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Les Parasites im Interview über ihre Serie The Collapse

Guillaume Desjardins, Jérémy Bernard und Bastien Ughetto nennen sich Les Parasites, produzieren für ihren YouTube-Channel seit Jahren komische, traurige und fast immer irgendwie politische Kurzfilme und haben mit The Collapse nun ihr TV-Serien-Debüt gegeben. Da es zu wenige Interviews mit ihnen auf Deutsch gibt – haben wir einfach mal eines gemacht.

Persönliches/Gespräche 01. Dezember 2020

Von der apokalyptischen, aber dabei sehr real wirkenden Serie The Collapse haben wir ja schon einmal etwas ausführlicher geschwärmt. Regisseure und Autoren der Serie sind Guillaume Desjardins, Jérémy Bernard und Bastien Ughetto, die gemeinsam das französische Filmkollektiv Les Parasites bilden. Seit 2013 produzieren sie für ihren YouTube-Channel Kurzfilme, die oft eine feine Ballance zwischen Humor, politischer Ambition, Millennial-Weltschmerz und Drama beweisen. Bei der Recherche zu unserem Artikel über The Collapse fiel uns auf, dass es so gut wie keine deutschsprachigen Interviews mit ihnen gibt. Das wollten wir ändern. Das Interview fand per Mail statt – die jeweiligen Antworten haben die Drei zusammen formuliert. Zum Einstieg in ihr Kurzfilmwerk empfehlen sie übrigens Jeu de Société, La Boucherie Ethique und Crise d’empathie – alle drei gibt es bei YouTube mit englischen Untertiteln.

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Die meisten eurer Filme sind kaum länger als zehn Minuten. Auch The Collapse besteht aus einzelnen Episoden, deren Spielzeiten bei rund 20 Minuten liegen. Warum bevorzugt ihr diese Kurzform? Viele eurer Ideen würden schließlich auch längere Filme tragen.
Sie ermöglicht es uns, unabhängig und wendig zu bleiben. Und wir können auf diese Weise mehrere Themen bearbeiten, die uns interessieren. Volle künstlerische Kontrolle ist uns dabei sehr wichtig. Wir sind am besten und auch am schnellsten, wenn wir mit einem kleinen Team arbeiten und finden es oft nervig, dass größere Projekte so viel Zeit fressen. Die Pilotfolge von The Collapse ist übrigens auch deshalb entstanden: Wir konnten bei einem anderen Projekt nicht weiterarbeiten, weil wir da von externen Entscheidungen abhängig waren. Also haben wir den Piloten gedreht – einfach weil wir Lust aufs Filmen hatten!

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Im Kurzfilm Lanceur D’Alerte mischt ihr sozusagen politischen Aktivismus, Journalismus und fiktives Storytelling, in dem ihr ein real existierendes aber etwas abstraktes Daten-Leak erzählerisch aufbereitet. Das Thema war in den französischen Medien eine Weile präsent, aber auch nicht so, wie es das verdient hätte. Solche konkreten Zugänge mit Message findet man oft bei euch. Wie entscheidet ihr, welche Themen ihr als Film inszeniert?
Wir verarbeiten einfach, was uns beschäftigt. Auch wenn es politische Geschichten sind, geht es um Dinge, die uns emotional umtreiben – Korruption, mangelnde Empathie, technische Entwicklungen, die uns Angst machen, Zwischenmenschliches, oder eben auch apokalyptische Gedanken, die man schnell bekommt, wenn man schaut, wie wir unseren Planeten behandeln. Die Arbeit an The Collapse war da sehr kathartisch! Wir haben das Bedürfnis, diese Dinge in Fiktion auszudrücken, um damit im Idealfall Debatten anzuregen und die Gesellschaft zu verändern. Ein gutes Beispiel dafür ist La Boucherie Ethique – das Projekt, an dem wir vor der Serie arbeiteten. Es ist eine Fake-Werbung über das Fleischessen. Da wir alle drei Vegetarier oder Veganer sind, schien es uns naheliegend, an dieser Debatte teilzunehmen. Also erzählen wir die Geschichte eines Metzgers, der eines Tages schwört, den Tod eines einzelnen Tieres nicht mehr zu finanzieren. In seinem Kopf entsteht die Idee, das Fleisch zu nehmen und zu essen aber diese Teile durch Prothesen zu ersetzen. Wir wollten anders über das Themen sprechen, als wir es normalerweise in den Sozialen Medien tun, wo man sich schnell in Diskussionen verstrickt und schon verhärtete Fronten aufeinandertreffen. Also gingen wir ins Absurde, um das Thema zu hinterfragen und die Menschen vielleicht dazu zu bringen, sich den Irrsinn der Fleischindustrie bewusst zu machen.

