Sieben Jahre nach den Terrorangriffen in Paris am 13. November 2015 kommen die ersten Filme in die Kinos, die sich dieser Nacht widmen. Während der Regisseur Cédric Jimenez in November die Jagd der Terrorfahnder*innen nach den Drahtziehern und Tätern der Terrorangriffe in Form eines atemlosen Thrillers inszenierte, ist Frieden, Liebe und Death Metal von Isaki Lacuesta ein empathisches Drama über Liebe und Trauma. Der Film entstand nach einem Drehbuch von Isa Campo, Isaki Lacuesta und Fran Araújo und erzählt die Geschichte des Pärchens Céline (Noémie Merlant) und Ramón (Nahuel Pérez Biscayart), die am 13. November im Bataclan auf dem Konzert waren und überlebten. Der in Barcelona lebende Ramón González schrieb seine Erfahrungen im Buch "Frieden, Liebe und Death Metal" nieder, dessen Titel Bezug nimmt auf ein Album der Band, die an jenem Abend dort spielte: die Eagles of Death Metal des Sängers und Gitarristen Jesse Hughes. Lacuestas Film trägt nun auch diesen Titel, nachdem er bei der Berlinale noch unter "Un año, una noche – Ein Jahr, eine Nacht" lief. Dort trafen wir Cast und Regisseur zu getrennten Interviews, die wir hier zusammengeführt haben.
Ich bin großer Musikfan. Konzerte machen einen der schönsten Teile meines Lebens aus. Deshalb habe ich mich anfangs gefragt: Will ich überhaupt einen Film über die Bataclan-Attentate sehen? Das führt mich unweigerlich zu der Frage, die du als Regisseur beantworten musstest: Warum wolltest du einen Film über die Attentate und ihre Folgen machen?
Isaki Lacuesta: Es war in diesem Fall nicht so, dass ich die Geschichte der beiden unbedingt erzählen wollte. Die Geschichte kam eher zu mir. Der Produzent Ramón Campos ist ein guter Freund von mir. Wir haben für das spanische Fernsehen unter anderem eine Dokumentation über den Terror der ETA gemacht. Er war am Tag der Anschläge mit seiner Familie in Paris und hatte einen direkten Bezug. Wir sprachen viel darüber und irgendwann erzählte er mir von Ramón González‘ Buch und dass er es gerne verfilmen würde. Ich war, nun ja, skeptisch. Ich fragte mich, ob das nicht noch zu früh sei. Und was man überhaupt noch darüber erzählten sollte, weil man vieles ja schon aus den Medien wusste. Aber dann las ich "Frieden, Liebe und Death Metal" und erfuhr viele Dinge, die ich eben nicht aus den Dokus oder Zeitungs-Artikeln kannte. Da war die Sache für mich klar.
v.l.n.r.: Noémie Merlant, Regisseur Isaki Lacuesta und Nahuel Pérez Biscayar © Studiocanal GmbH / Sebastian Gabsch
Noémie, du bist in Paris geboren und wohnst dort. Wie hast du diese schlimme Nacht erlebt?
Noémie Merlant: Ich war zuhause bei mir im 12. Arrondissement von Paris. Was gar nicht so weit entfernt ist vom Bataclan. Wie sehr viele andere habe ich zunächst mit Unverständnis reagiert. Und mit großem Schrecken. Ich hatte Angst, da ich nicht wusste, ob meine Familie oder meine Freunde vielleicht unter den Opfern waren. Das sind schließlich Orte, an denen wir oft waren. Ich war erst zwei Tage zuvor in der Bar Le Carillon, das an diesem Abend ein Ziel war.
Nahuel, du hattest in der Vorbereitung viel mit dem Überlebenden Ramón González zu tun, der wie auch Céline an den Dreharbeiten beteiligt war. Wie war diese Erfahrung für dich?
Nahuel Pérez Biscayart: Ramón Gonzalez, der Autor des Buches, war sehr großzügig und hat sich viel Zeit für uns genommen. Ebenso wie seine Partnerin Céline. Wir haben uns unterhalten, ich bin mit ihnen in Barcelona spazieren gegangen, als wir gedreht haben. Sie sind erstaunliche Menschen, auch abseits der Dinge, die mit dem Bataclan und den Film zu tun haben. Generell kann man sagen: Wenn wir in Filmen arbeiten, die einen historischen Kontext haben und Ereignisse, die wirklich stattgefunden haben interpretieren, dann hilft es uns, nahe an Menschen zu sein, die das wirklich gelebt haben. Wir können uns mit mehr Freiheit, Mut und Kreativität in diese Fiktion eines Filmes hineinversetzen, weil wir besser verstehen, wie sie denken.
