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Bild zu Kampfkunst von Tiger & Dragon bis Ghost Dog: Schweben und schweben lassen

Kampfkunst von Tiger & Dragon bis Ghost Dog: Schweben und schweben lassen

Ob Ballett über den Baumwipfeln, oder harte Action – hinter Martial Arts steckt immer ein tieferer Sinn. Mit dem Zen des Filmeguckens lässt er sich ergründen.

10. Mai 2024

Eine Filmsequenz aus dem Jahr 1971 machte Schule. Die Kung-Fu-Szenen im Bambuswald aus King Hus Martial-Arts-Klassiker Ein Hauch von Zen haben das Genre damals auf ein anderes Level gehoben. Die Figuren schwebten in dem wundervollen Mix aus Geistergeschichte und Abenteuerfilm buchstäblich über den Dingen – und ließen fortan die Held*innen in vielen weiteren Action-Filmen durch die Luft fliegen. Nachhaltig inspiriert zeigte sich Ang Lee, der mit Tiger & Dragon – Der Beginn einer Legende (2000) ein Update Jahrzehnte alter chinesischer Filmkultur schuf, das nicht nur in den Kampfszenen stark an King Hus Pionierleistung erinnerte. Wie so oft im Kosmos der Martial Arts, geht es auch in Ang Lees vierfach Oscar-prämierten Kostümfilm-Krimi um Geheimnisse und Versteckspiele – im Vordergrund aber steht die Kampfkunst, in der alle verschlungenen Wege zusammenführen. Kung Fu gilt heutzutage als Sammelbegriff sämtlicher chinesischer Martial Arts, von denen Wing Chun vermutlich die bekannteste Variante ist.

Ähnlich wie in Ein Hauch von Zen, entpuppt sich bei Ang Lee eine junge Frau als furchtlose und virtuose Kämpferin. Im Mittelpunkt der Handlung steht hier ein altes Schwert, das als Wunderwaffe verehrt wird und ein Symbol für Unabhängigkeit ist. Jen will es in ihren Besitz bringen, um einer Zwangsheirat zu entgehen. Doch da gibt es noch ein paar Mitstreiter*innen und Gegenspieler*innen sowie einige alte Rechnungen, die diese untereinander offen haben. Das führt zu grandios choreografierten Turbulenzen – schon bald kann Jen nicht mehr unentdeckt und ungestört über den Dächern durch die Nacht wandeln.

In Ein Hauch von Zen wiederum hegt der Schreiber und Maler Ku Heiratsambitionen, die ihm allerdings erst durch die unzufriedene Mutter nahegelegt werden müssen, die mit dem gesellschaftlichen Status des Sohnes unzufrieden ist. Klassenfragen spielen stets eine große Rolle in den alten Geschichten. Seine vagen Hoffnungen muss sich der unbedarfte Ku schnell abschminken – jedoch nicht wegen der niederen Stellung oder auf Grund des mangelnden Geldes. Die von ihm verehrte neue Nachbarin Yang ist keine unschuldige Schönheit, sondern Teil einer Widerstandsgruppe, die es mit den Truppen des Kaisers aufnimmt. Der Bambuswald wird zur malerischen Bühne ihrer eleganten Technik, die auch eine Form der Emanzipation ist. Für romantisches Techtelmechtel bleibt da keine Zeit.

"Tiger & Dragon" © Studiocanal

"Tiger & Dragon" © Studiocanal

Weniger pittoresk ist das Setting in Farang – Schatten der Unterwelt (2023) von Xavier Gens. Die französisch-thailändische Produktion spielt in Thailand und erzählt eine Rachegeschichte quasi im Tempo eines Computerspiels. Sehr zeitgemäß also, da sich Martial Arts in der Gaming-Community großer Beliebtheit erfreuen. Der Film geht aber in die Tiefe und erzählt auch von institutionalisiertem Rassismus, der es in seiner Grausamkeit mit den blutigen Fights aufnehmen kann.

"Farang" © Studiocanal

"Farang" © Studiocanal

Wenn man an Martial Arts und ihre tiefere Bedeutung denkt, kommt einem recht schnell der Name Bruce Lee in den Sinn. Lee wurde 1940 in San Francisco geboren und starb 1973 in Hongkong, womit ein wichtiger Aspekt seines Lebens bereits zum Ausdruck gebracht wird – das Spannungsverhältnis der sinoamerikanischen Herkunft. Auch eine Klammer zur Geschichte des Genres ist damit gesetzt. Hongkong als Produktionsort darf als eine Art chinesisches Martial-Arts-Mekka bezeichnet werden, dazu kommt Taiwan, wo auch ein Ein Hauch von Zen produziert wurde. Mit der Zeit wurden die USA ein wichtiger Faktor (und auch in Europa ist das Genre angekommen).

