Wasser ist ein faszinierendes Element, weil sich in ihm Wesen tummeln, die angesichts ihrer Andersartigkeit unserer Idee von außerirdischem Leben wohl am nächsten kommen, nimmt man phantastische Wesen aus fiktionalen Geschichten außen vor. Aber Wasser fasziniert uns auch, da es die Wahrnehmung so stark beeinflusst, zum Beispiel Schallwellen besser überträgt als die Luft. Schließlich reizt Wasser noch durch Gefahr, denn ohne Hilfsmittel können wir nicht auf Dauer in ihm überleben.
Die Autorin Leanne Shapton beschreibt im sehr empfehlenswerten Buch "Swimming Studies" ihr Verhältnis zum Wasser – aus der Perspektive einer Leistungsschwimmerin. Schwimmen bedeute für sie, auf dem Grund von ruhigem klaren Gewässer eine Muschel zu sehen, offensichtlich in Reichweite und zu leicht zu bekommen, danach zu greifen und beim Durchbrechen der Wasseroberfläche zwangsläufig ein anderes Bild zu erzeugen – von fünf oder sogar fünfundzwanzig Muscheln, manche kleiner, manche größer. Also eine Brechung der trockenen Realität zu erleben, die nur das Wasser hervorzurufen vermag, wenn man es provoziert.
Kathryn Bigelows Thriller Das Gewicht des Wassers beginnt nicht zufällig mit leicht verschwimmenden Eröffnungscredits. Das Wasser steht in der Geschichte nach einem Roman von Anita Shreve für Sehnsucht und Isolation zugleich. Mit den Wellen der Brandung, die ohne Unterlass auf die Küste Neuenglands treffen, brechen allmählich die Zeitebenen rund um den Besuch der Foto-Journalistin Jean. Gemeinsam mit ihrem Mann, dessen Bruder und dessen Freundin begibt sich Jean auf einen Segeltörn und auf die Spuren eines historischen Verbrechens. Plötzlich ist nichts mehr wie es scheint, und die Toten der Vergangenheit steigen mitsamt ihren Geheimnissen an die Oberfläche.
Bigelow verknüpft blutigen Mord mit psychologischer Kriegsführung, Erotik mit Toxikologie. Dabei steht ihr ein phänomenaler Cast zu Verfügung – Catherine McCormack, Sean Penn, Elizabeth Hurley, Josh Lucas, Ciarán Hinds und Ulrich Thomsen verwandeln sich unter dem Gewicht des Wassers sämtlich in Wesen, denen nicht mehr über den Weg zu trauen ist. Was ist damals an diesem Ort geschehen, als zwei Frauen mit einer Axt niedergemetzelt wurden – und wohin führen die Nachforschungen Jeans so viele Jahr später?
Bigelow verknüpft blutigen Mord mit psychologischer Kriegsführung, Erotik mit Toxikologie
Wenn man sich in Kathryn Bigelows Biografie vertieft, erfährt man übrigens, dass sie als Schauspielerin in Lizzie Bordens Born in Flames die Rolle einer Zeitungsredakteurin spielte – im feministischen Underground-Science-Fiction-Klassiker ausgerechnet jener Regisseurin, die ihren Namen als Teenager abwandelte und deswegen so heißt wie die vermeintliche Axtmörderin Lizzie Borden. Deren Fall schlug Ende des 19. Jahrhunderts hohe Wellen und erzeugt bis heute ein leises Rauschen. Unterschwellig ist es in Das Gewicht des Wassers durchaus zu vernehmen. Könnte sein, dass es sich um reine Einbildung handelt, wahrscheinlicher ist jedoch, dass dieser Film die Sinne schärft, indem er eine ganz eigene Atmosphäre schafft. Schlagen Sie nach unter: Kathryn Bigelow in ihrem Element.
WF