Es mag damit zu tun haben, dass Farmerstochter Holly Hunter als Nesthäkchen unter sechs älteren Geschwistern aufwuchs. Egal, welche Rolle sie spielt, man hat immer das Gefühl, dass sie eine ungeheure Menge an Energie freisetzt und gleichzeitig noch viel Power im Zaum hält – sich also zu beherrschen und zu behaupten weiß. Seit ihrem Spielfilmdebüt sind beinahe 40 Jahre vergangen. So richtig in Fahrt kam die Karriere der 1958 in Georgia geborenen Schauspielerin dann gegen Ende des Neon- und Haarspray-Zeitalters. 1987 spielte sie in Arizona Junior von Joel und Ethan Coen die Polizistin Ed, die sich in einen Kleinkriminellen verliebt. Und kurz darauf in Volker Schlöndorffs Ein Aufstand alter Männer die Plantagenbesitzerin Candy Marshall. Das Drama nach einem Roman von Ernest J. Gaines dreht sich um einen Mord aus Notwehr und rassistisch motivierte Lynchjustiz im US-Bundesstaat Louisiana in den 1970ern. Als Candy Marshall offenbart Hunter ein soziales Gewissen, Sinn für Gerechtigkeit – und viel Mut. Es sind Attribute, die man ihr ohne viel Federlesens auch persönlich zugestehen möchte.
Schon der nächste Film brachte Holly Hunter ihre erste große persönliche Auszeichnung ein. In einer der absolut besten RomComs der Eighties, Nachrichtenfieber – Broadcast News (Kamera: Michael Ballhaus), brilliert sie als TV-Producer Jane Craig. Eine resolute Könnerin ihres Fachs, die im Fernsehstudio alles im Griff hat, deren Privatleben jedoch im Dauerchaos versinkt. Die forsche Jane kommt an die Grenzen ihrer emotionalen Belastbarkeit und ihres Berufsethos, als sie eine Wahl treffen muss, die wohl keine ist: Weder eine Beziehung mit dem hemdsärmeligen und aufrichtigen Reporter Aaron Altman (Albert Brooks), noch eine Liaison mit dem aalglatten und durchtriebenen Nachrichtensprecher Tom Grunick (William Hurt) kommt so wirklich in Frage. Hm. Natürlich dauert es einige Zeit, bis sich diese Ménage-à-trois auflöst, wobei die libidonösen Verwicklungen permanent mit intelligenter Medienkritik einhergehen. Die Darstellung brachte Hunter neben weiteren wertvollen Nominierungen den Silbernen Bären auf der Berlinale ein.
Es sollte nicht mehr lange dauern, bis Holly Hunters Verkörperung einer verdammt tiefgründigen Figur in einem auch unter feministischen Gesichtspunkten mehr als spannenden Film von der Jury der Academy Awards als Oscar-würdig eingestuft wurde. Tatsächlich: In Jane Campions Das Piano aus dem Jahr 1993 dürfen wir Holly Hunter auf dem Höhepunkt ihrer Kunst bewundern. Hier spielt sie die stumme Klavierspielerin Ada McGrath, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Schottland in die britische Kolonie nach Neuseeland transferiert wird, weil ihr Vater sie mit dem dort lebenden Alistair Stewart (Sam Neill) verheiratet hat – im Schlepptau das Instrument, über das sie sich ausdrückt und ihre 9-jährige Tochter Flora (Anna Paquin), die sich auf die Gebärdensprache versteht. Während ihr von ihrem aufgezwungenen Gatten vor allem Unverständnis und ein rauher Ton bezüglich ihres Aussehens und ihres starken Willens entgegenschlägt, scheint dessen Bekannter George Baines (Harvey Keitel) gerade davon angezogen. Er hat denn auch das gewisse Etwas, dem Ada sich letztlich hingibt, ohne ihre Stolz oder ihre Würde einzubüßen. Die von Campion grandios inszenierte, sich anbahnende Beziehung der beiden ist eine besondere Form des Abtastens – im wahrsten Wortsinne.
Darüber hinaus zeigte Hunter ihre vielen Facetten in so unterschiedlichen Produktionen wie Steven Spielbergs Always – Der Feuerengel von Montana (mit dem letzten Filmauftritt von Audrey Hepburn), Sydney Pollacks Die Firma, David Cronenbergs Crash, O Brother, Where Art Thou? der Coen-Brüder, Moonlight Mile von Brad Silberling, Catherine Hardwickes Dreizehn, Jane Campions Top Of The Lake und zuletzt in der Show Succession. Mit 50 hat das 1.57 m große Nesthäkchen übrigens noch mal einen Schuss gemacht. Aber nicht erst seit Holly Hunter 2008 ihren Stern auf dem Walk Of Fame erhielt, gehört sie zu Hollywoods Größten.
WF