Detailsuche

Bild zu Eine junge Pionierin: Mary Shelley – Die Frau, die Frankenstein erschuf

Eine junge Pionierin: Mary Shelley – Die Frau, die Frankenstein erschuf

Das Biopic der saudischen Regisseurin Haifaa Al-Mansour über die Pionierin der Horror- und Science-Fiction-Literatur ist sehenswert, weil Shelleys Biografie, ihre Familie und ihr Werk viel stärker ins Rampenlicht gehören.

Filmgeschichten/Drehmomente 17. August 2021

Regisseurin Haifaa Al Mansour ist selbst eine Pionierin. Ein großes Wort, das man bei ihr auf jeden Fall verwenden sollte. Sie hat 2012 den ersten abendfüllenden Film unter saudischer Regie und den ersten komplett in Saudi-Arabien gedrehten Film in die Kinos gebracht. Und bei Das Mädchen Wadjda handelte es sich mitnichten um einen Film, der den Monarchen des Königreichs gefallen haben dürfte. Es ist und bleibt eben ein Königreich, das nach dem "Global Gender Gap Report" auf einem der weltweit letzten Plätze bezüglich der Frauenrechte rangiert – auch wenn der sich gerne liberal gebende Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud vor einigen Jahren ganz gönnerhaft den Frauen erlaubte, Autofahren zu dürfen. Denn Wadjda ist ein Mädchen, das stur und selbstbestimmt ist und auf ihre Weise kleine Freiheiten mit großer Wirkung erkämpft.

Allein die Tatsache, dass Haifaa Al Mansour als Thema ihres ersten englischsprachigen Films Mary Shelly wählte, macht diesen Film besonders. Allerdings nur auf den ersten Blick: Wer sich in Al Mansours Leben einliest, lernt schnell, dass sie in einem Haushalt aufwuchs, in dem Kunst, Film und Literatur so etwas wie ein Lebenselixier waren. Ihr Vater, ein Rechtsanwalt und Dichter, zählte zu den Privilegierten im saudischen Königreich – was ihm gewisse Freiheiten ermöglichte. Unter anderem ein recht freier Zugang zu Werken, die man im islamisch-konservativen Königreich niemals auf den Lehrplänen finden würde. Später studierte Haifaa Al Mansour englische Literatur in Kairo und landete dort mit Sicherheit schon mal bei dem Buch, das diesem Film den Titel gibt: "Frankenstein – Oder der moderne Prometheus", eines der bedeutendsten Bücher der Literaturgeschichte.

Dieser erste Roman von Mary Shelley wurde am 1. Januar 1818 veröffentlicht – zunächst anonym, da die Verleger der Meinung waren, die dunkle Geschichte sei zu maskulin für eine Frau und verhandele Themen, die einer Frau nicht schicklich waren. Mary Shelley hieß damals noch Mary Goldwin und war gerade mal Anfang 20. Sie ließ sich auf den Deal ein, nachdem sie merkte, dass ihr keine andere Wahl blieb. Als der Roman sich immer besser verkaufte, wurde ihre Autorinnenschaft schließlich aufgeklärt. Der Grundstein des Romans wurde im Sommer 1816 gelegt – als Mary mit ihrer Stiefschwester Claire Clairmont und ihrem zukünftigen Ehemann Percy Bysshe Shelley (der damals noch anderweitig verheiratet war, aber schon mit Mary zusammenlebte) einen Sommer am Genfer See mit dem Dichter Lord Byron und dessen Leibarzt John Polidori verbrachte. Wobei „Sommer“ das Wort nicht so richtig trifft: Durch einen Vulkanausbruch im Jahr zuvor wurde 1816 später als "Jahr ohne Sommer" bekannt, in dem es meisten bewölkt, stürmisch und verregnet war. Im Haus gefangen und irgendwann gelangweilt von den Partys zu viert, beschloss man jeweils eine Gruselgeschichte zu schreiben.

Video kann aufgrund der gewählten Cookie-Einstellungen nicht gezeigt werden.

Um diesen Sommer und die Erfahrungen, die in "Frankenstein" einflossen, kreist der Film. Wobei Haifaa Al Mansour es nicht bei einem Biopic verlässt. Im Gegenteil: Ihr Film wirkt wie eine selbstbewusste Interpretation dieses Werkes. Vordergründig ist "Frankenstein" die Geschichte des gleichnamigen Wissenschaftlers Victor Frankenstein, der einen künstlichen Menschen erschaffen will. Das Experiment glückt, aber Frankenstein ist entsetzt über die Hässlichkeit und vermeintliche Monstrosität, die er geschaffen hat. Er verstößt seine eigene Schöpfung, versucht sie zu vergessen. Aber das Wesen hat ein Bewusstsein, versucht zu lernen und gar zu lieben – und erfährt von den Menschen nur Ekel, Abscheu, Brutalität und Kälte. Von Einsamkeit, einer existenziellen Identitätskrise und Enttäuschung gezeichnet, wendet sich die Schöpfung gegen seinen Schöpfer. Das namenlose "Monster" – das fälschlicherweise oft Frankenstein genannt wird – ist also weit mehr als ein Bösewicht. Es ist ein tragisches, gezeichnetes, zutiefst menschliches Wesen. Das, folgt man Al Mansours Interpretation, vor allem von Vernachlässigung, Verlust und unerwiderter Liebe geprägt ist. Allesamt Erfahrungen, die Mary Shelly in jungen Jahren erdulden musste.

