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Berlinale: Wer hat gewonnen?

Die Online-Edition der 71. Berlinale wird zum eindrücklichen Plädoyer für das wahre Kino als Ort der Begegnung.

07. März 2021

In seinem jüngst erschienenen Buch mit dem mehr als doppelt zu deutenden Titel "Immer auf dem Teppich bleiben" ruft der ehemalige Berlinale-Chef Dieter Kosslick zur Rettung des Kinos auf. Das ist ein ehrenwerter Anspruch eines verdienten Festivaldirektors, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, wieder etwas Glamour in die hiesige Filmwelt zu bringen, und den internationalen Stars in der Hauptstadt ebenjenen Teppich auszurollen, über den er selbst – so seine Kritiker*innen – mitunter leicht hochnäsig zu stolzieren pflegte. Und noch ein bis zwei weitere Prämissen hat man unter Kosslick in Berlin formuliert: den politischen Film zu stärken und auch auf deutsche Produktionen zu gucken. Aber vor allem nicht nur nach Hollywood zu schauen.

Keine Trennung mehr nach Geschlechtern in dieser Kategorie: Der erste Silberne Bär für die Beste Schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle geht an Maren Eggert in "Ich bin dein Mensch (Im Your Man)" von Maria Schrader © Christine Fenzl

Keine Trennung mehr nach Geschlechtern in dieser Kategorie: Der erste Silberne Bär für die Beste Schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle geht an Maren Eggert in "Ich bin dein Mensch (I'm Your Man)" von Maria Schrader © Christine Fenzl

Die neuen Leiter*innen Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek mögen nach außen hin sachlicher wirken, fachlich sind sie Kosslick mit Sicherheit ebenbürtig – und dennoch in ihrem zweiten Jahr als Nachfolger*innen echt nicht zu beneiden um ihre Aufgabe. Die 71. Internationalen Filmfestspiele haben mit denselben Pandemiebedingungen zu kämpfen, die der ganzen Branche zusetzen und das Kino mehr denn je gefährden – als sozialen Ort und einzig wahre Heimstätte einer Kunstform, die sich auf einer Online-Plattform nicht wirklich darstellen lässt. Kino ist Kino – mit oder ohne Popcorn. Wer einmal bei der Berlinale in der Schlange gestanden hat, ohne zu wissen ob letztlich noch ein Ticket für den begehrten Film übrig sein wird oder sich als Zehnjährige*r in einen Blockbuster (sagen wir Star Wars) mit der Altersfreigabe 12 geschlichen hat, weiß wovon die Rede ist.

Kein künstlerischer Sicherheitsabstand

Es gäbe noch Millionen Gründe mehr für eine Rettung des Kino – und DER Kinos als Refugien der Filmkunst –, so ist die Vorfreude auf die Berlinale wohl nie größer gewesen, kurz nach der Berlinale. Klingt paradox, aber die Filmfestspiele 2021 sind ja zweigeteilt und nach der Online-Ausgabe in der letzten Woche folgt die Präsenzversion mit Publikum vor Ort im Juni, sofern es die pandemische Situation zulässt. Verlierer*innen mögen also diejenigen sein, die sich auf das jährliche Spektakel rund um den Potsdamer Platz freuen wie so manche Rheinländer auf den Karneval, Gewinner*innen gibt es aber auch schon jede Menge. Die Jury aus Ildikó Enyedi (Ungarn), Nadav Lapid (Israel), Adina Pintilie (Rumänien), Mohammad Rasoulof (Iran), Gianfranco Rosi (Italien) und Jasmila Žbanić (Bosnien und Herzegowina) vergab den Goldenen Bären an den rumänischen Film mit dem vielsagenden, internationalen Titel Bad Luck Banging Or Loony Porn – die Begründung klingt gerade in diesen Zeiten besonders interessant: "Er greift die Zuschauer*innen an, ruft Widerspruch hervor, und erlaubt doch niemandem, Sicherheitsabstand zu halten."

Im Kino treffen Welten aufeinander, im Kino kommt die Welt zu uns, vorausgesetzt wir dürfen diese Welt betreten.

Kein künstlerischer Sicherheitsabstand, Filme die uns mit dem Alltag konfrontieren – und mit einer Realität, die wir womöglich selbst sonst nie kennengelernt hätten. Das ist nicht nur im Sinne der Berlinale – das lieben wir überhaupt am Kino. Digitale Plattformen können eine bequeme Alternative und eine gute Ergänzung sein – aber niemals das Kino als Ort der Begegnung vollumfänglich ersetzen. Im Kino treffen Welten aufeinander, im Kino kommt die Welt zu uns, vorausgesetzt wir dürfen diese Welt betreten. Mit ihren manchmal ungemütlichen Sitzen und den Sitznachbar*innen, die Nachos mit Käse verzehren, geräuschvoll Cola-Reste durch den Strohhalm saugen oder sich in einem unmöglichen Moment durch die Reihe quetschen. Auch mit ihnen möchten wir das Filmerlebnis teilen, unter den Bedingungen eines dunklen Saals, in dem Projektor und Leinwand Unterhaltung versprechen. Und immer neue Geschichten erzählen. Unter anderem das hat diese Online-Berlinale eindrucksvoll gezeigt.

WF

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