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ARTHAUS INHAUS: Liebe 1962 – Chronik einer Liebe, die es nie gab

In dieser Rubrik stellen die Mitarbeiter*innen von ARTHAUS in persönlichen Texten ihre liebsten Filme vor. Heute widmet sich Carolin Wenzel dem italienisch-französischen Drama Liebe 1962, im Originaltitel L’eclisse, von Michelangelo Antonioni.

Filmgeschichten/Arthaus Inhaus 23. April 2021

Die wenigen Zeilen auf dem Cover meiner DVD, die den Kern des Films erfassen sollen, besagen, dass die beiden Hauptcharaktere unfähig sind, zu lieben. Vittoria (Monica Vitti) und Piero (Alain Delon) begehren sich, doch artikulieren können sie ihre Anziehung nicht. Zärtlichkeiten werden ausgetauscht und im selben Moment verwehrt. Als würde ein Gefühl zum jeweiligen Gegenüber geschmuggelt werden, das eigentlich nicht existiert. Ihre Liebe ist vielmehr in der Abwesenheit präsent. Sie bleibt eine Sehnsucht, die für den Moment unerreichbar scheint. Doch reichen diese Feststellungen aus, diesem Paar zu attestieren, nicht im Stande zu sein zu lieben? Oder zeichnet der Film nicht vielmehr die Chronik einer Liebe nach, die es nie gab?

Liebe 1962 beginnt mit dem Ende der langjährigen Beziehung von Vittoria und Riccardo (Francisco Rabal). Man folgt zunächst Vittoria, wie sie durch Rom spaziert. Regisseur Michelangelo Antonioni zeigt dabei die menschenleere und konstruierte Vorstadt und das lebhafte Zentrum Roms im permanenten Wechselspiel. Piero, ein Börsenmakler, den Vittoria während des Besuchs ihrer Mutter kennenlernt, leistet ihr im weiteren Verlauf des Films Gesellschaft. Ihre Beziehung zueinander ist von Beginn an von brüchiger Beschaffenheit.

Vittoria (Monica Vitti) inmitten der Leere der bewegten Bilder. © Kinowelt GmbH

Vittoria (Monica Vitti) inmitten der Leere der bewegten Bilder. © Kinowelt GmbH

Als Zuschauer*in wird man von Anfang an in die Leere der bewegten Bilder geworfen. Wortkarge Dialoge folgen unkommentierten Handlungen. Beobachtend folgt der Blick Vittoria und Piero, so dass es schwerfällt, Schlussfolgerungen aus ihren Taten zu ziehen. Ihr Handeln bleibt ein Mysterium. Es ist eine artikulierte Leere, die der Entfremdung des modernen Menschen auf diese Weise ein Spiegelbild vorhält und durch die Sprache der Bilder wieder aufgegriffen wird. So ist es vor allem die visuelle Bildgestaltung, die in ihrer poetischen Abstraktion mehr Aufschluss über das Innenleben der Figuren und ihrer Beziehung zueinander preisgibt, als es ihre Worte jemals im Verlauf der Handlung ausdrücken könnten.

Leere Straßenzüge, halbfertige Bauten, hektisches und lautes Treiben an der Börse, wütende Anleger, abstrakte Gemälde, Säulen oder auch Wolkengebilde fügen sich zu einer Gesamtkomposition, welche die Sprache und Gestaltung des Films formen. Kontinuierlich wechseln sich die sprachlichen und visuellen Verhältnisse von Fülle und Leere in Liebe 1962 ab, so dass Antonioni den Zuschauer*innen vor allem eines präsentiert: Interpretationsräume. Das verlangt dem Publikum viel ab. Während für den Einen die Erwartungshaltung gegenüber dem Film beim Sehen in die gleiche Leere driftet, wie sie Vittoria während ihrer Streifzüge spürt und unerfüllte Emotionen zum Vorschein bringt, findet eine Andere in den künstlerisch inszenierten Bildern sinnstiftende Momente.

Vittoria (Monica Vitti) und Piero (Alain Delon) begehren sich, doch artikulieren können sie ihre Anziehung nicht. © Kinowelt GmbH

Vittoria (Monica Vitti) und Piero (Alain Delon) begehren sich, doch artikulieren können sie ihre Anziehung nicht. © Kinowelt GmbH

Michelangelo Antonioni hat das Europäische Kino der 1960er und 1970er in seiner Formgebung maßgeblich beeinflusst. Narrative reihen sich bei ihm fragmentarisch aneinander und erhalten durch ihre minimalistische und zugleich pointierte Ästhetik einen weitreichenden Sinn. Thematisch durchziehen die Entfremdung des modernen Menschen und die Zerbrechlichkeit von zwischenmenschlichen Beziehungen, wie sie in Liebe 1962 präsentiert werden, sein Gesamtwerk.

Auch wenn diese Lesart von einer tiefen Melancholie durchzogen ist, bedeutet Antonionis Kino eine Art Heimat für mich. Es stillt die Sehnsucht nach einem Ort, der mit Worten nur spärlich zu beschreiben ist, aber durch seine Bilder dennoch eine präzise Repräsentanz findet.

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ARTHAUS Mitarbeiterin Carolin Wenzel, kurz vorgestellt:

An Bord seit: Oktober 2017, zunächst als Werkstudentin und seit 2021 als Festangestellte

Was genau machst du bei ARTHAUS / Studiocanal? Ich arbeite als Distribution & Licensing Coordinator und betreue einen vielschichtigen Bereich, der beispielsweise von der Lizensierung unserer Filme für Airlines oder Kreuzfahrtschiffe, aber auch dem physischen und digitalen Home Entertainment reicht.

Dein schönster ARTHAUS-Moment? Im Daily Business zu beobachten, dass sich selbst sehr alte ARTHAUS Klassiker noch an großer Beliebtheit erfreuen. Aber auch ein Kinoabend von Chaplins Goldrausch mit Live-Orchester Begleitung zu sehen, war ein besonderes Erlebnis, da es wahnsinnig faszinierend war, die unmittelbare Reaktion des Publikums mitzuerleben und sich von dieser ausgelassenen Stimmung anstecken zu lassen. In meinen Augen schafft nur das Kino eine solche Leistung.

ARTHAUS ist für dich ...? ... wenn all die Philosoph*innen Filme machen.

Du in drei Filmen? Moonrise Kingdom, Die Träumer, In the Mood For Love

Und ein Guilty Pleasure? Reality TV und besonders Keeping Up with the Kardashians

Carolin Wenzel

Dazu in unserem Magazin

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