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Jim Jarmusch: Für immer Punk

Die Ikone des US-Independent-Kinos wird 70 Jahre alt. Wir gratulieren.

22. Januar 2023

Es gibt die Legende, dass der junge Jim Jarmusch von seiner Mutter oft ins Kino geschickt wurde, damit die Journalistin Ruhe hatte, ihre Artikel zu schreiben – unter anderem Filmbesprechungen. Es ist nicht überliefert, was Mrs. Jarmusch von den B-Movies hielt, die Jim sich reihenweise anschaute, den Sohn aber haben sie fürs Leben geprägt. Am 22. Januar 2023 feiert jener Jim Jarmusch aus dem unscheinbaren Akron, Ohio seinen 70. Geburtstag. Das heißt auch, dass wir an diesem Tag eine Ikone des US-amerikanischen Independent-Films zum Wiegenfest beglückwünschen dürfen.

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Seit seinem Spielfilm-DebütPermanent Vacation ist Jarmusch als Autorenfilmer ein Begriff. Mit den Jahren hat er die eigene künstlerische Handschrift stetig weiterentwickelt, so dass man heute bei einem Blind Date mit seinem neuesten Werk sehr schnell bemerken würde, dass es sich um einen Film von Jarmusch handelt. Das hängt einerseits mit der Treue zum Ensemble zusammen – bestimmte Schauspieler*innen wie etwa Bill Murray, Roberto Benigni, Tilda Swinton oder Isaach de Bankolé tauchen immer wieder in seinen Filmen auf. Zudem liegt es an Themen wie dem gelebten Nonkonformismus vieler Jarmusch-Figuren, der sich als Komplex aus einer Fremdheitserfahrung in der Mehrheitsgesellschaft speist und zugleich als Schutzpanzer dagegen dient. Das Leben in einer paradoxen Welt, die Individualität im Sinne von Vereinzelung durch Ausschluss produziert und ihr Befreiungspotenzial aus dem Gefängnis einer allzu bürgerlichen Existenz (wenn man sie denn als Einengung empfindet) zugleich sanktioniert.

Eine Hand im Popcorneimer

Unverkennbar ist der Pop-Appeal des Œuvres. Er entspringt zum Jarmuschs direkter Beeinflussung als Filmender durch den DIY-Spirit der Punk-, Postpunk- und No Wave-Szene der 1970er Jahre. Dazu kommt ein tieferliegendes Interesse an der Musik selbst, das zur Mitwirkung zahlreicher Musiker*innen an seinen Filmen führte, sowohl vor als auch hinter der Kamera. Tom Waits und John Lurie, RZA … Außerdem ist Jarmusch selbst Musiker, davon zeugt letztlich ja schon seine Frisur. Spaß beiseite, Jim Jarmuschs Liebe zu Soul, Blues, Rock 'n' Roll, Jazz, Hip-Hop oder Punk kommt von Herzen aber ist zugleich auch soziologisch motiviert. So steckt in den Geschichten seiner Filme, ob nun Stranger Than Paradise, Dead Man oder Paterson, ob Broken Flowers oder The Limits of Control, ob Only Lovers Left Alive oder The Dead Don‘t Die. Ebenso wie die Liebe zur Literatur, zum Film … Dabei vereint er Utopisches mit unbestreitbarer Nostalgie – er vereinfacht Zusammenhänge nicht, auch wenn er sie in Schwarzweiß filmt.

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So stolpern und stolzieren die Anti-Held*innen von längst zu modernen Klassikern gewordenen Spielfilmen wie Down By Law und Mystery Train durch Settings, die tatsächlich ruinös (urbane Verfallserscheinungen) und doch romantisch angehaucht sind, und durch zitatgespickte Referenzsysteme, die sich bei aller Bewandertheit organisch und neuartig vor uns entfalten. Das ist durchaus Kunstkino – im besten Sinne. Jarmusch hat keine Angst vor Genres, inszeniert einen Roadmovie ebenso leidenschaftlich und ernsthaft wie einen Vampir- oder Zombiefilm. Im Zentrum scheinen jedoch immer wieder die angeregten Gespräche zu stehen. Wobei einem natürlich zuallererst Coffee and Cigarettes oder Night On Earth einfallen.

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Früh legte Jarmusch mit seinen Filmen den Finger in die Wunden der US-amerikanischen Verhältnisse. Stichwort: alltäglicher Rassismus. Zuletzt bewies er mit den Untoten aus The Dead Don’t Die, dass man mit den Mitteln dessen, was einem schon Kind wie der einzige Ausweg aus den beklemmenden Umständen erschien – also hier mit den Mitteln des Kinos – auf sehr erwachsene und dennoch nicht antiquierte Weise Konsumkritik äußern kann. Jim Jarmusch ist halt immer Punk geblieben (hier bitte im Geiste das Goldene Zitronen-Cover von "Forever Young" summen). Heute denken wir mit einem Glas Rotwein in der Hand an ihn – die andere Hand im Popcorneimer.

WF

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