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Bild zu Goliath – Im Netz der Lügen und der Lobby

Goliath – Im Netz der Lügen und der Lobby

Frédéric Tellier erzählt in diesem Öko-Thriller von zwei Menschen, die gegen einen übermächtigen Chemiekonzern antreten – und von einem, der diesen mit schmierigem Charme verteidigt. Parallelen zu wahren Begebenheiten sind dabei ausdrücklich erwünscht.

04. November 2022

Ein Konzern namens Phytosanis verdient viel Geld mit dem in der Landwirtschaft verwendeten Pestizid Tetrazine – das vermutlich hochgradig krebserregend ist. Kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor? Jepp. Nur, dass es in der realen Welt der Konzern Monsanto ist (der seit 2016 zu Bayer gehört) und dessen Unkrautvernichter Glyphosat heißt. Ob und wie krebserregend er ist, wird immer noch vor Gericht verhandelt. Im permanenten Einsatz ist Glyphosat trotzdem. Erst im Mai dieses Jahres stellte sich die amerikanische Generalstaatsanwältin Elizabeth Prelogar, die die US-Regierung vor dem Supreme Court vertritt, auf die Seite eines Klägers namens Edwin Hardeman, der das Glyphosat als Verursacher seiner Krebserkrankung sieht. Ihm waren 2019 nach einem Gerichtsprozess letztendlich gut 25 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen worden. Das Gericht sah es als bewiesen, dass Monsanto bzw. nun Bayer, zu wenig vor den Gesundheitsrisiken gewarnt hatte. Bayer war in Folge vor die höchste Instanz gezogen, weil der Konzern überzeugt sei, es gäbe gute rechtliche Argumente, den Fall zu überprüfen und das Urteil zu korrigieren. Es ist nur einer von mehreren Fällen, die Bayer in höchste Aufregung versetzen. Trotzdem findet man in den Medien nur wenn man etwas genauer schaut ausführliche Artikel über die Situation und den Stand der Verfahren.

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Regisseur Frédéric Tellier zeigt in seinem packenden Öko- und Gerichts-Thriller wie sich drei Menschen im David-gegen-Goliath-Duell zerreiben. Auf der einen Seite kämpfen Patrick (Gilles Lellouche), ein umtriebiger Pariser Anwalt, der sich auf Umweltrecht spezialisiert hat und die Lehrerin France (Emmanuelle Bercot), die zur Aktivistin wird, als ihr Mann wegen des Pestizids an Krebs erkrankt. Aber Tellier zeigt auch die Perspektive der Gegenseite: Mathias (Pierre Niney) ist ein brillanter, junger Lobbyist, der für Phytosanis arbeitet. Die Wege der Drei kreuzen sich, als ihr Leben durch den tragischen Akt einer Bäuerin aufgewühlt wird, die sich vor der Konzernzentrale selbst entzündet. Während das vor Gericht einen spektakulären Fall und auf der Straße eine lautstarke Protest-Bewegung auslöst, versucht der Chemiekonzern die Wahrheit über die Pestizide zu vertuschen.

Emmanuelle Bercot und Regisseur Frédéric Tellier © Studiocanal GmbH

Emmanuelle Bercot und Regisseur Frédéric Tellier © Studiocanal GmbH

Tellier erklärt im Interview: "Ohne dass ich mir eine bestimmte Richtung vorgeben würde, basieren meine bisherigen Filme auf einer wahren Geschichte oder behandeln eine solche. Sie durchlaufen also eine lange Phase des Eintauchens und der Recherche, bevor ich sehe, ob ein Thema, das mich interessiert, fasziniert oder beschäftigt, konkret einen Film hervorbringen kann. GOLIATH war keine Ausnahme von dieser Regel. Ich war gerade dabei, meinen vorherigen Film zu schreiben, als ich das Thema Pestizide entdeckte, indem ich zufällig auf ein kleines Buch stieß, in dem es nicht ausschließlich um Pestizide ging, sondern allgemein um Warnungen vor dem landwirtschaftlichen Umfeld und dem, was wir essen." Er habe dabei viel Erschreckendes gelernt und mit der Recherche begonnen: "Die dauerte mehr oder weniger fünf Jahre, da das Gewerbe sehr undurchsichtig ist. Es gibt nur wenige Bücher über Lobbying. Und nur sehr wenige Agrochemielobbyisten, angeblich engagierte Politiker oder Fachjournalisten sind bereit, zu berichten und auszusagen." Diese Blockade, die Tellier schon bei der Recherche spürte, gab die Richtung seines Filmes vor. Trotz dramatischer Szenen macht er keinen Erin Brockovich. Es gibt keinen permanent strahlenden Helden, es gibt nur einen erschöpfenden Kampf, eine gute geölte Lobbymaschinerie, die im modernen Kapitalismus wächst und gedeiht und es gibt die Menschen, die darunter leiden.

Gilles Lellouche spielt den Anwalt Patrick und formte ihn nach einem großen Vorbild: "Ich war schon immer ein Fan von Sidney Lumets Verdict mit Paul Newman. Ich liebe Charaktere am Rande der Gesellschaft, die ein wenig fiebrig sind. Absolute Antihelden, die vom Leben geschädigt sind, aber einen Ruck bekommen und wieder in den Krieg ziehen, wie in einer letzten Runde. Ich könnte Patrick mit seinem zerbeulten Liebesleben und seinem unterschwelligen Alkoholismus nicht besser beschreiben. Ein moderner Don Quijote, der gegen viel Größere und viel Stärkere kämpft, aber mit einem halluzinierenden Glauben und Zorn. Dieser Kampf – auch wenn er vergeblich erscheinen mag – trägt ein Ideal in sich, das mich anspricht."

Lobbyisten Mathias (Pierre Niney) bei der Arbeit © Studiocanal GmbH

Lobbyisten Mathias (Pierre Niney) bei der Arbeit © Studiocanal GmbH

Aber auch hier setzt der Regisseur auf eigene Wege: In der ersten halben Stunde des Films zeigt sich erst nach und nach, was hier verwandelt wird. Was im Trailer noch fiebrig wirkt, ist im Film oft dokumentarisch und genau beobachtet. Auch die im Titel so stark angedeutete David-gegen-Goliath-Metapher geht nicht so aus, wie man es aus dem Alten Testament kennt. Das merkt man, je länger man dem jungen Lobbyisten Mathias (Pierre Niney) bei der Arbeit zuschaut. Er ist brillant, smart, manipulativ und mit schier endlosen Mitteln ausgestattet.

Am Ende muss sich die kämpfende Lehrerin und Aktivistin France vor Gericht verantworten. Der Vorwurf: "Ökoterrorismus". Ein Wort, das gerade oft in der konservativen, wirtschaftsnahen Presse benutzt wird, wenn man sich mal wieder über die Aktivist:innen der "Letzten Generation" aufregt. Auch hier zeigt sich, wie Lobbyismus funktioniert: Schon das Wort "Ökoterrorismus" in Verbindung mit Menschen zu verwenden, die gegen vermutlich giftige Chemie-Produkte oder den Klimawandel kämpfen, ist bizarr und manipulativ. Wäre es nicht eigentlich passender, Firmen des "Ökoterrorismus" zu verdächtigen, die chemische Mittel einsetzen, die Natur und Mensch schädigen können? Es sind Erkenntnisse wie diese, die Frédéric Tellier provozieren will. Was ihm mit Goliath – Im Netz der Lügen immer wieder gelingt. Damit wirkt der Film nachhaltiger und tiefer, als es jede Heldengeschichte vermocht hätte.

DK

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