In Lara spielst du einen jungen Pianisten, dessen ehrgeizige Mutter sich auf den Weg zu seinem großen Konzertauftritt am Abend macht. Hast du schon mal in einem Film mitgespielt, in dem du gleich so präsent warst ohne dass du selbst in Erscheinung getreten bist?
Ich fand Viktor als Figur reizvoll, weil es keine klassische Nebenrolle ist. Er ist immer gegenwärtig, auch wenn er nicht im Bild ist, und das lädt ihn mit Bedeutung auf. Er guckt ja vor seinem ersten persönlichen Erscheinen schon von einem Plakat auf seine Mutter Lara runter. Überlebensgroß. Es erinnert mich ein bisschen an Apocalypse Now, wo man ständig über Colonel Kurtz spricht, der dann einen relativ kurzen Auftritt hat, bei dem man ihn nur im Halbdunkel sieht.
Durch den Spannungsaufbau und die Musik kann man Lara als Psychothriller sehen. Aber gibt es Aspekte der Geschichte, die dich an Jan-Ole Gersters ersten Film Oh Boy mit dir in der Hauptrolle erinnert haben?
Lara spielt wie Oh Boy an einem Tag und ist fokussiert auf eine Hauptfigur, die der Welt ein wenig abhanden gekommen ist. Jan-Ole hat mit diesen beiden Filmen schon seinen eigenen Stil gefunden. Er ist ein Meister der Auslassung und man merkt, dass er Bergman-Fan ist. Er packt in Oh Boy und Lara große Themen an, versieht sie aber nicht mit einer plakativen Message oder einer bestimmten Moral, sondern mit einer großen Luftigkeit.
Beide Filme zeichnen sich durch eine spezielle Intensität aus. Sind es die Leerstellen, die einen als Zuschauer zum Nachdenken bringen?
Sie geben den Filmen den Raum und die Kraft, das Publikum zu berühren. Ich fand es schon bei Oh Boy so toll, dass viele Leute das Gefühl hatten, das sei ihr Film und ihn dabei ganz unterschiedlich betrachtet haben. Die einen empfanden ihn als heiter und als tolle Komödie, die anderen als total deprimierend. Das sind die Möglichkeiten, die Kunst hat, ohne moralisch werden zu müssen. Wie bei einem Musikstück, wo du denkst, es ist nur für dich komponiert.
Das erste Aufeinandertreffen von Lara und Viktor ist einer der Höhepunkte des Films. Die Spannung ist greifbar, und du spielst den Sohn der anspruchsvollen Mutter gegenüber in einer Art Schutzhaltung. Wie bereitet man sich auf so eine wichtige Szene vor?
Ich kann mit der Figurenkonstellation in Lara persönlich viel anfangen und weiß genau, wovon dieser Film erzählt. Ich hatte außerdem eine Menge Zeit, mich in Viktors Gefühlwelt reinzudenken, um das in dieser einen Szene auf den Punkt zu bringen. Das klingt vielleicht schwierig, aber wenn du im Bauch kapiert hast, in welchem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis die beiden Figuren zueinander stehen und welche inneren Dramen sie durchleben, dann ist es wie Surfen. Eigentlich ganz einfach.
Wo liegen deine Berührungspunkte mit Viktor oder mit dieser Figurenkonstellation, wie du es ausgerückt hast?
Mich interessiert der Konflikt, den man hat, wenn man etwas Künstlerisches macht und sich damit der Öffentlichkeit aussetzt. Um gut zu sein, muss man eine gewisse Ahnung von und Demut vor dem entwickeln, was man tut. Das ist die Grundvoraussetzung. Lara und Viktor streben beide nach Perfektion – und die Krux an der Perfektion ist, dass sie nicht zu erreichen ist. Das heißt, selbst wenn du irgendwann zufrieden bist, hält dieser Zustand nicht lange an.
Nicht gerade das, was man Smalltalk nennt. Viktor und Lara Jenkin im Gespräch über die Kunst…
Würdest du dich als Perfektionisten bezeichnen?
Ich habe für den Film fünf Monate lang unablässig Klavier geübt. Ich konnte vorher schon ein bisschen spielen und es ist in Zeiten von CGI auch gar kein Kriterium, einen Schauspieler für eine solche Rolle zu besetzen oder nicht. Mit einer grünen Maske spielt es jemand anderer ein und es wird dann dein Gesicht draufgesetzt – fertig. So geschehen bei Green Book oder bei Liberace.
Du hast bei Viktors Auftritt also tatsächlich gespielt, um dich so perfekt wie möglich in ihn hineinzuversetzen?
Nicht wirklich, weil es ein gemutetes Klavier war. Aber ich habe so lange geübt, bis das Orchester hinter mir sehen konnte, dass ich es spielen kann. Das mag man zwanghaft nennen. Aber ich habe nun mal so einen scharfen und erbarmungslosen Blick auf mich selbst, dass ich zerfallen würde, wenn ich am Set das Gefühl bekäme, dass man mich beäugt und denkt, der Schilling hat es nicht wirklich drauf. Das ist eine Erziehungssache. Es macht die Arbeit nicht einfach, und wenn man seinen Selbstwert als Mensch wie dieser Viktor nur aus dem Beruflichen zieht, ist der Weg in die Depression nicht weit. Es steht also wahnsinnig viel auf dem Spiel für ihn. Ich wollte die Figur so anlegen, dass man das in jedem Moment spürt.
Corinna Harfouch spielt Laras innere Zerreißproben ebenfalls sehr beeindruckend. Was ist in dem Verhältnis von Mutter und Sohn schiefgelaufen?
Für Lara geht es auch um alles. Sie steckt in dem Korsett, das sie wiederum von ihrer Mutter angelegt bekommen hat. Das ist die Erbschuld, die wir nicht durchbrechen können. Wir alle tragen dieses Korsett, in das die Eltern uns gesteckt haben und kommen nicht raus, weil wir für unsere Kinder ja auch nur das Beste wollen. Lara möchte Viktor vielleicht nur beschützen. Vor der Blamage. Vor der Kritikerwelt. Das meine ich mit der Demut vor der großen Kunst. Aber wenn wir alle sagen würden, dass die Beatles die geilste Band der Welt sind, dann braucht keiner mehr Musik zu machen.
Lara fragt ihren Sohn: "Warum komponierst du?" Und es wirkt wie bei einer Gerichtsverhandlung. Du bist nicht nur Schauspieler, sondern Mitglied einer Band und Songwriter. Hast du für dich eine Antwort auf diese Frage gefunden oder kannst du dich mit Viktors Reaktion im Film identifizieren?
Für mich ist Viktor ein Künstler und seine fast körperliche Reaktion auf die Frage zeigt am besten warum. Wer soll bestimmen, ob jemand die Erlaubnis hat, etwas zu komponieren? Und dass er so viel Persönliches in der Kunst verhandelt und in dem Moment nicht einfach sagen kann "Weil ich meine Miete bezahlen muss!" oder "Weil ich es geil finde, Komponist zu sein" oder irgendeinen anderen banalen Grund nennt – das finde ich herzzerreißend.
WF