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Bleib bei uns: Ein Crush auf die Mutter Gottes

Der französische Regisseur, Schauspieler und Komiker Gad Elmaleh wendet sich vom Judentum zum katholischen Glauben – und schockiert damit seine Eltern und sein Umfeld. In einer Art Mocumentary gelingt es ihm, dem Tabuthema die Schwere zu nehmen und ganz nebenbei dem religiösen Glauben einen Fanbrief zu schreiben.

29. April 2023

Als Redakteur des ARTHAUS Magazins hat man schon einigen Filme gesehen, die man ruhigen Gewissens als "irre" bezeichnen könnte. Aber so etwas wie Bleib bei uns – Reste un peu von Gad Elmaleh ist einem dabei auch noch nicht untergekommen. Da muss man sich erst einmal ein wenig sammeln, um adäquat beschreiben zu können, was man in den gut 90 Minuten zu sehen bekommt. Und man stellt sich gleich vor, wie der Pitch des erfolgreichen Komikers Gad Elmaleh bei Studiocanal wohl ausgesehen haben mag: "Hey, ich möchte eine Mockumentary über mein Leben machen. Meine Eltern spielen mit, meine Schwester auch, ich spiele mich selbst. Ich möchte erzählen, wie ich kürzlich Katholik wurde, weil ich mich in die heilige Jungfrau Maria verliebt habe. Meine muslimischen und jüdischen Freund:innen spielen auch mit. Die reden inzwischen sogar wieder mit mir. Wird bestimmt lustig!" Da saß dann vermutlich ein kleiner Konferenzraum voller Entscheider:innen, die so was sagten wie: "Geil, wo sich doch gerade in Israel das orthodoxe Judentum mit den Moderaten prügelt und auf der ganzen Welt der Antisemitismus zunimmt. Wo die Katholiken sich von Vorgestern geben und es nicht mal schaffen, die Sexualstraftäter in den eigenen Reihen der Justiz zu überführen. Wo im Iran ein unmenschliches Regime im Namen des Islam junge Menschen verprügelt und in den Knast wirft. Und wo sowieso auf der ganzen Welt recht klar zu sehen ist, dass die drei großen Religionen so wahnsinnig gut miteinander können und so gerne Witze über ihre heiligsten Elemente hören – da ist dieser Film doch eine wahnsinnig tolle Idee!"

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Aber genug der bissigen Ironie. Diese etwas überdrehte Vorstellung dürfte gar nicht weit von der Realität entfernt sein. Regisseur, Schauspieler und Komiker Gad Elmaleh wird ganz genau gewusst haben, dass er hier ein Tabu-Thema angeht. Und er wird sicher hart gekämpft haben, um Bleib bei uns zu verwirklichen – bei dem tatsächlich seine Eltern und seine Schwestern mitspielen. Der 51jährige Elmaleh nannte den Film bei der Premiere im letzten Jahr sein "religiöses Coming-out". Er sei eine "Mischung aus Fiktion und Realität" und solle die Menschen anregen, über "die grundlegenden Fragen des Lebens, des Glaubens, der Wurzeln und der Kommunikation zwischen den Generationen nachzudenken". Dabei muss man wissen: Gad Elmaleh ist einer der bekanntesten Komiker Frankreichs, der auch durch seine Beziehung mit Charlotte Casiraghi, der Tochter von Prinzessin Caroline, die Klatschpresse unterhielt und quasi mit einem Fuß Teil der Fürstenfamilie in Monte Carlo. Dass er den jüdischen Glauben zurücklässt, wäre in Deutschland ungefähr so, als würde Hape Kerkeling den Gang über den Jakobsweg gegen die Wanderung gen Mekka eintauschen.

Gad Elmaleh (rechts) filmt seine Eltern David Elmaleh und Régine Elmaleh © Arthaus / Studiocanal

Gad Elmaleh (rechts) filmt seine Eltern David Elmaleh und Régine Elmaleh © Arthaus / Studiocanal

Umso erstaunlicher ist, wie gut es Gad Elmaleh gelingt, diesem Thema eine gewisse Leichtigkeit und einen herzwärmenden Humor zu geben. Dass er das nötige Feingefühl dafür mitbringt, erklärt sich vielleicht aus seiner Biografie. Gleich zu Beginn erzählt er aus dem Off zu einer Kamerafahrt durch Casablanca, die am Turm einer katholischen Kirche endet: "Hier bin ich auf die Welt gekommen. In Casablanca. Aufgewachsen bin ich in einer konservativ-sephardischen jüdischen Familie. Als Kind war ich umgeben von Muslimen, Juden und auch von Christen. In unserem Viertel gab es Synagogen, Moscheen und Kirchen. Wir hatten viele Gemeinsamkeiten. Aber jüdische und muslimische Kinder teilen vor allem eins: das strikte Verbot unserer Eltern, eine Kirche zu betreten. Es war verboten. Es war schlimm. Und wir fragten uns, was es so Geheimnisvolles in diesen Kirchen geben könnte, dass es verborgen wurde." Damit deutet er schon an, was sein Leben und seinen Film prägen wird: seinen Crush auf Maria, die Mutter Gottes.

