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Wie Reservoir Dogs die Filmwelt veränderte ...

Das Regie-Debüt von Quentin Tarantino kommt am Dienstag den 5. Oktober frisch restauriert in der Reihe "Best of Cinema" für einen Tag zurück ins Kino! Eine gute Gelegenheit, noch einmal ausführlich zu schauen, welch einen Impact Reservoir Dogs auf die Filmwelt hatte.

02. Oktober 2022

Als Reservoir Dogs 1992 zum ersten Mal in die Kinos kam, wurde viel über Quentin Tarantinos Einflüsse gesprochen – von ihm und von den vielen Kritiker:innen, die in Tarantino teilweise schon einen ebenbürtigen Sparrings Partner sahen. Dort tauchten dann Filme auf wie: Louis Malles Au revoir les enfants, Stoppt die Todesfahrt der U-Bahn 123 von Joseph Sargent , Stanley Kubriks Film Noir The Killing, Rashomon von Akira Kurosawa, Sergio Corbuccis blutiger Western Django und John Carpenters The Thing (1982), den Tarantino ebenfalls recht oft als Inspiration droppte, um die Gruppendynamik zu beschreiben.

Wenn man also darüber sinniert, wo sich der Filmkenner, -fan und -nerd seine Inspiration holte, muss man ebenso ausführlich darlegen, wie viele Türen Tarantino mit Reservoir Dogs und später Pulp Fiction geöffnet hat. Wobei Tarantino lieber die Formulierung wählt, er habe eine "Brücke gebaut". Im Podcast von Joe Rogan nahm Quentin Tarantino vor einigen Monaten zu Beginn des Gesprächs sehr ausführlich Bezug auf Reservoir Dogs. Dabei geht es zunächst um seine Mission, einen "Heist Movie" nach eigener Prägung zu machen. Tarantino sagt, er sei vor allem stolz, weil: "Ich habe ein eigenes Sub-Genre im Gangsterfilm erschaffen. Das ist ein großartiges Gefühl". Aber er meint auch: "Ich bin viel zu früh zu einem eigenen Adjektiv geworden." Bei Rogan erzählt er, dass er einfach mal einen Kritiker, den er sehr schätzt, gefragt hat, was es bedeute, wenn jemand eine "tarantino-esque Szene" drehe. Man habe ihm dann erklärt, dass es zum Beispiel in Bad Boys 2, eine Szene gäbe, wo zwei Handlanger eines Gangsterbosses im Wagen warten müssen und dabei eine trashige Unterhaltung voller Popkulturreferenzen begännen. Das sei damit gemeint – was ihm einleuchtete. Aber nur bedingt schmeichelte, weil man für so eine Szene eben verdammt gute Dialoge schreiben muss.

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Wichtiger war Tarantino aber sein Einfluss auf die Darstellung von Gewalt im amerikanischen Kino. Dazu erzählt er Rogan eine Anekdote, in der Pedro Almodóvar und sein Frühwerk eine Rolle spielen. Tarantino habe während seiner Zeit im „Video Archives“ mit großer Begeisterung die frühen Filme von Almodóvar geschaut. Vor allem die Anfangsszene von Matador habe ihn begeistert. Darin sieht man einen Mann, der auf einem Fernseher einen Zusammenschnitt zahlreicher brutaler Slasher-Szenen schaut und dabei mit herunter gelassener Hose wild onaniert. "Ich habe meinen Kollegen gesagt: ‚Solche Filme will ich machen!‘ Und sie sagten mir: ‚Aber die werden dich nicht lassen!‘ Und ich fragte: ‚Wer sind denn die?‘ Ich habe mich davon nicht stoppen lassen und am Ende bewiesen, dass ich richtig lag." Damit meint Tarantino die Folterszene in Reservoir Dogs, die er auch gegen einen direkten Einspruch von Harvey Weinstein verteidigt hat, der den Film mit seiner Produktionsfirma Miramax bekanntlich kaufte. "Ich habe mich nicht beirren lassen und damit haben wir die 90er verändert. Die Zeit der Political Correctness war erstmal vorbei. Innerhalb von einem Jahr kamen Filme wie ‚Reservoir Dogs‘, ‚El Mariachi‘, ‚Mann beißt Hund‘, ‚Romeo is Bleeding‘. All diese wilden, ironischen Filme kamen plötzlich in den Mainstream. Danach kam ‚Seven‘. Wir haben diese Brücke gebaut."

Wenig später folgten dann europäische Regisseure, die dem Tarantino-inspirierten Kino noch eine eigene Note gaben: Guy Ritchie ist da sicher zu nennen, der mit Bube, Dame, König, Gras die britische Antwort auf Reservoir Dogs drehte – und dann mit The Gentlemen 2019 leider auch recht eindrücklich bewies, wie dröge Kino werden kann, wenn man auf dieser Idee hängen bleibt. Ein anderes, eher positives Beispiel für einen Regisseur, der Tarantinos Bälle aufnahm und weiterdribbelte, ist Robert Rodriguez, der Sin City, Planet Terror und Machete drehte und ein enger Freund von Tarantino wurde.

In einem Interview zum 20-jährigen Jubliäum von Reservoir Dogs sagte Rodriguez, dass Tarantinos Erfolg und sein offenkundiges Handwerk kombiniert mit der zelebrierten Nerd-Leidenschaft einer ganzen Generation junger Regisseure (und an dieser Stelle muss man nicht gendern, weil es eher Männer waren, die ihm folgten) Hoffnung – und auch eine Chance gegeben hat.

Tarantino brachte uns mit seinen Reservoir Dogs zudem eine neue Garde an Charakteren ins Mainstream-Kino: verwegene, stylishe, brutale, unfreiwillig komische und/oder charismatische Trash-Talking-Typen, denen er mit großer Freude dabei zuschaut, wie sie die Kontrolle verlieren. Im Interview mit dem Filmmagazin "Empire" echauffiert sich Tarantino im Zuge des ersten kleinen Hypes um seinen Film: "Heutzutage müssen in den Filmen alle so verdammt sympathisch sein. Man kann ja aber auch einen Roman über einen perfekten Mistkerl schreiben, und das heißt eben nicht, dass man die nächste Seite nicht trotzdem umblättern will. Ich mag es, zu entscheiden, was ich enthüllen werde und wann ich es enthüllen werde, ich denke, dadurch entsteht eine gewisse Spannung. Ich weiß nicht, ob man in ‚Reservoir Dogs‘ verwirrt ist, aber man ist neugierig darauf, was verdammt noch mal los ist."

Charismatische unmoralische Gestalten gab es im Kino natürlich schon eine Weile länger, aber zumindest einen kleinen Anteil haben auch Tarantinos Charaktere an der Entwicklung, die nachher einige der besten Serien der letzten Jahrzehnte prägte: Bei den Sopranos, die 1999 zuerst auf Sendung gingen und bei Breaking Bad, das 2008 startete, hatte man jedenfalls überhaupt keine Probleme mehr dabei, mit kriminellen Gewalttätern mitzufühlen. Eine Empfindung, die viele junge Kinogänger vielleicht zum ersten Mal erlebten, als Mr. White erschossen wurde.

Die in 4K restaurierte Version von Reservoir Dogs läuft am Dienstag, dem 4. Oktober in ausgewählten Kinos in Deutschland. Alle teilnehmenden Kinos und Tickets findet ihr hier auf der Seite von "Best of Cinema".

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