Am Set von The Collapse © William Dupuy / CANAL+

Am Set von The Collapse © William Dupuy / CANAL+

The Collapse ist nun eure erste Produktion für einen der größten TV-Sender Frankreichs. Wie kam es dazu?
Zu Beginn gab es nur eine Episode, die an der Tankstelle. Wir haben sie selbst produziert und gefilmt und waren von dem Dreh und auch von dem Ergebnis regelrecht elektrisiert. Wir wollten das Motiv noch in fünf weiteren Szenarien weiterspielen und eigentlich alle zwei Monate eine Folge für unseren Youtube-Channel produzieren. Aber dann dachten wir, wir könnten auch mal CANAL+ fragen, weil das ja schon wie eine richtigen TV-Serie funktioniert im Kern. Wir haben uns mit dem Team dort sehr gut verstanden und Arielle Saracco, die Leiterin der Originalkreation des Senders hat uns dann überzeugt, von sechs auf acht folgen zu gehen.

Mir gefiel gerade diese Verdichtung auf einen Ort und eine bestimmte Gruppe von Menschen, die dort zusammentreffen. Ich lese sehr gerne dystopische Romane und mir fällt dabei immer wieder auf, dass es nicht die groß angelegten Charaktergeschichten darin sind und auch nicht ausufernde Nacherzählungen, wie jetzt eine Welt den Bach runter geht, die mich von einem Setting überzeugen, sondern die kleinen, gut beobachteten Zwischenkapitel. In „The Stand“ von Stephen King ist mir zum Beispiel auch eine Szene an einer Tankstelle und der Bar daneben am eindrücklichsten in Erinnerung geblieben. Ihr habt ein ähnlich gutes Händchen bei der Wahl der Orte. Das merkt man schon daran, dass die Serie im Supermarkt beginnt – der Ort, wo man in diesem Pandemie-Jahr auch zum ersten Mal erschreckend konkret an einem leeren Mehl-Regal einen Hauch von Apokalypse spürte. Wie habt ihr diese Orte festgelegt?

Wir wollten von Anfang an Geschichten erzählen, die diesen großen Zusammenbruch auf menschlicher Ebene behandeln. Also Dinge zeigen, die jeder im Falle eines Zusammenbruchs erleben kann. Meistens haben wir uns von etwas inspirieren lassen, das bereits existiert, und dann ein Merkmal verschärft. Der Supermarkt oder die Tankstelle, das sind alltägliche Orte, von denen wir völlig abhängig sind. Mit dem Supermarkt anzufangen lag nahe, weil er das perfekte Symbol für die Abhängigkeit eines im Grunde nicht sehr belastbaren Systems ist. Die meisten Menschen haben keine Autonomie über ihre Ernährung. Wir haben alle schon einmal in den Nachrichten Bilder von langen Warteschlangen an diesen Orten gesehen. Es war uns klar, dass wir darüber schreiben sollten. Für die Episode des Flugzeugs und die auf dem Boot war unser Ausgangspunkt, sich mit einer anderen sozialen Klasse zu befassen – der obersten, die diesen Zusammenbruch vorwegnimmt. Man liest immer häufiger Artikel über diese Leute, die Inseln kaufen oder sogar Pläne haben, künstliche Inseln zu bauen. Sie schaffen Fallbacks, um zu entkommen, sich selbst zu schützen und weiterhin ihre Privilegien zu genießen. Wir haben uns da also nur von dem inspirieren lassen, was bereits existiert. Für das Altersheim fragten wir uns, was mit den Schwächsten und Abhängigsten von uns passieren würde, wenn morgen alles auseinanderfallen würde. Wir hatten noch Dutzende Ideen mehr für weitere Orte, Menschen und Situationen. Wir wählten am Ende das, was uns am wichtigsten erschien und was es uns ermöglichte, die Themen einzubeziehen, die wir ansprechen wollten: unsere Energieabhängigkeit, die Wichtigkeit von Hilfsbereitschaft und Empathie in einer Gesellschaft, das weit verbreitete "Jeder für sich!"-Denken, die heutigen politischen Entscheidungen, oder die Risiken unserer Fabriken und Kraftwerke. Stilistisch war uns dabei sehr offensichtlich Children of Men von Alfonso Cuarón eine große Referenz – und auch Victoria von Sebastian Schipper. Als wir den im Kino gesehen hatten, waren wir so beeindruckt, dass wir beschlossen, auch mal das Abenteuer einer One-Take-Aufnahme auszuprobieren. Das war ein echter Schlag ins Gesicht!

