Besonders einfallsreich sind die Browns nicht. Noch nicht einmal die Tatsache, dass sie einen Bären bei sich aufnehmen, fördert ihre Kreativität. So nennen sie ihr ungewöhnliches Findelkind schlicht nach dem Ort, an dem sie es aufgefunden haben: Paddington.
Es ist wohl jene Mischung aus der lakonischen Darstellung von Normalität und aus deren aufregendem Bruch, die den Erfolg der Buchreihe von Michael Bond ausmacht. Sie erlaubt es dem jungen Publikum, das Abenteuerliche an der Geschichte selbst zu entdecken. Deren alltäglicher Aspekt wiederum lädt zum Träumen ein: Wenn den höchst durchschnittlichen Browns etwas derart Außergewöhnliches widerfährt, dann kann es wirklich jedem passieren. Na gut, so ganz normal sind die Browns bei genauem Hinsehen dann doch wieder nicht. Wobei geübten Leser*innen jeden Alters ein Beruf wie der des Risikoanalysten als kaum verblümte Metapher erscheint für einen Vater, der das Leben seiner Familie am liebsten in ruhigem Fahrwasser vor sich hin dümpeln sieht. Hier nennt man so eine Lebenseinstellung auch Beamtenmentalität. Nun, mit der Ruhe ist es seit dem Auftauchen von Paddington endgültig vorbei – und Mr. Brown taut nach und nach auf … auch zum Vergnügen seines Autors.
1958 schrieb Bond den ersten Teil der Buchreihe um die Abenteuer, die der Bär mit dem roten Hut und dem Dufflecoat in England erlebt. Neben einigen Verfilmungen fürs Fernsehen sind die drei seit 2014 entstandenen Kinofilme Paddington, Paddington 2 sowie aktuell Paddington in Peru besonders beliebt, wenn es um die Übersetzung in bewegte Bilder geht. Mit der jüngsten Adaption kehrt der knuffige Held zurück in seine ursprüngliche Heimat. Hoffentlich, so mögen die echten Fans denken, hat er genug seiner geliebten Orangenmarmelade dabei. Und hoffentlich tapst er nicht wieder von eine Verlegenheit in die nächste. Besser gesagt tut er es hoffentlich doch – dann wird es wieder richtig unterhaltsam. Diese Unannehmlichkeiten, von denen man annehmen darf, dass sie Bezüge zum wahren Leben des Autors in sich tragen, machen Paddington aus. Er ist einfach die Art von Bär – das weiß er schließlich selbst am besten.
Es sind äußerst britisch anmutende Spleens und "guten Manieren", die Paddington zu seiner großen Schar an Bewunderern verholfen haben – zunächst in England, später in der ganzen Welt. Aber der Niedlichkeitsfaktor des sprechenden Plüschfreundes ist natürlich nicht außer Acht zu lassen. Und so wie man Paddington nicht böse sein kann, muss man auch seinen Schöpfer Michael Bond in sein Herz schließen. Vor allem der lange Atem, mit dem er sich der Literatur rund um die Figur widmete, die in so vielen Kinderzimmern auf verschiedene Art lebendig wurde, verdient die höchste Anerkennung.
Im ersten Paddington-Kinoabenteuer unter der Regie von Paul King spielte Bond noch eine Minirolle. So war es ihm nicht nur vergönnt, den Riesenerfolg des Films mitzuerleben, er war selbst mit dabei! 2017 verstarb er im Alter von 91 Jahren. Heute gibt es eine Statue von ihm und seinem Bären in London – drei Mal dürfen Sie raten, in welchem Stadtteil sie steht.
Bond hinterließ eine Frau, zwei Kinder und über zwei Dutzend Bücher mit Paddingtons Erlebnissen. Darüber hinaus verfasste er im fortgeschrittenen Alter noch zahlreichen Gourmetkrimis, deren Geschichten einem nicht nur das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Sie sind sehr spannend weil unwahrscheinlich einfallsreich – ihr Autor muss ein typischer Engländer sein, der nicht ganz dem Bild eines typischen Engländers entspricht. Und damit ist Michael Bond seiner genialen Schöpfung auch beim Verfassen anderer Geschichten immer nahe geblieben. Er war einfach ein Bär von einem Schriftsteller.
WF