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Oscar-Verleihung 2021: Die etwas andere Gala

Hollywood rückt in Zeiten des gebotenen Abstands näher zusammen. So lief die Verleihung der Academy Awards in der Union Station von Los Angeles.

26. April 2021

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen, sagt man. Aber in Hollywood war die Zeit wohl längst reif für Veränderungen. Die Oscars? Böse ausgedrückt: Mit den Jahren sind sie immer offensichtlicher zur glamourösen Feier des Stillstands geworden. Eine geradezu schmerzvolle Prozedur vollzog sich zuletzt Jahr für Jahr im Dolby Theatre, in der die Stars nur einen Teil der Kulisse bildeten, gefangen in einem Setting aus teuren Stoffen, Sarkasmus und Gleichgültigkeit. Nicht nur den Nominierten und Preisträger*innen und deren immer mal wieder zum Zungeschnalzen anregenden Outfits oder ihren vereinzelt aufhorchenswerten Statements wurde bei den Academy Awards der rote Teppich ausgerollt. Auch Hohn und Spott über eine in ihren festen Strukturen beinahe schon mumifizierte Branche feierten seit Jahren stets mit. Und obwohl der Veranstaltung die quasi-heilige Aura nie ganz zu nehmen war, ganz ernstnehmen mochte man sie auch nicht mehr.

Gerade im Vergleich mit dem jüngsten öffentlichen Auftreten so einiger Schauspieler*innen hierzulande, zeigte sich eine ungeahnte Realitätsverbundenheit der Traumfabrik.

Natürlich gehört die Oscar-Nacht für viele Filmfans einfach zu den liebgewonnenen Traditionen, inklusive der bissigen Gags, meist voraussehbaren Jury-Entscheidungen, beeindruckenden wie peinlichen Dankesreden und opulenten Showeinlagen. Aber in diesem Jahr trafen sich der Wille zu mehr Diversität bei der Oscar-Vergabe – schon zwangläufig hervorgerufen durch wiederholte Diskussionen um weiße Polizeigewalt in den USA, immer lauter werdende Rufe nach stärkerer Repräsentation verschiedener gesellschaftlicher Gruppen im US-Mainstream-Kino sowie durch die Auswirkungen von Missbrauchsskandalen rund um die Weinstein-Affäre – mit den notwendigen Corona-Maßnahmen. Was würde diese Konstellation hervorbringen? Wie ein Film sollte sie ablaufen, hieß es im Vorfeld, die Inszenierung einer so noch nie dagewesenen Oscar-Show. Dass sie überhaupt als Präsenzveranstaltung stattfinden konnte, ist schon bemerkenswert, auch wenn einige der Kandidat*innen und Gewinner*innen selbstverständlich zugeschaltet werden mussten und ein Rest an Zweifel bleibt, ob das Beieinander der anderen auf relativ engem Raum wirklich so vernünftig war. Aber dass diese sozusagen gesundgeschrumpfte Gala darüber hinaus in Zeiten des gebotenen Abstands zumindest ein Zusammenrücken symbolisierte… das ist schon eine Leistung, die man der Academy trotz ihrer Pathoshoheit kaum zugetraut hätte. Nicht einfach ein Stoßseufzer der US-Kreativindustrie nach der Ära Trump waren diese Oscars, nicht mal ein trotziges Nachtreten. Vielen Beteiligten nahm man den Versuch ab, ein echtes Anliegen vorzutragen. Gerade im Vergleich mit dem jüngsten öffentlichen Auftreten so einiger Schauspieler*innen hierzulande, zeigte sich eine ungeahnte Realitätsverbundenheit der Traumfabrik. Wer hätte es gedacht?

