1.
Von Krebsen heißt es: "Harte Schale, weicher Kern". Bergman wurde vom religiösen Vater mit dem Rohrstock gezüchtigt und verarbeitete sein Trauma wie so viele Krebs-geborene auf künstlerische Art. Die Grundhaltung seiner Filme ist kompromisslos, doch legt er darin menschliche Schwäche mit viel Feingefühl bloß. Und diese Sensibilität sagt man dem Krebs genau so nach wie seine Klugheit und Liebenswürdigkeit.
2.
Bergmans permanente Suche nach Gott, etwa in Das siebente Siegel, spricht für die Ausdauer des Krebses. Was die Annäherung an eine letztgültige Erkenntnis angeht, darf man noch mal an jene Formel erinnern, die für Krebse als charakteristisch gilt: "Einen Schritt vor, zwei zurück". Dies führte zu einem Werk von allein über 50 Spielfilmen, dazu kommen unzählige Theaterinszenierungen, darunter einige im Münchner "Exil".
Ingmar Bergmann spircht über Leben und Arbeit © Studiocanal /Bengt Wanselius
3.
Krebse sind Familienmenschen und sehnen sich nach Geborgenheit. Von Szenen einer Ehe, in dem Liv Ullman und Erland Josephsson als Mariane und Johan miteinander bis aufs Blut um ihre bürgerliche Zweisamkeit kämpfen, während sie über die gespenstisch abwesenden, gemeinsamen Kinder bloß wie über Eindringlinge sprechen, darf man sich nicht täuschen lassen. Die Utopie einer besseren Familie schwingt in diesem Drama immer mit. Krebse träumen nun mal gerne von der Möglichkeit einer anderen Welt.
4.
Ingmar Bergman war fünf Mal verheiratet und hatte neun Kinder. Sein Sohn Daniel, der auch Regisseur wurde, stammt aus der Ehe mit Käbi Laretei, die ebenfalls am 14. Juli geboren wurde. Zufall? Nee. Krebse passen halt am besten zu Krebsen – und wenn dann noch der Geburtstag identisch ist, fällt das Kind logischerweise nicht weit vom Stamm. Bergmans langjährige Lebensgefährtin Liv Ullman war übrigens Schütze. Vielleicht haben die beiden deshalb zwar eine Tochter, waren aber tatsächlich nie verheiratet. Dafür gehörte Liv Ullman natürlich längst fest zur Ensemblefamilie, so wie auch Bibi Andersson, Ingrid Thulin und Max von Sydow.
© © 1966 AB Svensk Filmindustri
5.
Der Zweifel nagt ständig an dem in guter Stimmung sehr geselligen Krebs. Die Konstellation muss stimmen. Ein Film wie der auf Bergmans Lieblingsinsel Fårö spielende Persona spricht Bände über seinen Hang zum Rückzug ins Schneckenhaus. Bei gleichzeitigem Bedürfnis, Gedanken und Gefühle mit der Welt zu teilen. Krebse gehen intuitiv und methodisch vor, sind sicherheitsliebend und verletzlich. Paradoxe Wesen. Der von Schaffenskrisen geplagte Bergman, der sich furchtlos mit Zensur und Kritik anlegte, wurde zehn Jahre vor seinem Tod in Cannes als "Bester Filmregisseur aller Zeiten" ausgezeichnet. Es dürfte Balsam auf seine Wunden gewesen sein. Ob jene aus der Kindheit oder etwa die aus dem Skandal um Das Schweigen.
Szenen einer Ehe: Nicht die heilste Welt © © 1973 AB Svensk Filmindustri
6.
Krebse können sich höchst einfühlsam in andere Menschen hineinversetzen. In der von Männern dominierten Filmwelt fallen die vielen interessanten Frauencharaktere aus Bergmans Filmen sofort auf. In einem Interview sagte er mal, er habe viele Frauen in sich. Das sei wohl nicht zuletzt auf die Liebe zu seiner Mutter zurückzuführen. Und allen Krebsen, auch den Männern, sagt man ja mütterliche Qualitäten nach.
7.
Wenn der Krebs nicht sentimental wird, dann beschleicht ihn doch wenigstens eine leichte Melancholie. Einer der Bergman-Klassiker, Wilde Erdbeeren, handelt vom Medizinprofessor Isak Borg, der sein Leben in Erinnerungen und Tagträumen Revue passieren lässt. Die titelgebenden Erdbeeren spielen eine ähnliche in die Vergangenheit führenden Rolle wie die berühmten Madeleines in Marcel Prousts Jahrhundertroman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Wen wundert es, dass auch der mit so feiner Feder schreibende französische Romancier als Krebs geboren wurde.
WF