Zur Weihnachtszeit ist es ein bekanntes Bild – zumindest im christlichen Abendland. Aus sämtlichen Ecken des jeweiligen Landes und dem Rest der Welt strömen einzelne Familienmitglieder auf jenen Fluchtpunkt zu, in dem sich alle ihre Biografien verjüngen. Sie kommen nach Hause. So beginnt auch Thomas Vinterbergs Das Fest. Ein Film, der vor gut 20 Jahren die Kinozuschauer*innen durchrüttelte. Nicht nur, weil es darin um eine brutale Familiengeschichte geht. Das Fest war der erste Film, der nach den Regeln des Dogma 95 gedreht wurde, als dessen herausragender Vertreter sich alsbald Lars von Trier erweisen sollte. Alleine die Wackelkamera sorgte für gemischte Gefühle beim Publikum.
Schonungslos macht Vinterberg deutlich, dass sich hier eine dysfunktionale Gemeinschaft versammelt. Anlass ist der 60. Geburtstag des Hoteliers und Patriarchen Helge Klingenfeld-Hansen (Henning Moritzen). Während Christian Klingenfeld (Ulrich Thomsen) beim Spaziergang zum Elternhaus noch über die Schönheit der dänischen Landschaft sinniert, brausen sein cholerischer Bruder Michael (Thomas Bo Larsen) und dessen Frau Mette (Helle Dolleris) sowie die Kinder beinahe im Auto an ihm vorbei. Schwupps wirft Michael seinen Anhang aus der Familienkutsche und nimmt stattdessen Christian mit. Mette und die Kids dürfen zu Fuß gehen. Der erste Streit ist garantiert. Schöne Bescherung!
Der eigentliche Festakt entwickelt sich zum Nerven aufreibenden Drama. Denn hinter den Problemen und Neurosen einer "ganz normalen Familie", wie ein leuchtender Tannenbaum sie Jahr für Jahr in so vielen Haushalten illuminiert, tritt im Anwesen der Klingenfelds ein verdammt düsteres Geheimnis aus dem Schatten der Vergangenheit, die – wir wissen es – niemals wirklich vergangen ist. Althergebrachte Machtverhältnisse werden plötzlich auf den Kopf gestellt. Auch Paprika Steen als Christians und Michaels Schwester Helene zieht uns aus diesem klaustrophobischen Stück mit faszinierender Wucht in die Untiefen ihrer Figur. Das Fest dürfte wohl jedem als ein Film in Erinnerung bleiben, der den Finger in viele Wunden legt.
Trotz seiner seelischen Grausamkeiten könnte Das Fest der richtige Film zum Fest sein. Als Kunstwerk betrachtet, ist er für Filmliebhaber*innen jedenfalls ein Grund zur Freude. Und schließlich erinnert er uns daran, dass wir unseren Freunden und Angehörigen stets mit dem nötigen Respekt begegnen sollten – und wie wertvoll das Wohlergehen derjenigen ist, die uns am nächsten stehen. Dass Thomas Vinterberg keinen Feelgood-Movie nach den Regeln einer Hollywood-Komödie gedreht hat, um das zu betonen, kann man ihm schlecht vorwerfen. Das Leben ist kein Wunschkonzert, auch wenn man in der besinnlichen Zeit den Liebsten so manchen Herzenswunsch erfüllen sollte. Und wenn es nur ein paar glückliche Stunden sind, die wir uns und den anderen schenken. Kein Dogma der Welt sollte uns daran hindern.
WF