Was im Film oft sehr amüsant inszeniert wird, hat bei Elmaleh jedoch einen wahren Kern. Er stellte auch im Interview mit der Zeitung "Le Figaro" klar: "Maria ist der Grund, warum ich die Katholizität liebe. Sie ist jetzt meine schönste Liebe, der wahre ‚Star des Films‘." Und er erzählt, wie diese "Liebe" in Casablanca begann: "Ich habe die heilige Jungfrau zufällig als Kind in Notre-Dame de Lourdes in Casablanca entdeckt. Entgegen den Anweisungen meiner Eltern, weil ihr Glaube es verbietet [eine christliche Kirche zu betreten], stieß ich die Kirchentür auf und sah mich einer riesigen Statue der heiligen Jungfrau gegenüber, die mir direkt in die Augen sah. Es war keine Vision, nur eine einfache Statue, aber ich war wie versteinert. Ich brach vor Rührung in Tränen aus und versteckte mich aus Angst, von meiner Familie entdeckt zu werden, aus Angst vor Flüchen und Aberglauben. Es blieb während meiner gesamten Kindheit mein Geheimnis. Seitdem ich eine wundertätige Medaille von Maria erhalten habe und sie bei mir trage, bin ich überzeugt, dass ich schon seit langem unter dem Schutz der Jungfrau stehe."

Gad Elmaleh umgibt sich mit Menschen aus allen Religionen. © Arthaus / Studiocanal

Gad Elmaleh umgibt sich mit Menschen aus allen Religionen. © Arthaus / Studiocanal

Bleib bei uns erzählt nun, wie Gad Elmaleh von seiner Wahlheimat Amerika nach Paris zurückkehrt, um sich auf die Taufe vorzubereiten, die er dort ein paar Wochen später erfahren wird. Zu Beginn bleibt er für eine Nacht in der Wohnung seiner Eltern und schläft in seinem alten Zimmer. Vor dem Einschlafen schaut er sich eine Messe in Rom auf dem Laptop an, bei der tausende Menschen das "Ave Maria" singen. Als seine Mutter noch einmal hineinkommt und Gad überrascht ist, weil er das Klopfen nicht hörte, klappt er hektisch den Rechner zu und sagt ‚Es ist nicht, was du denkst.‘" Was man(n) halt so sagt, wenn man beim Pornoschauen erwischt wird. Gads Mutter denkt auch eher daran – und man merkt schnell: Pornos hätten sie weit weniger geschockt.

Auch wenn Elmalehs Weg zur heiligen Maria – Jesus hat ihn nie so ganz überzeugt – im Mittelpunkt steht, ist dieser Film im Grunde eine charmante, herzenswarme und sehr lustige Liebeserklärung an den Glauben an sich. Elmaleh wurde und wird hart andiskutiert, verachtet aber auch respektiert als Konvertit, der er nun ist, aber was diesen Film so irre macht, ist die Tatsache, dass man selbst als Nur-noch-auf-dem-Papier-Christ mit atheistischen Tendenzen plötzlich checkt, was der Glauben – egal welcher – den Menschen geben kann. Und er zeigt, was gewonnen wäre, wenn die Gläubigen aller Religionen ihre Gemeinsamkeiten suchen würden, wenn sie die ihrige nicht als die einzig wahre begreifen, wenn sie sich ihres Glaubens so sicher wären, dass sie auch Witze darüber ertragen.

Hier kommt man zwangsläufig wieder zurück zu dem Schlüsselsatz am Anfang des Filmes, den Elmaleh aus dem Off sagt: "Als Kind war ich umgeben von Muslimen, Juden und auch von Christen." Gad Elmaleh hat seinen Humor also schon früh in diesem Umfeld geschult, er weiß, wie er beim Thema Glauben lustig sein kann, ohne dabei zu verletzen. In Reste un peu zieht es ihn immer wieder mal in einen Pariser Comedy Club, wo er auf der Bühne seine Gedanken teilt und immer mal wieder durchblicken lässt, dass er seinen Crush auf die Jungfrau Maria nun ausleben möchte. Da sagt er zum Beispiel, dass Juden und Muslime die Sache mit den Begräbnissen irgendwie nicht so gut hinbekommen. "Bei einem katholischen Begräbnis neulich bekam ich Lust der Tote zu sein. Es war super, er hatte eine Cabrio-Sarg, es gab Weihrauch, ein Foto von ihm seine Lieblingsmusik." Da lacht dann der Mann mit der Kippa ebenso wie Gads muslimischer Jugendfreund. In einer anderen Szene sitzt Gads Vater bei seinem Rabbi und beichtet unter sichtbaren Qualen, dass sein Sohn mit dem Christenum liebäugelt. "Er ist in die Jungfrau Maria verliebt", sagt der Vater und der Rabbi entgegnet weise lächelnd: "Sie ist doch schön. Sie ist Jüdin. Sie ist fruchtbar." Ach, wenn doch nur alle Menschen, ihren Glauben so leben würden, wie das Personal von "Reste un peu", dann würde man am Ende vielleicht sogar gut miteinander klarkommen.

Bleib bei uns von und mit Gad Elmaleh gibt es sofort auf allen Videoplattformen als VOD.

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