Noémie Merlant: Ramón und Céline reagieren sehr unterschiedlich auf ihr Trauma. Céline verdrängt alles, während Ramón fast manisch versucht, sich an alles zu erinnern und die Geschehnisse exakt zu rekonstruieren. Ich weiß natürlich nicht, wie ich auf so ein Trauma reagieren würde, aber ich kann beide Wege verstehen. Céline kennenzulernen, hat geholfen, ihren Umgang damit besser zu verstehen.
Die Überlebenden auf einer Party im Jahr nach den Anschlägen. © �2022 UNA NOCHE LA PELICULA A.I.E, BAMBU PRODUCCIONES, S.L, MR. FIELDS AND FRIENDS CINEMA, S.L, LA TERMITA FILMS, S.L, NOODLES PRODUCTIONS, S.A.R.L
Isaki, wie hast du Ramón und Céline erlebt?
Die Tatsache, dass die beiden so gegensätzliche Wege hatten, das Trauma zu verarbeiten, war der Grund, warum ich diese Geschichte verfilmen wollte. Ich konnte mich erst eher mit Ramón identifizieren. Die Fragen, die er sich stellt. Die Zweifel, ob er alles erreicht hat im Leben. Die Lust oder eher die Verpflichtung, das Leben, das er – im Gegensatz zu vielen anderen, die auf dem Konzert waren – noch weiterführen kann, voll auszukosten. Aber ich verstehe auch Céline und weiß natürlich selbst nicht, wie ich so etwas verarbeiten würde. Ramóns Buch ist in der Ich-Perspektive geschrieben. Es erklärt also nur seine Sichtweise – und seinen Blick auf Céline. Für mich stand außer Frage, dass die beiden in dem Prozess involviert sein müssen. Ohne ihren Input hätten unser Drehbuchteam so was nicht schreiben können. Wir haben aber nicht nur mit Ramón und Céline gesprochen. Wir trafen Überlende, Polizist:innen, Psycholog:innen, Trauma-Expert:innen. Dabei habe ich erstaunliche Dinge gelernt. Ramón erzählte mir zum Beispiel, dass er sich genau daran erinnerte, die Leiche seines Freundes Carlos gesehen zu haben. Der hatte aber überlebt. Ich weiß jetzt, dass diese so genannten False Memory sehr oft passieren – und es im Grunde für den Menschen, der sie hat, völlig egal sind, ob sie real passiert sind oder nicht. Sie fühlen sich real an. Einer der zuständigen Einsatzleiter der Polizei erzählte mir, dass viele seiner Kolleg:innen, die im Bataclan im Einsatz waren, noch immer unter post-traumatischen Störungen leiden. Viele von ihnen erzählten später, sie waren sich ganz sicher, Verwandte oder Freund:innen unter den Opfern zu sehen. Weil es eben gar nicht so unrealistisch war, dass jemand, den man kennt, unter den Opfern ist. All diese Gespräche und die ausführliche Recherche waren nötig, um das Wissen und den Respekt zu haben, so eine Geschichte zu verfilmen.
Cèline, das reale Vorbild für die Rolle, verdrängt lange Zeit, was sie an diesem Abend sah. © �2022 UNA NOCHE LA PELICULA A.I.E, BAMBU PRODUCCIONES, S.L, MR. FIELDS AND FRIENDS CINEMA, S.L, LA TERMITA FILMS, S.L, NOODLES PRODUCTIONS, S.A.R.L
Noémie, Nahuel: Wie habt ihr diesen Recherche-Prozess genutzt?
Nahuel: Wir haben sehr schlimme Bilder gesehen und Dinge gehört. Wir waren in Kontakt mit der Polizei, haben mit Menschen gesprochen, die sich im Backstage des Bataclan versteckt hielten wie Ramón und Céline. Unser Regisseur Isaki hat uns diese Treffen und Einsichten ermöglicht, aber allen Schauspieler:innen überlassen, was und wieviel sie sehen wollen.
Noémie: Meine Charakterin, also Céline, behauptet lange, dass sie überhaupt keine brutalen Szenen gesehen habe. Aber das stimmt natürlich nicht. Sie hat was gesehen und deshalb war das auch nötig für uns. Damit wir besser verstehen können, was für Bilder sie unterdrücken musste. Wir haben wirklich sehr viele Informationen und Konkretes wie zum Beispiel Polizeifotos bekommen. Es war schwierig, aber es war nötig.
