Es war einmal in Amerika… eine Zeit, in der Künstler*innen aus politischen Gründen ins Exil gingen. Der 1909 in Wisconsin geborene Regisseur Joseph Losey gehört dazu, sein Todesjahr 1984 taugt fast schon als Metapher, wenn man George Orwells gleichnamigen Roman über einen futuristischen Überwachungsstaat als Referenz im Hinterkopf hat. Big Brother is watching you…einigermaßen passend, diese berühmte Zeile aus dem Buch, für das Leben des 1946 in die Kommunistische Partei der USA eingetretenen (und bald wieder ausgetretenen) Filmemachers, der wegen der Verfolgung sozialistisch engagierter Kulturarbeiter*innen in der so genannten McCarthy-Ära 1953 nach Europa aufbrach und schließlich in London starb. In seinem Werk hielt er stets die Machtverhältnisse im Blick, und die Psychologie nimmt dabei einen großen Raum ein. Zu Loseys bekanntesten Werken zählt Der Diener mit Dirk Bogarde, Sarah Miles und James Fox. Bogarde spielt einen Hausbediensteten namens Hugo, der in der Rolle des Knechts ein doppeltes Spiel treibt, das Leben seines "Herrn", eines jungen reichen Nichtsnutzes, allmählich in den Griff bekommt und schließlich auch seine Verlobte einschleust unter dem Vorwand, sie wäre seine Schwester und könne als Magd arbeiten.
"Der Diener": Explosive Konstellation © Studiocanal
Augenfällig für dieses tief ins Unbewusste eindringende und neuerdings mit Bong Joon-hos Parasite verglichene Drama ist die Schärfe, mit der Losey schon 1963 Momente der männlichen Verbundenheit (inzwischen durchaus bekannt als Ursprung faschistischer Allmachtsphantasien) in der Abwehr weiblicher Emanzipation in den Blick nimmt. Wettbewerb, Hierarchie, Sexualität – in jene kleine Welt, in der die Figuren leben, haben sich die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse längst eingeschrieben. Und die Ordnung der Geschlechter eben auch. Wie viele Filme kennen Sie, in denen Frauen von Männern geohrfeigt werden – und wie viele Filme kennen Sie, in denen Frauen Männern ins Gesicht schlagen, weil sie es nicht anders verdient haben? Wendy Craig spielt die Freundin des Schnösels, der sich nach und nach seinem Bediensteten unterwirft, einfach weil Hugo die Wut des Benachteiligten, die Kraft seiner ausgeprägten Persönlichkeit, das Potenzial für eine brüderliche Kumpanei und die kriminelle Energie in Anbetracht der herrschenden Gesetze auf sich vereint, um dieses schulbuchhafte Beispiel für auf den Kopf gestellte Klassenverhältnisse in die Tat umzusetzen. Wendy blickt allerdings aus der Perspektive der selbstbewussten Frau, die Hugo in seine Schranken weisen möchte, auf diese sich anbahnende Katastrophe – nicht aus dem Blickwinkel eines schutzlosen Engels an der Seite ihres reichen Liebhabers. Losey inszeniert das Dilemma virtuos samt feinen Zuspitzungen und impulsiven Eskalationen, bis es richtig knallt beziehungsweise Wendy einem der Kerle eine klatscht.
"Monsieur Klein": Schreckliche Umstände © Studiocanal
Joseph Losey arbeitete einerseits auf der Grundlage persönlicher Erfahrungen, die er 1935 in der Sowjetunion neben der persönlichen Bekanntschaft legendärer Zeitgenossen wie Sergeij Eisenstein oder Bertolt Brecht gemacht hatte. Andererseits schuf er seine Filme oft nach literarischen Vorlagen, die im Fall von Der Diener aus der Feder des britischen Autors Harold Pinter stammte. Ähnlich wie Pinter fühlte sich Losey zu den absurden Aspekten des Realen hingezogen und ging mit seinen Geschichten in die Bereiche des Zwischenmenschlichen, in denen es weh tut. Sämtliche Facetten seines Schaffens vereinte er 1976 in einem weiteren großen, kleinen Film. In Monsieur Klein spielt Alain Delon einen Kunsthändler, der während des Dritten Reichs Geschäfte mit von der Vernichtung durch die Deutschen bedrohten Juden macht und dann selbst ins Fadenkreuz der Nationalsozialisten gerät. Eine Parabel über das Leben von Menschen unter Bedingungen – und insofern eine sozialistische Erzählung ohne ideologisches Brimborium. In diesem Ansatz ist sich Joseph Losey immer treu geblieben. Ob man ihn dafür schätzte, wie wir heute, oder deshalb verfolgte, wie damals in den USA.
WF