Joann Sfar ist im vergangenen Sommer 50 Jahre alt geworden. Er kann sich noch im reifen Alter Kinderträume erfüllen – oder wie soll man die Verfilmung eines eigenen Comicbuchs sonst bezeichnen? –, weil er im Herzen ein Kind geblieben ist. Das bedeutet keinesfalls, dass er in der Arbeit als Comicautor einen Bogen um erwachsene Themen machen und sich nicht mit harten gesellschaftlichen Realitäten auseinandersetzen würde. Aber der Glaube an die Kraft der gezeichneten Bilder ist dem Faible für die Magie der laufenden Bilder noch einen Schritt voraus in der Sozialisierung vieler Kids aus allen möglichen Schichten und Verhältnissen. Also wohnt der erhaltenen Liebe zum Comic stets eine Idee kindlicher Neugier, Verspieltheit und womöglich gar eine Spur Unschuld inne. Der Franzose Sfar wurde berühmt für die Comic-Reihe "Die Katze des Rabbiners" und für die Serie "Donjon", die er gemeinsam mit seinem Landsmann, dem Zeichner Lewis Trondheim konzipierte. Vor gut 10 Jahren verfilmte Sfar zunächst das Leben des Sängers Serge Gainsbourg als Realfilm (Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte), dann "Die Katze des Rabbiners" als Animationsfilm, 2019 verwirklichte er Das große Abenteuer des kleinen Vampir, ebenfalls animiert und nach der Vorlage seines Comic-Buchs "Petit Vampir".
Der kleine Vampir und Fantomate drücken die Schulbank © Studiocanal
Der 10-jährige Vampir Bois Domante ist ein ewiges Kind, denn besagtem Alter ist er seit 300 Jahren nicht entwachsen. Weil er sein Dasein als untoter Blutsauger fristet, ist ein Ende der Kindheit auch kaum jemals abzusehen. Wie jedem anderen Kind – und die Analogie zu den Stubenhocker-Zeiten des Corona-Lockdowns spukt einem beim Zusehen ganz von selbst im Kopf herum –, wird ihm langweilig angesichts der Tatsache, dass er das magische Schloss, in das es seine Mutter, ihren gespenstischen Retter und ihn selbst seit Beginn des dämonischen Vampir-Banns verschlagen hat, zu allem Überfluss nie verlassen darf. Da hilft auch die lustige Meute herzallerliebster filmverrückter Monsterchen nichts, mit denen er befreundet ist. Der kleine Vampir möchte hinaus in die weite Welt. Basta! Und mit dieser Gewissheit beginnt sein Abenteuer.
Eine Coming-Of-Age-Geschichte samt einem niedlichen Helden, der voraussichtlich nie eine Pubertät erleben wird? Diese Konstellation nutzt Sfar, um die eigene Phantasie sowie die Vorstellungskraft des Publikums ordentlich anzukurbeln. An der Seite seines treuen Begleiters, dem Geisterhund Fantomate, dringt der lebensdurstige Junge mit den spitzen Ohren, noch spitzeren Zähnen und Amélie-runden Kulleraugen nachts in eine Schule ein und erledigt mal eben die Hausaufgaben eines Menschenkindes, woraus sich bald eine Freundschaft entwickelt. Das wäre einfach nur schön und Zeichen dafür, dass Kinderwesen unterschiedlichster Gestalt und Herkunft untereinander zumeist mehr kulturelle Gemeinsamkeiten teilen als mit den erwachsenen Personen aus ihrem jeweiligen Dunstkreis (wobei Bois’ neuer Kumpel Michel eine Waise ist), träte nicht noch ein typischer Spielverderber auf den Plan, der die Angelegenheit allerdings umso spannender macht. Der Vampirjäger Gibbous hat Witterung aufgenommen, nachdem unser kleiner Held die Sicherheit des Schlosses gegen die Verlockungen des rauen Lebens eingetauscht hat. Er, seine Monstergang, die bleiche Mama und wir müssen fortan lernen, dass es keine Alternative zu diesem riskanten Schritt gibt, wenn man die Segnungen des Lebens erfahren möchte, die von den Abgründen des Schicksals nie weit entfernt liegen. Der kleine Vampir hat nun mal Blut geleckt, jetzt gibt es für ihn kein Zurück mehr. Es beschleicht einen das Gefühl, dass sein Erfinder Sfar genau weiß, wovon er hier so unterhaltsam und leidenschaftlich erzählt …
WF