Nahuel: Eine Sache fällt mir dazu noch ein: Mein Charakter, also Ramón, ist sehr detailverliebt und kontrolliert. Er will sich jedes Detail merken und sich exakt erinnern. Irgendwann habe ich auch so funktioniert. Ich wollte unbedingt die Baupläne des Bataclan sehen, um zum Beispiel zu wissen, wie die Treppe gebaut war, die ins Backstage führt oder wie viele Stufen es bis zur Garderobe sind.
Ramón versucht sich an jedes Detail der Nacht zu erinnern. © �2022 UNA NOCHE LA PELICULA A.I.E, BAMBU PRODUCCIONES, S.L, MR. FIELDS AND FRIENDS CINEMA, S.L, LA TERMITA FILMS, S.L, NOODLES PRODUCTIONS, S.A.R.L
Isaki, dein Film zeigt auch Szenen, die im Club spielen. Auf eine sehr respektvolle Art und Weise, finde ich. Man sieht die Terroristen nicht zu genau. Man sieht keine direkten Schüsse. Trotzdem spürt man den Schrecken, weil man ganz nah an Ramón und Céline ist. Bisweilen zeigst du sogar sehr ästhetisierte Bilder: Nach dem Massaker schwebt eine Art Staub durch den Club und glitzert im Licht – man sieht das auch am Anfang des Trailers. Wie hast du entschieden, was du wie zeigst und wo wurden diese Szenen gedreht, die im Bataclan spielen?
Isaki: Bis dahin war es ein langer Prozess voller Gespräche mit Freund:innen, Überlebenden und den realen Vorbildern der Charaktere, die wir im Film zeigen. Wir haben recht früh beschlossen, nicht im echten Bataclan zu drehen. Das wäre für alle Beteiligten zu beängstigend gewesen. Die Szenen im Club haben wir in einer recht bauähnlichen Konzerthalle gedreht: dem Apollo in Barcelona. Wir haben erst kurz vor dem Dreh erfahren, dass die Eagles Of Death Metal den nächsten Gig ihrer damaligen Tournee genau hier spielen sollten. Ein seltsamer Zufall. Als Ramón und Céline und das mit ihnen befreundete Pärchen, das wir auch im Film zeigen, beschlossen haben, bei diesen Drehtagen dabei zu sein, war ich sehr froh darüber. Ich ahnte, wie viel Überwindung das kostet und ihre Anwesenheit half mir, die nötige Sensibilität zu entwickeln bei der Frage, wie wir die Gewalt zeigen – und wieviel von ihr. Das Detail mit dem Staub im Scheinwerferlicht ist übrigens keine Erfindung von mir oder ein ästhetisches Motiv. Viele der Überlebenden konnten sich daran erinnern und sie konnten sich auch daran erinnern, dass sie diese Bild schön fanden. Ich lernte dann, dass es im Grunde Schießpulver war. Was dieses Bild umso brutaler macht.
Für mich war diese Besetzung ein Glücksfall: Noémies und Nahuels Mimik, ihre Körpersprache, die Art, wie sie miteinander umgehen – oft sagen alltägliche Szenen viel mehr als explizite Gewalt. Wie hast du die beiden Gefunden Isaki?
Isaki: Der Produzent Ramón Campos und ich waren uns recht schnell einig. Nahuel Pérez Biscayart kam zuerst an Bord. Ramón – also der Autor des Buches – ist ja Spanier, der Film aber natürlich auf Französisch. Wir suchten also gezielt einen Darsteller, der Spanisch und Französisch fließend sprechen. Nahuel war unser Wunschkandidat und der erste auf der Liste. Als wir uns über das Casting Gedanken machten, lief gerade Porträt einer jungen Frau in Flammen, in dem Noémie Merlant eine Hauptrolle spielt. Wir wollten sie unbedingt dabei haben und waren sehr froh, dass sie zusagte. Sie hatte übrigens auch die Idee, das wir mit Choreograf:innen arbeiten, um die Mimik und die Körpersprache des Paares zu entwickeln. Das kannte ich vorher eher aus dem Theater. Aber es war am Ende eine sehr wichtige Entscheidung. Gerade wenn es um die Mimik geht: Am Anfang sieht man, wie die beiden am Tag danach schlafen. Sie haben die Augen geschlossen, aber trotzdem sieht man wie etwas Brutales in ihnen arbeitet. Der ganze Schrecken dieser Nacht – man spürt ihn schon da. Spätestens da wusste ich, dass sie die perfekte Wahl waren.
Ich danke euch, für dieses Gespräch.