Das Verhältnis des Kinos zur Realität ist so eine Sache. Einerseits sind Filme niemals ganz real, andererseits stellen sie immer auch einen Bezug zur Wirklichkeit her. Besonders spannend wird es, wenn Filmproduktionen auf wahren Begebenheiten beruhen. Handelt es sich um Kriminalfälle, erhöht der Realitätsgehalt beinahe automatisch die Spannung. Bei einigen reiben wir uns verwundert die Augen: Das soll also alles wirklich passiert sein? Natürlich ist nicht immer alles wirklich so passiert. Die Verpflichtung gegenüber der historischen Realität ist nämlich auch so eine Sache – sonst hieße es ja "Tatsachenbericht" und nicht "Basierend auf". Doch besteht in unserer Frage nach der wahren Begebenheit hinter einem Film nicht auch dessen eigentliche Leistung? Es mag ja sein, dass das Leben die schönsten Geschichten schreibt, doch es ist eine große Kunst, sie fürs Kino zu inszenieren. Wir stellen fünf Filme vor, wo das besonders gut gelungen ist. Die komplette Übersicht gibt es hier.
Monumentales Kino und ein wahrer Hintergrund beißen sich mitnichten. Eines der besten Beispiele ist sicherlich Bernardo Bertoluccis Der letzte Kaiser aus dem Jahr 1987. Der 2018 verstorbene Regie-Maestro erzählt darin aus dem Leben des Kaisers Puyi von China, der im Kleinkindalter von zwei Jahren den Thron besteigen und schon drei Jahre später wieder abdanken musste. Puyi war der zwölfte und letzte Kaiser der Quing Dynastie und Der letzte Kaiser in China überhaupt. Als Berater des Films wurde Puyis jüngerer Bruder Pu Chieh hinzugezogen sowie Li Wenda, die Puyi beim Schreiben seiner Biografie half. Der engen Zusammenarbeit mit dem chinesischen Staat ist es zu verdanken, dass Der letzte Kaiser der erste Spielfilm war, der an den Originalschauplätzen der Verbotenen Stadt gedreht werden durfte.
Der Film des britischen Regisseurs Paul Greengrass führt uns an Orte, an denen man nicht sein will. Unter anderem an Bord von Flug 93. So lautete die offizielle Bezeichnung der Boeing 757-200, die am Morgen des 11. Septembers 2001 für United Airlines von Newark nach San Francisco fliegen sollte. Sie war eine von vier Maschinen, die von Terroristen gekapert wurden. Anders als die anderen trafen sie nicht ihr "Ziel" – vermutlich das Kapitol in Washington D.C. oder das Weiße Haus. Die Maschine stürzte in Shanksville, Pennsylvania auf ein Feld, nachdem die Passagiere die Terroristen attackierten und beschlossen das Cockpit zu stürmen. Ein respektvoller, dramatischer Film, den man nicht vergisst – vermutlich auch, weil man die eigene Erinnerung an diesen schicksalhaften Tag noch im Kopf hat.
Gerade zu Zeiten von #BlackLivesMatter und überhaupt aktueller denn je: Selma handelt von einem einschneidenden Ereignis der US-amerikanischen Geschichte. Ava DuVernays ist dabei eine atemberaubende Schilderung der historischen Selma-nach-Montgomery-Märsche gelungen. Ein Zeugnis des Aufbegehrens, als Afroamerikaner*innen im Jahr 1965 in Alabama gewaltfrei für gleiche Rechte bei den Wahlen demonstrierten und brutal niederschlagen wurden. Selbst die Anwesenheit des frisch gekürten Friedensnobelpreisträgers Martin Luther King konnte damals nicht garantieren, dass es beim neuerlichen Versuch unterwegs durch die von weißem Hass geprägten Südstaaten kein weiteres Blutbad geben würde. So tief war und ist die "Segregation" im Hinterland verwurzelt. Selma zeigt nichts anderes als den mutigen Widerstand gegen eine menschenverachtende Realität und ist ein künstlerisches Statement gegen Rassismus. Trotz aller Grausamkeiten für ein großes Publikum erzählt. Eine Kunst, die Ava DuVernay seitdem oft wiederholt hat: zum Beispiel bei ihrer Netflix-Serie "When They See Us" – die wieder von wahren Begebenheiten erzählt.
Ein Stück deutsch-deutscher Geschichte: Im Jahr 1956 wird die spontane Schweigemute einer Schulklasse für die Opfer des Aufstands der Ungarn in Budapest zu einem Politikum. Nach einem gescheiterten Versuch der Schulleitung, die Aktion als renitente Laune der Jugend abzutun, will der Volksbildungsminister der noch jungen DDR an der Klasse ein Exempel statuieren. Durch Drohungen, Abkanzlungen und Manipulationen der Stasi sollen die Schülerinnen und Schüler gezwungen werden, die Rädelsführer zu benennen. Aber die Klasse hält zusammen. Regisseur und Drehbuchautor Lars Kraume hatte schon zuvor mit Der Staat gegen Fritz Bauer bewiesen, dass er sein Handwerk versteht, wenn es darum geht, gelebte Geschichte in einem packenden Spielfilm abzubilden.
Damit hier nicht alles nur Drama ist, zum Schluss noch eine leichte, schwarzhumorige Gaunergeschichte: Ein letzter Job erzählt die wahre Geschichte des berühmten "Hatton Garden Raub". 2015 hatte eine bunte Gang von Rentnern den wohl kühnsten Raub der britischen Geschichte gewagt und Juwelen, Bargeld und Gold im Wert von 200 Millionen Pfund aus dem bestgesichertsten unterirdischen Tresor Londons erbeutet. Das Drehbuch von Joe Penhall (The Road) basiert auf den Recherchen des britischen Investigativ-Journalisten Duncan Campbell. Michael Caine spielt das Mastermind Brian Reader an der Seite der britischen Schauspiel-Stars Jim Broadbent, Tom Courtenay, Michael Gambon, Ray Winstone und Charlie Cox.