Es schlagen mehr als zwei Herzen in dieser Geschichte, die von der inneren Stimme ihrer Heldin erzählt wird. Wir erleben das Märchen einer Liebe, die über patriarchale Mächte und üble Launen des Schicksals triumphiert – in einem Film, dessen mit Lust und Gewalt aufgeladene Stimmung nachhallt, da seine Regisseurin die Klaviatur der lange unterdrückten und allmählich aufkommenden Gefühle ihrer Figuren schonungslos anschlägt. Der lateinische Begriff clavis, aus dem der Begriff Klavier hervorgegangen ist, bedeutet Schlüssel. Das Piano ist das Schlüsselwerk von Jane Campion, und seine weit vor unserer Zeit spielende Handlung kann helfen, neue Perspektiven auf Themen wie Liebe, Macht und Verlangen zu eröffnen.
Aufwühlend: Harvey Keitel und Holly Hunter © Studiocanal
1993 kam Campions vierter abendfüllender Spielfilm in die Kinos und gewann im folgenden Jahr drei Oscars: Holly Hunter für die Verkörperung der stummen Hauptfigur Ada McGrath, Anna Paquin in der Nebenrolle der 9-jährigen Tochter Flora und Jane Campion selbst als Verfasserin des Drehbuchs wurden bei den Academy Awards ausgezeichnet. Zuvor hatte Das Piano auch schon in Cannes den Hauptpreis gewonnen. Die ungewöhnliche Liebesgeschichte und ihre fesselnde Atmosphäre vermochten die Kritik ebenso gefangen zu nehmen wie das Publikum. Herzklopfen allenthalben, auch wenn einem manche Wendung einen Stich versetzt. Vielleicht gerade deswegen?
Jane Campion konnte mit ihrer Arbeit bis dahin bereits einige große Erfolge verbuchen, zum Beispiel wurde ihr Kurzfilm Peel 1986 ebenfalls mit der Goldenen Palme prämiert. Dennoch markiert Das Piano einen entscheidenden Durchbruch für die 1954 geborene Neuseeländerin, die heute einen unzweifelhaften Ruf als emanzipatorische Filmemacher*in genießt. In ihrem Werk sollten sich fortan die Auseinandersetzung der binären Geschlechter – sowie ihr Ringen mit den je eigenen Dämonen und der Kampf mit den Verhältnissen, denen diese Monster entspringen –, zum zentralen Aspekt entwickeln. Wenn die schmerzhaften Umstände immer weiter sticheln, könnte man die Herangehensweise Campions beschreiben, muss die Kunst ihnen beherzt gegenübertreten – und so lässt sie in Das Piano eben viele Herzen für die wahre Liebe bluten.
Kindliche Unschuld? Anna Paquin als Adas Tochter © Studiocanal
Die Dreiecksbeziehung zwischen Ada McGrath, ihrem Liebhaber George Baines (Harvey Keitel) und dem gehörnten Ehemann Alistair Stewart verlangt den Protagonist*innen neben Blut einiges an Schweiß und Tränen ab. Das anspruchsvolle Drama ließ sogar die Kassen klingeln, der künstlerische Meilenstein wurde zum Grundstein für Jane Campions Stil, gesellschaftskritische Inhalte in populären Genres zu verhandeln, wie zuletzt in dem alternativen Western The Power of the Dog. Für die Story über unkonventionelle Lebensmodelle und Homosexualität im Cowboy-Milieu erhielt Campion 2022 den Regie-Oscar.
Bonusmaterial: Audiokommentar von Jane Campion & Jan Chapman; Interview mit Jane Campion & Jan Chapman; Making of; 25 Jahre Das Piano; Interview mit Kameramann Stuart Dryburgh; Interview mit Setdesigner Andrew McAlpine; Interview mit Maori-Berater Waihoroi Shortland; Originaltrailer
WF