Der Filmkritiker Holger Römers schreibt über das kluge Drama Half Nelson aus dem Jahr 2006 ganz richtig, dass Regisseur Ryan Fleck bis kurz vor Schluss auf jeden schrillen Ton verzichte – was man über Barbie nicht gerade sagen kann. Dem einen Ryan half es bei seiner ersten Regie-Arbeit zweifellos, dass die Geschichte vom Charme der Hauptfigur und mithin dem Können eines weiteren Ryan getragen wurde: Ryan Gosling spielt den etwas anderen Lehrer Dan, der nicht nur mit sozialem Gewissen und Gespür für die Entwicklung von Persönlichkeiten an den Unterricht in einem sozialen Brennpunkt herangeht.
Ken-ergy: Eher minimal, aber dennoch auch für Ken-Fans sehenswert. Immerhin spricht sich Dan fast wie Ken – und der Lehrer supportet seine Schüler:innen so, wie ein guter Ken es bei "seiner" Barbie tun würde.
In "Barbie"-Land ist Barbie die Versorgerin. Die Astronautin, die Ärztin, die Business-Frau, die Gastgeberin rauschender Feste. Dass Ken sich im direkten Vergleich oft minderwertig führt, ist ein entscheidender Handlungsstrang in Greta Gerwigs Film. In diesem ergreifenden Drama von Derek Cianfrance hingegen spielt Ryan Gosling den toughen und manchmal kriminellen Stunt-Fahrer Luke, der bei einem Besuch seiner Ex-Freundin Romina (Eva Mendes) erfährt, dass er der Vater ihres Sohnes Jason ist. Obwohl Romina mit einem anderen Mann zusammenlebt, versucht Luke ihnen näherzukommen und sie zu unterstützen – dabei wird er immer tiefer in kriminelle Machenschaften hineingezogen, kommt aber zugleich den beiden näher.
Ken-ergy: Hoch, und das nicht nur, weil Gosling hier auch blondierte Haare hat und schon das zeigt, was er in Barbie als "blonde fragility" bezeichnet. Luke wirkt ein wenig wie der Bad-Boy-Ken, den Mattel noch erfinden muss.
Das Oeuvre von Kult-Regisseur Terrence Malick könnte stilistisch nicht weiter entfernt sein von Gerwigs Meta-Komödien-Drama. Dementsprechend hat auch Goslings Character, der Musiker BV, wenig mit Ken gemein. Wie häufig in Malicks Filmen mäandert BV durch das Leben, seine Karriere, seine Liebschaften. Weder die Ken’sche Treue zu Barbie, noch den Ken’schen Glamour bringt BV mit – was nicht bedeuten soll, dass der kratzige, melancholische Künstler nicht seinen eigenen Charme hat.
Ken-ergy: Kaum vorhanden, weil: siehe Text oben.
Barbie würde vermutlich zum ersten Mal Eifersucht spüren, wenn sie sieht, wie Ryan Goslings Jazz-Pianist Sebastian hier mit der von Emma Stone gespielten Schauspielerin Mia harmoniert – und eben nicht gen Barbieland abbiegt, sondern das märchenhafte La La Land Los Angeles vorzieht. Hier entwickelt sich die Ken-ergy Goslings vielleicht am ehesten in der Regie von Damien Chazelle. Der zeigt nämlich eben nicht das reale Leben in Los Angeles, sondern eine Fantasiewelt, in der er die Puppen, äh Darsteller:innen wortwörtlich mehr als einmal tanzen und singen lässt.
Ken-ergy: Mittelhoch, weil hier zwar auch eine Fantasiewelt mit Brücke in die Realität bespielt wird, Sebastian allerdings viel zu aktiv, schwermütig, selbstbewusst und reflektierter ist, als das Barbies Ken je sein könnte.
Auch wenn der Film bei der Konkurrenz erscheint, müssen wir Barbie hier natürlich noch unterbringen. Vor allem Kens Reise in diesem intelligenten und lustigen Film ist wirklich sehenswert – und lehrt uns viel über Männer- und Frauenrollen. Das wird besonders deutlich in seinem Song im Film, bei dem übrigens Slash von Guns’N’Roses Gitarre spielt. Darin singt Ken kämpferisch und frustiert zugleich über seine Sinnkrise: "All my life been so polite / `Cause I’m just Ken / Anywhere else I’d Be A Ten / Is it my destiny to live and die / A live of blond fragility".
Ken-ergy: Geht hier natürlich durch die Decke. Vielleicht schafft es Gosling sogar, Ken zum ersten Mal richtig cool zu machen. Das war bisher nur dem "Earring Magic Ken" gelungen – der Anfang der 90er ungewollt zum Kultobjekt der Schwulenszene wurde. Und das lag nicht nur an seinem Halsschmuck, in dem viele Männer einen Penis-Ring erkannten…