch , bist der Beweis, dass der Einfluss von Filmen noch weiter gehen kann. Aber dafür müssen wir ein paar Jahre zurückreisen ins Jahr 1993. Damals sah ich Und täglich grüßt das Murmeltier zum ersten Mal. Irgendwann im Dezember. Aber für mich ist seitdem jeder Tag der 2. Februar. Groundhog Day. Der Tag des Murmeltiers.

2. Februar

"I Got You Babe"

Und täglich grüßt das Murmeltier sowie viele weitere Meisterwerke der Filmgeschichte gibt es auf unseren Kanälen von ARTHAUS+. Hier gibt es alle Informationen zu ARTHAUS+ auf Apple TV und hier geht's zum Channel bei Amazon.

WF

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