Szene aus Thomas Vinterbergs "Der Rausch" © Henrik Ohsten

Szene aus Thomas Vinterbergs "Der Rausch" © Henrik Ohsten

Große Gewinnerin war die Regisseurin Chloé Zhao. Mit einem vergleichsweise kleinen Budget drehte sie ihr Außenseiter-Drama Nomadland, in dem das Leben von Amerikaner*innen ohne feste Bleibe zugleich fiktionalisiert und dokumentiert ist. Die einzige professionelle Schauspielerin im Laien-Ensemble, Frances McDormand, gewann in der Kategorie "Beste Hauptdarstellerin", dazu räumte Zhao noch die Auszeichnung für die "Beste Regie" ab. Die Existenzen am Rand der Gesellschaft also trafen mitten ins Herz der Jury. Und wenn man nicht zurück in den Zynismus fallen möchte (erst Armut politisch produzieren, dann kunstvoll jenen "Überlebensmut" feiern, den sie hervorbringt), bleiben zwei Erkenntnisse: Die chinesische Filmemacherin könnte als Person und durch ihr Werk Brücken bauen im Verhältnis der USA zu China und zu den Prekarisierten im eigenen Land. Zhaos kurze Ansprache jedenfalls war subtil politisch und machte zudem neugierig auf den Film. Die coolste Rede der Nacht hielt jedoch Daniel Kaluuya. Er wurde als bester Nebendarsteller für seine Verkörperung des Black Panther-Aktivisten Fred Hampton in Judas And The Black Messiah prämiert. Nach viel Message schaffte er es, mit einem lockeren Spruch seiner stolzen Mutter im Publikum außer Tränen noch die Schamesröte ins Gesicht zu treiben. Respekt!

Favoritensiege blieben auch diesmal nicht aus. So machte Disneys Soul vollkommen erwartet das Rennen bei den Animations- und die Netflix-Produktion My Octopus Teacher bei den Dokumentarfilmen. Ton- und Schnittpreis für Sound Of Metal, den Film über einen Schlagzeuger, der sein Gehör verliert, sind ebenfalls keine Überraschung. Bei aller moralischen Integrität der meisten diesjährigen Oscar-Filme darf die Ausnahme von der Regel nicht fehlen. Das beweist der Triumph von Thomas Vinterbergs Der Rausch. Der beste internationale Film hat keine eindeutige Botschaft und überzeugt gerade durch seine irritierenden Momente im Umgang mit dem Reizthema Alkohol. Dabei sorgte der Däne Vinterberg (Das Fest) vor Ort für einen äußerst bewegenden Augenblick, als er seiner Tochter gedachte, die bei einem Autounfall ums Leben kam. Eine persönliche Tragödie ausgerechnet zu der Zeit, als er seine "Hommage ans Leben" drehte.

Szene aus "Minari – Wo wir Wurzeln schlagen" © Melissa Lukenbaugh / Prokino/ A24

Szene aus "Minari – Wo wir Wurzeln schlagen" © Melissa Lukenbaugh / Prokino/ A24

Am Ende geht es hier dann doch "nur" um Filme. Das macht die Wirklichkeit uns immer wieder klar. Und manchem mag das Prozedere der Academy Awards in diesem Jahr vielleicht etwas zu monoton gewesen sein, andere dürften den üblichen Trubel um den roten Teppich vermisst haben. Obwohl auch einige Looks das lange Aufbleiben wert waren, etwa der von Christina Oh (die Produzentin von Minari – Wo wir Wurzeln schlagen durfte sich dann noch über den Oscar für Yoon Yeo-jeong als beste Nebendarstellerin freuen). Aber der kleinere Rahmen in der Bahnhofshalle der Union Station in Los Angeles und die persönlichen Notizen zu sämtlichen Nominierten haben insgesamt eine interessante Atmosphäre erzeugt. Ein selbstbewusster Vibe, den Regina King als erste im Reigen der Hosts vorgab, zog sich wie ein roter Faden durch die Show. Wenn diese Oscars ein Film waren, dann nicht Die Nacht der lebenden Toten. Das wird auch Anthony Hopkins unterschreiben, der knapp dreißig Jahre nach der Performance als Hannibal Lecter für seine Rolle in The Father seinen zweiten Oscar erhielt. Hoffen wir mal auf eine Fortsetzung der etwas anderen Academy Awards im kommenden Jahr. Mit ähnlichem Spirit, nur unter weltweit besseren Voraussetzungen.

WF

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