Eines weiß der Volksmund ganz genau: Reisen bildet. Und in einer immer kleiner werdenden Welt und dank der Parallelwelt der sozialen Medien manifestiert sich diese Weisheit längst in Abermillionen Instagram-Fotos und -Storys aus allen Winkeln dieser Erde – gepostet von Reisenden, die ihre Sehnsucht nach der Fremde und somit auch ihren Wissensdurst stillen. Auf der anderen Seite gibt es Millionen von Menschen, die unterwegs sind, weil sie in Frieden leben möchten, und dabei lernen, dass Reisen nicht gleich Reisen ist. Ob du dich als Tourist oder Migrant auf die Socken machst, bedeutet einen riesigen Unterschied und bringt verschiedene Erkenntnisse mit sich.
Barcelona
Die Figuren in den Filmen des französischen Drehbuchautors, Schauspielers und Regisseurs Cédric Klapisch haben alle irgendwie Hummeln im Hintern. Und so kommen wir als Zuschauer*innen mit ihnen ganz schön rum. Sofort hat man eine Dia-Show im Kopf, wenn man an die L`Auberge Espagnole-Trilogie denkt. Dann dreht sich das Karussell der Abenteuer des noch jungen Xavier (Romain Duris) vor unseren Augen. In der Ensemble-Komödie, deren Turbulenzen Klapisch mit der Gelassenheit und Ruhe des erfahrenen Spielleiters – oder in diesem Fall des imaginären Herbergsvaters – erzählt, erlebt das Paradeexemplar der Generation Erasmus, was Fremdsein heißt. So eine Stadt wie Barcelona, in die es den Wirtschaftsstudenten für ein Jahr zieht, nimmt einen nicht so mir nichts dir nichts mit offenen Armen auf. Die Sprache ist fremd, die Gewohnheiten sind andere, und die Probleme mit dem eigenen Ich bleiben trotzdem dieselben.
Paris: Klapischs Neuester - Einsam Zweisam
Im Zentrum der weiteren Reisen Xaviers – in der ersten Fortsetzung geht es nach St. Petersburg, in der nächsten landet er als angesehener Schriftsteller in New York – steht selbstverständlich die Liebe. Und Cédric Klapisch versteht es wie kaum ein Zweiter, scheinbar mühelos zwischen der unerträglichen Leichtigkeit des Seins und der existenziellen Schwere so mancher Banalität die Waage zu halten. Dabei ist er sich nie zu schade, das ein oder andere Klischee zu zitieren, um es an einer ganz anderen Stelle der Lüge zu überführen. Und dann gibt es immer wieder diese Momente, die von so geistreicher Klarheit sind, dass einem die Tränen kommen. So wie die Einsicht Xaviers, dass es jene vielen ereignislosen Stunden sind, die man als Elternteil mit seinen Kindern verbringt, die wirklich zählen. Nicht die spektakulären Events. Das gilt vermutlich auch fürs Reisen, wenn man es sich leisten kann, und für die Filme Klapischs. Was nicht heißen soll, dass sie nicht voller großer Augenblicke und Szenen stecken würden.
New York
Während wir andauernd rastlos vom Ausgangspunkt zu fernen Zielen streben und dabei mitunter tief in die eigenen Abgründe schauen, ist der Boden unter unseren Füßen und der Himmel über unseren Köpfen selbst in Bewegung. Mit der Beschreibung des Rhythmus’, bei dem Mensch mit muss, beginnt Cédric Klapischs Der Wein und der Wind, sein letzter Film vor Einsam Zweisam, der am 19. Dezember 2019 in die Kinos kommt und der von den längst alltäglichen Trips ins oben bereits erwähnte Social-Media- Universum handelt. Der Wein und der Wind spielt dagegen auf festem Terrain – im Burgund der Winzer*innen, einer exotischen Gegend, wie es Weinmacher Jean (Pio Marmaï) ausdrückt. Auf Klapisch-typische Weise erklärt uns seine Stimme aus dem Off zunächst, wie er als Kind stets aus dem Fenster schaute, den Kreislauf der Natur bestaunte und sich an jedem neuen Tag und dessen Besonderheiten erfreute.
Burgund
Manchmal denkt man über das Leben nach und glaubt, dass man in jungen Jahren schon alles darüber gewusst hat. Als Erwachsener hofft man zu lernen, wie man sich dieses Wissen wieder aneignet. Jean ist viel gereist und letztlich in Australien gelandet. Doch der Tod des Vaters ruft ihn zurück zum Weingut der Familie, auf dem seine jüngeren Geschwister Juliette (Ana Girardot) und Jérémie (François Civil) noch immer leben. Ihre Geschichte handelt davon, welches familiäre Erbe man mit sich herumschleppt, genau so wie sie auffängt, was man im Lauf des Lebens dazu gewinnt oder verliert. Darüber hinaus ist Der Wein und der Wind ein Porträt einer Arbeit, die sowohl im Einklang mit als auch im Widerspruch zu den natürlichen Gegebenheiten und ökonomischen Zwängen geleistet wird. Eine Hommage an den Wein und daran, wie viel Herzblut in ihm steckt. Ein großer Wurf Klapischs, weil wir durch ihn lernen, dass die menschliche Seele stets daran arbeitet, zu sich selbst zu finden – unsere wichtigste Reise. Wer einem dies ehrlich und ohne falsches Pathos vermitteln kann, muss als reifer Künstler gelten. Man darf gespannt sein, was er uns über die Liebe im 21. Jahrhundert noch beibringen kann.
WF