Alle, die vor einigen Jahren dem sogenannten "Ferrante-Fieber" erlegen sind, erleben gerade gute Zeiten für einen massiven Rückfall. Nicht nur, dass die mysteriöse Schriftstellerin hinter dem Pseudonym Elena Ferrante gerade ein neues Buch namens "Das lügenhafte Leben der Erwachsenen" veröffentlicht hat – gleichzeitig erscheint auch die zweite Staffel der Serien-Adaption von Meine geniale Freundin für das Heimkino. Wie schon im zweiten Band der Bestseller-Reihe der „Neapolitanischen Saga“ um die beiden Freundinnen Lila und Elena, die im armen Teil Neapels – im Viertel Rione – aufwachsen, konzentriert sich die Geschichte diesmal auf die schicksalshaften Weichenstellungen ihrer jungen Leben.
Immer noch eine brillante Besetzung: Margherita Mazzucoo als Elena und Gaia Girace als Lila © Eduardo Castaldo
Lila erlebt die ersten fürchterlichen Wochen ihre Ehe mit Stefano, der ihr am Ende der ersten Staffel in den Rücken fiel, als er die mafiösen Solara-Brüder auf der Hochzeit begrüßte, die Lila ausdrücklich ausgeladen hatte. Auch die Hochzeitsreise endet dramatisch – der betrunkene Stefano schlägt Lila nach einem Streit und vergewaltigt sie. Elena wiederum sucht ihren Platz zwischen der vermeintlich intellektuellen Elite ihres Schwarms Nino (der später mit Lila anbändelt) und ihrem Freund Antonio, den ihre Familie und auch sie manchmal für gutherzig aber recht einfach gestrickt halten. Befeuert und angetrieben wird die Geschichte dabei wieder von der seltsamen Freundschaft zwischen Lila und Elena, in die sich zwischen einer offensichtlichen Liebe auch immer Neid, Missgunst und Bösartigkeit mischen.
Für die Regie war auch diesmal Saverio Costanzo verantwortlich. Er war einer der wenigen Regisseure, die Ferrante selbst als Kandidaten für eine Verfilmung genannt hatte. Die Entwicklung der Drehbücher begleitete Ferrante per Schriftverkehr, ebenso die Auswahl der vier Schauspielerinnen, die Lila und Elena verkörpern sollten. Auch in der zweiten Staffel ist es jenen Darstellerinnen zu verdanken, dass aus einem genialen Roman eine tolle Serie geworden ist. Wobei es fast ein wenig schmerzt, dass Ludovica Nasti und Elisa del Genio, die Lila und Elena im Kindesalter spielten, nicht mehr dabei sein können, weil die Geschichte eben chronologisch voranschreitet. Dafür wird umso deutlicher, wie perfekt Gaia Girace als Lila und Margherita Mazzucoo als Elena gewählt sind. Während Mazzucoos Elena permanent zwischen extremer Anspannung und herrlich befreienden Momenten pendelt, ist man fast geschockt von der außerweltlichen Schönheit und dem toughen Charisma, das Gaia Girace ihrer Lila mitgeben kann. Ihr erster Auftritt in der ersten Folge kommt fast wie ein Schock, als sie Elena mit offenem Haar und einer großen Sonnenbrille die Tür ihrer neuen Wohnung öffnet und dabei aussieht, wie die italienische Antwort auf Jackie Kennedy. Der Grund ihrer Sonnenbrille wird jedoch schnell deutlich: ein blaues Auge, das ihr Stefano verpasst hat.
Unbeschwerte Tage beim gemeinsamen Sommerurlaub auf Ischia, bei dem Lila ein Interesse an Nino entwickelt. © Eduardo Castaldo
Trotzdem zweifelt man in keiner Minute der Serie daran, dass die starken Charaktere in dieser Serie immer und vor allem die Frauen sind. Denn – auch das muss man wissen – die Wahl von Saverio Costanzo als Regisseur hatte durchaus für Kritik gesorgt, weil viele Ferrante-Fans nicht glaubten, dass ein Mann diese außergewöhnliche Emanzipationsgeschichte erzählen könnte oder überhaupt sollte. Jennifer Schuur, eine der ausführenden Produzentinnen der Serie, zeigte sich zum Beispiel anfangs "überrascht" von der Wahl Ferrantes. "Auf den ersten Blick würde man nicht denken, dass ein Mann all die Nuancen von Ferrantes Geschichte verstehen würde." Sie habe jedoch gewusst, dass Costanzo sehr vorsichtig mit dem Geschenk umgehen würde, dass man ihm durch diesen Job gegeben hatte.
Costanzo selbst stellte damals schon im ersten offiziellen Statement klar, wie er die Sache sieht: "Wir alle können uns mit Lila und Elena und ihrem Wunsch sich zu emanzipieren identifizieren." Er sehe den Fokus von Ferrantes Roman auch nicht zwangsläufig nur auf feministischen Themen. "Es geht nicht nur darum. Was ich an Ferrante mag ist, dass sie immer gefährlich bleibt. Vielleicht sind die Hauptcharaktere weiblich, weil sie eine Frau ist, aber für mich liegt der Fokus von Meine geniale Freundin auf Bildung. Emanzipation bedeutet bei ihnen, auf dem Fundament einer gefestigten weiblichen Seele mit Hilfe von Bildung ein noch stärkeres Bewusstsein zu erlangen. Aber es gibt auch männliche Charaktere in der Geschichte, die sich auf die gleiche Weise befreien können."