Ein Glitzern, ein Flackern, halluzinogene Farbverläufe, eine wunderschöne Romy Schneider, eine Zigarette, ein Killerblick, ein breites Lächeln. Im Internet findet man zahlreiche Zusammenschnitte der Probeaufnahmen für Henri-Georges Clouzots unvollendeten Film L'Enfer – Die Hölle. Schneider war damals 25 Jahre alt und Clouzot, der nach Lohn der Angst und Die Teuflischen für viele zur ersten Garde der französischen Regisseure zählte, hatte ihr die Hauptrolle des Films quasi auf den Leib geschrieben. Schneider spielt Odette, die Frau des Hotel-Besitzers Marcel. Während Odette es liebt, mit ihren Flirts die Eifersucht ihres Gatten zu befeuern, verliert sich Marcel immer mehr in Wahnvorstellungen und versinkt in seiner Fantasiewelt, was ihn schließlich zum Äußersten treibt – zum Mord an seiner Ehefrau. Die Szenen in der "realen" Welt wurden dabei von Clouzot in Schwarz-Weiß gedreht, die Bilder aus Marcels surrealem Wahn schillern hingegen in den schönsten Farben und führten zu diesen hypnotischen Aufnahmen:
L’Enfer hätte eigentlich das cineastische Meisterwerk des Henri-Georges Clouzot werden sollen. Die Produktionsfirma Columbia gewährte ihm 1964 alle Freiheiten und zeigte sich an allen Fronten generös: Als Clouzot zum Beispiel einmal einen Blick aus dem Fenster eines Passagierflugzeugs drehen wollte, schaffte man einfach eine Maschine der Air France heran. Aber Clouzot verhob sich völlig: Er riss alle Timings, verantwortete allein Drehbuch, Regie und Produktion. Serge Reggiani, der die männliche Hauptrolle spielte, klagte über den Kontrollwahn Clouzots und verließ die Produktion schließlich aus gesundheitlichen Gründen. Henri-Georges Clouzot selbst erlitt einen Herzinfarkt, was dazu führte, dass die Dreharbeiten auf Anraten der Ärzte und auf Druck der Versicherung der Produktionsfirma beendet wurden. Clouzot realisierte danach nur noch seinen letzten Film La Prisonnière (1968) und verstarb am 12. Januar 1977 in Paris im Alter von 69 Jahren.
Der Film, um den es in diesem Artikel eigentlich gehen soll, nahm über 40 Jahre später seinen Anfang, als der französische Produzent, Regisseur, Filmhistoriker und Drehbuchautor Serge Bromberg zufällig Clouzots Witwe Inès de Gonzalez traf. Oder genauer: die beiden kamen in einem stecken gebliebenen Fahrstuhl ins Gespräch. De Gonzalez erzählte Bromberg, dass ihr Mann L’Enfer als "absolutes Meisterwerk" gesehen hätte und er untröstlich gewesen sei, dass er es nie vollenden konnte. Bromberg bekam schließlich die Erlaubnis, Clouzots Archivmaterial zu sichten und die insgesamt 185 Filmspulen mit rund 15 Stunden Laufzeit zu nutzen. Für Die Hölle von Henri-Georges Clouzot holte sich Serge Bromberg noch die Regisseurin Ruxandra Medrea an die Seite.
Henri-Georges Clouzot und Romy Schneider am Set von L'Enfer © Kinowelt GmbH
Die beiden entschieden sich für eine Mischung aus Rekonstruktion und Dokumentation. Während sie einige der abgedrehten Szenen und zahlreiche der hypnotischen Zwischenweltspiele nutzen und fehlende Schlüsselszenen mit Bérénice Bejo und Jacques Gamblin (in den Rollen von Romy Schneider und Serge Reggiani) nachstellen, wird der Film immer wieder von Interviews mit Mitgliedern des damaligen Teams unterbrochen. Mit dabei sind zum Beispiel Regieassistent Costa-Gavras, Darstellerin Catherine Allégret, Kameraassistent William Lubtchansky und der kinetische Künstler Joël Stein. So gelingt es Medrea und Bromberg, die visuelle Kraft von L'Enfer zu zeigen, ohne die massiven Probleme der Produktion und Henri-Georges Clouzots Kontrollsucht zu verschleiern.
Romy Schneider in einer der surrealen Sequenzen von L'Enfer © Kinowelt GmbH
Die Kritiken für Die Hölle von Henri-Georges Clouzot fielen entsprechend begeistert aus – so schrieb Peter Bradshaw im britischen "The Guardian" zum Beispiel: "Film historian Serge Bromberg tells the riveting story of one of cinema history's great "lost" movies... and his assemblage is perhaps more fascinating than the completed work would have been."
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DK