Am Set von The Collapse © William Dupuy / CANAL+

Am Set von The Collapse © William Dupuy / CANAL+

Wie fühlt sich das eigentlich an, mit dieser Serie dank der Pandemie sozusagen das perfekte Timing hingelegt zu haben?
Die Covid-19-Krise hat uns bewusst gemacht, dass unsere Serie eben keine Dystopie ist, sondern ein Blick auf die Dinge, die uns so ähnlich tatsächlich erwarten werden. Wir haben uns beim Schreiben an der visionären Arbeit von zahlreichen Wissenschaftler*innen bedient und versucht, sie in Katastrophengeschichten zu übersetzen. Der Meadows-Bericht "The Limits To Growth", der viele Dinge, die wir in The Collapse andeuten, vorhersagt, war zum Beispiel sehr wichtig – und er stammt übrigens aus dem Jahr 1972. Als wir The Collapse schrieben, mussten wir uns in eine sehr nahe Zukunft hineinversetzen – durch Covid-19 wurde uns dann schmerzhaft bewusst, dass wir vielleicht doch schon mitten drin stecken in einer Realität, die auch diesen Weg gehen wird. Wir hoffen, dass die Pandemie trotz aller Tragik zumindest ein wenig dabei geholfen hat, auf die Mängel in unserer Zivilisation aufmerksam zu machen. Leider sieht es aber so aus, als würde unsere Welt nach Ablauf dieser Zeit wieder zu "business as usual" zurückkehren.

Bei euren Charakteren gibt es oft kein klar erkennbares "Gut" und "Böse", wie man es sonst von den Hollywood-Blockbuster-Apokalypsen kennt. Allerdings scheint ihr schon eine große Freude dran zu haben, den Reichen zu zeigen, dass sie vielleicht nicht so sicher sind, wie sie denken. Andererseits gibt es bei euch viele kleine, sehr empathische Gesten, die eben nicht zynisch sondern fast hoffnungsvoll sind. Also, die großen Fragen zum Schluss: Wie denkt ihr über die Menschheit? Gibt es noch Hoffnung oder sind wir am Arsch?
Ja, wir waren nicht nett zu den Reichen. Aber die haben sich das ja selbst eingebrockt. Wir ziehen es eben vor, Egoismus lächerlich zu machen, anstatt ihn als Stärke zu sehen. Das Buch "L’entraide, l’autre loi de la jungle" von Pablo Servigne und Gauthier Chapelle hat uns sehr inspiriert. Es war uns wichtig, nicht noch einmal eine postapokalyptische Welt zu zeigen, in der jeder sich selbst töten will und in der jeder Mensch eine potenzielle Gefahr darstellt. Wir wollten die Empathie und Hilfsbereitschaft der Menschen in einer Welt zum Ausdruck bringen, in der alle unsere Lager zusammenbrechen. Wir haben das in der Episode "Der Weiler" aufgegriffen. Es ist diese Vorstellung von Gefahr, die durch viele Fiktionen vermittelt wird, die unsere drei Helden dazu bringt, Angst vor den Menschen im Dorf zu haben. Sie sind überzeugt, dass sie ihnen Schaden zufügen, also reagieren sie, bevor es ihnen passiert. Wir müssen diese Vorstellungen umkehren, die unsere Gesten und Gedanken durchdringen. Wir haben viele Momente der Nächstenliebe in unsere Serie. Wir glauben immer noch an die Menschheit! Es gibt viel Hoffnung. Wenn wir nur wirklich unser Schicksal entscheiden würden ...

Daniel Koch

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