Das amerikanische Kino war schon seit den 1950er Jahren durch asiatische Filme inspiriert worden, besonders der Einfluss der japanischen Regie-Koryphäe Akira Kurosawa ist enorm. Unter anderem basiert der legendäre Western Die glorreichen Sieben von John Sturges auf Kurosawas Epos Die sieben Samurai. Von Klassikern aus Japan wie zum Beispiel Lady Snowblood zeigte sich später ein gewisser Quentin Tarantino schwer beeindruckt. Die Kill Bill-Filme drehten sein gesamtes Videotheken-Studium im Fach Martial Arts durch den Wolf. Im Lauf der Jahre schafften Martial-Arts-Filme den Weg ins Mainstream-Kino, und der mit Geldern aus Hongkong, Taiwan und den USA produzierte Tiger & Dragon – Der Beginn einer Legende darf als ein Höhepunkt dieser Entwicklung angesehen werden.

Lange gehörten Filme über Shaolin-Mönche und Samurai eher zum exklusiven Know-how des Underground, was auch mit teilweise expliziten Gewaltdarstellungen zu tun hatte – oder mit den vermeintlich oberflächlichen Filmhandlungen. Der Einfluss der Martial Arts auf die US-amerikanische Gegen-, Sub- und Popkultur seit den 1970er Jahren ist allerdings gewaltig. Das liegt auch an der Ikone Bruce Lee – aber nicht nur. Nicht von ungefähr nannte die Hip-Hop-Formation Wu-Tang-Clan in den 1990er Jahren ihr Debüt-Album "Enter the Wu-Tang (36 Chambers)", womit sie die Titel der beiden stilbildenden Filme Enter the Dragon (mit Bruce Lee in seinem Todesjahr und dem legendären Spiegelsaal-Showdown) sowie Die 36 Kammern der Shaolin (1978) von Lau Kar-leung verband, der die harte Shaolin-Ausbildung durchexerziert. Die Filme sind sehr unterschiedlich in ihrer Interpretation chinesischer Kampfkunst, doch beide gehören heute zum Kanon der Filmgeschichte.

"Ghost Dog" © Studiocanal

"Ghost Dog" © Studiocanal

Während man aus Bruce Lees Geschichte lernt, wie er sich als unwahrscheinlicher asiatischer Held im US-Filmbusiness der 1970er erfolgreich inszenieren konnte – bis heute keine Selbstverständlichkeit –, zeigt das Werk des Traditionalisten Lau Kar-Leung die Bandbreite der chinesischen Kinokampfkunst, deren Ausführung eher an das europäische Ballett erinnert. Hinzu kommen Slapstick-Elemente, darunter fallen auch ernst gemeinte Martial-Arts-Varianten wie "Drunken Boxing". Dabei imitieren die Kämpfer die Bewegungen Betrunkener, um ihre Gegner in die Irre zu führen.

In Heroes of the East (1978) nahm Lau Kar-Leung die Konkurrenz zwischen japanischen und chinesischen Kampfstilen aufs Korn, mit dem besseren Ende für die Chinesen, da sie die "reine Lehre" repräsentieren. Aber letztlich gehören auch Karate oder Ninja-Taktiken zu den traditionsreichen Martial Arts – im Kino sowieso. Karate Kid von John G. Avildsen mit der Kultfigur des Mr. Miyagi war schließlich der erste Vorbote der Etablierung von Martial Arts als filmhistorisch wertvolle Errungenschaft und als potenzieller Mega-Kassenmagnet.

Über die Erfolge eines Jean-Claude van Demme sinniert Jim Jarmuschs Held aus dessen Meisterwerk Ghost Dog – Der Weg des Samurai (1999) sicher nicht – und schweben beziehungsweise fliegen lässt er nur seine Brieftauben. Aber über Martial Arts und deren Philosophie kann man von ihm viel erfahren. Ein Auftragskiller auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, der dem spirituellen Leitfaden der Samurai folgt, muss wissen wovon er spricht. Oder worüber er lieber schweigt. Ohne Körperbeherrschung wird man jedenfalls nie die innere Balance finden – und wer im Herzen nicht die Waage halten kann, wird auch physisch kaum auf den Füßen landen. Ob man ein Schwert, eine Schaufel oder einen Stift in Händen hält, spielt dabei keine so besonders große Rolle. Man muss das Leben nehmen, als wäre man schon gestorben – und immer wieder Filme schauen, als hätte man sie noch nie gesehen.

WF

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