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Der weirde Westen: Wie Dead Man den Western auf Links zieht

Vor kurzem erschien die "Complete Collection" von Jim Jarmusch bei ARTHAUS. Dieser Text stammt aus dem Booklet, in dem jeder Film der Kollektion eine eigene Textform bekommen hat – von Gedicht, über Autofiktion bis seriösem Kulturjournalismus ist alles dabei.

06. Mai 2023

Es ist doch alles da: Die Begegnung mit einem Ureinwohner Amerikas, die Hure mit dem Herz aus Gold, die ruckelnde Zugfahrt durch die Prärie, der böse Mühlenbesitzer, die aus Holz gezimmerten Städte, die niemals ohne Saloon existieren, der Tabak, die Bohnen, die unrasierten, zerlebten Männer mit rauen Stimmen, die ständig mit ihren Pistolen rumfuchteln, die daraus resultierenden Tode und die – nennen wir sie mal: pragmatische, weil schnelle Auslegung und Ausübung des Gesetzes vor Ort. Genau die Zutaten also, die es für einen "richtigen Western" braucht. Jim Jarmusch hat 1995 natürlich trotzdem keinen normalen Western gemacht, so wie er auch zuletzt keinen normalen Zombiefilm gedreht hat. Er selbst nannte Dead Man Mitte der 90er einmal einen "Acid Western" – wir finden, er hat den wilden zum weirden Western gemacht.

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Das geht schon bei der Wahl seines Protagonisten los: Während die klassischen Western oft von tatkräftigen, abenteuerfreudigen Typen geprägt sind, schubst Jarmusch seinen von Johnny Depp gespielten Beamten William Blake sanft in eine Reise, die Blake eher passiv durch- und am Ende nicht überleben wird. Blake verlässt die schon recht bürgerliche Stadt Cleveland für einen Job im vermeintlich "wilden" Westen des Landes und trifft auf seiner Reise auf all die oben genannten Western-Zutaten. Eine der prägendsten Figuren dabei ist der von Gary Farmer gespielte Native namens Nobody. Er ist kein rassistisches Feindbild, oder ein geschichtsverzerrender Angreifer, sondern ein intelligenter, gebildeter Redner, der in William Blake mehr sieht. Einmal sagt Nobody zu ihm: "Du warst mal ein Dichter und ein Maler und jetzt bist du ein Mörder an weißen Männern." Die Idee, dass dieser Blake ein Wiedergänger des Dichters, Naturmystikers und Malers gleichen Namens ist, rührt die Themen an, die das Werk von Jim Jarmusch an vielen Stelle prägen: Moral, Transzendenz, Schicksal und Tod. Aber sie tun das nicht auf direkte oder belehrende Weise, sondern eher im Vorbeireiten.

Jim Jarmusch sagte dem Magazin "Filmmaker" 1996 in einem Interview: "Dead Man ist oberflächlich betrachtet eine sehr einfache Geschichte, aber es gibt so viele Dinge, um die sich der Film dreht - Geschichte, Sprache, Amerika, indigene Kultur, Gewalt, Industrialisierung. Ich wollte, dass diese Themen wichtig sind, aber auf eine periphere Weise. Der Film hat viel mehr Ebenen als alle meine anderen Filme, aber ich wollte mich auf die Einfachheit der Geschichte konzentrieren und diese anderen Ebenen nebeneinander bestehen lassen, ohne dass eine davon Vorrang hat."

Wie gut dieses Konzept aufgeht, merkt man an der seltsamen Stimmung, die einen spätestens beim Abspann erfasst. Man ist das, was die Engländer und Amis immer so treffend "baffled" nennen – und macht sich auf einmal einen Haufen interessanter Gedanken über genau die von Jarmusch benannten Themen. Hier sah Jarmusch auch die Verbindung zu Neil Young, der mit seinem Soundtrack einen maßgeblichen Anteil an der Wirkung und am Erfolg des Films hat. "Neil teilt das Interesse an diesen Themen – und man findet sie in vielen seiner besten Songs wie zum Beispiel ‚Cortez The Killer‘ und ‚Pocahontas‘."

Jim Jarmusch hatte erst Sorgen, ob sein so passiver Anti-Held auf der Leinwand funktionieren würde – was auch an Johnny Depp lag, wie er im "Filmmaker"-Interview zugab: "Einen so passiven Charakter zu spielen, eine Art Gefäß, das uns durch die Geschichte führt, ist sehr schwer. Ich wollte deshalb unbedingt schon im Voraus mit Johnny arbeiten, aber er kam erst einen Tag vor Drehbeginn an. Ich war trotzdem sehr schnell begeistert, wie präzise er da schon den emotionalen Flow für den Film für sich gefunden hatte."

Eine Präzision, die Jarmusch selbst ja oft erst im Flow der Dreharbeiten oder gar im Schnittraum findet – oder wie er sagt: Auf halber Strecke davon. "Wenn ich in den Schnittraum gehe, habe ich schon ein ziemliche genaue Vorstellung davon, wie eine Szene aussehen soll. Der Cutting-Prozess ist sehr wichtig für mich, weil ich da in einen Zen-artigen Zustand gerate, bei dem mir der Film irgendwann selbst sagt, wie er geschnitten werden will. Viele Szenen, die wir für ‚Dead Men‘ gedreht haben, sind nicht im Film." Dreharbeiten seien für ihn, "als würde ich große Granitblöcke bearbeiten. Was danach dabei rauskommt, ist nicht unbedingt die Skulptur, die ich im Sinn hatte. Deshalb muss man noch mal mit dem Meißel ran. Ich liebe diesen Prozess. Deshalb benutze ich niemals ein Storyboard. Bei Dead Man hatte ich nicht mal eine Shotlist."

Diese Arbeitsweise macht sich an vielen Stellen bemerkbar. Zum Beispiel schon bevor der Film so richtig beginnt. Das Zitat des Dichters und Malers Henri Michaux zu Beginn - "It is preferable not to travel with a Dead Man." – mag auf den Punkt genau gewählt wirken, aber, so Jarmusch: "Ich weiß gar nicht genau, was das bedeuten soll. Aber ich will, dass es auf meinem Grabstein steht."

Hier lässt sich wieder die Brücke zu Neil Youngs Soundtrack schlagen, der einen ähnlichen Zugang zu seiner Musik hat. Jarmusch nennt Youngs Musik "meisterhaften, wunderschön beschädigten Rock’n’Roll – perfekte Imperfektion. Sie hat etwas sehr Pures und Emotionales, aber sie ist dabei niemals todernst. Sie hat sich einen feinen Humor bewahrt und widmet sich trotzdem den großen Themen." Neil Youngs "Dead Man"-O.S.T.-Album entstand bekanntlich im Zustand der Improvisation. Aufgenommen in diversen Sessions in einem Lagerhaus in San Francisco, spielte Young vor Bildschirmen verschiedener Größe, auf denen der Film lief und ließ sich von den Szenen direkt inspirieren.

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Neil Youngs Musik ist zugleich ein letztes entscheidendes Element, das "Dead Man" in neue Western-Gefilde reitet, ohne die Genre-Grenzen komplett zu sprengen. Während die größten Momente des Western auf ewig mit den instrumentalen Scores von Komponisten wie Dimitri Tiomkin, Max Steiner, Jerome Moross, Elmer Bernstein und natürlich Ennio Morricone verbunden sind, ist Neil Young ein Musiker, der wie ein Nachfahre jener Charaktere wirkt, die den so genannten Wilden Westen geprägt haben – einer der Guten natürlich.

Daniel Koch

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