Elle Fanning spielt diese junge Mary Shelley auf wunderbare Weise. Vorher vor allem als Kinderstar wahrgenommen, erzeugt ihr Auftreten einen Schockeffekt, den Al Mansour sich gewünscht hatte. Sie sagte dem Magazin Entertainment Weekly im Interview: "Wir wollten unbedingt eine junge Schauspielerin, allein schon, um der Welt vor den Kopf zu knallen, wie jung Mary Shelley damals war. Und Elle war ein Kinderstar, der gerade erwachsen wurde. Ich mochte sie schon immer, weil sie so elegant war und so mühelos erschien. Ihr Spiel hatte stets etwas sehr subtiles, was gut zu dieser Rolle passte: Ich wollte eine junge Frau zeigen, die durch ein hartes Leben gehen musste – aber diesem nicht zum Opfer fiel."

Al Mansour serviert uns in Mary Shelley – Die Frau, die Frankenstein erschuf aber kein grimmiges Gothic-Kostümdrama, das permanent auf die Tränendrüse drückt. Im Gegenteil: Ihr Film wirkt wie der Versuch, diese besondere Frau einem Publikum im Teenager-Alter nahezubringen. Elle Fanning als Mary, Bel Powley als Stiefschwester Claire Clairmont, Douglas Booth als Percy Shelly, Ben Hardy als John Polidori und Tom Sturridge als Lord Byron wirken in den Szenen am Genfer See oft wie eine wildgewordene Rockband, die eigentlich in einer Studiovilla ein Album aufnehmen sollte, sich dabei aber in Exzess, Liebesdramen und Poesie verliert. Mary schaut dabei oft mit Verachtung auf ihren Ehemann und den selbstbesoffenen Lord Byron, wenn sie sich in großen, schwülstig formulierten Gedanken über die Existenz verlieren – aber selbst für nichts und niemanden Verantwortung übernehmen wollen. Elle Fanning sagte dazu in einem Interview: "Die Lovestory zwischen Mary und Percy macht einen großen Teil des Films aus. Aber es ist keine gewöhnliche Lovestory – die beiden haben eine sehr komplizierte Beziehung, in der es oft wild und dramatisch zugeht. Es ist zwar ein Historiendrama, wir tragen wirklich alle die Korsetts des 19. Jahrhunderts, aber wir wollte die Geschichte für ein junges Publikum zugänglich machen. Vor allem für junge Frauen." Für Fanning habe der Film "etwas sehr Modernes. Die Art, wie sie damals zusammenlebten war für ihre Zeit geradezu skandalös. Sie waren ein wenig wie die Bohemians der 60er – sie waren auf ihre Weise Rebellen, die auf die gesellschaftlichen Erwartungen pfiffen."

Wie bereits erwähnt, bekam Mary Shelley – Die Frau, die Frankenstein schuf, viele mittelmäßige Kritiken. Auffällig oft kamen sie von männlichen Kritikern, die vielleicht nicht wirklich sahen, auf was Al Mansour da hinauswollte. Klar, man kann dem Film vorwerfen, dass er manchmal sein Tempo nicht findet und ein wenig unentschlossen wirkt. Aber wer ihn gesehen hat, der spürt danach zuallererst die unbändige Lust, mehr über Mary Shelley, ihr Werk, ihr Leben und die Bedeutung ihrer Kunst für die Nachwelt zu lernen. Denn Shelley hat quasi als Teenagerin mal eben das Genre des Horrorromans auf eine neue Ebene gebracht und mit ihren starken wissenschaftlichen Bezügen das Science-Fiction-Genre begründet. Und einen weiteren Nebeneffekt hat der Film ebenso: Wir lernen auch, dass Mary die Tochter des Sozialphilosophen und Anarchisten William Godwin und der Schriftstellerin, Übersetzerin, Philosophin und Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft war, die kurz nach Marys Geburt verstarb. Wenn Sie also nach diesem Film das reichhaltige Gesamtwerk der Mary Shelley verschlungen haben, widmen Sie sich unbedingt noch einmal Wollenstonecrafts "A Vindication of the Rights of Woman" – eine politische Schrift, die wie Mary Shelleys Romane ihrer Zeit weit voraus waren.

Wenn ein Film diese Neugier auf die Menschen auslöst, die er zeigt, dann hat man als Regisseurin alles richtig gemacht.

DK

Dazu in unserem Magazin

Arthaus Stores

Social Media