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Bild zu Ryan Gosling: Engelchen und Teufelchen unter einem Hut

Ryan Gosling: Engelchen und Teufelchen unter einem Hut

Wir gratulieren dem kanadischen Star aus Half Nelson, The Place Beyond The Pines und La La Land (sowie vielen weiteren großartigen Filmen) allerherzlichst zum 40. Geburtstag!

Persönliches/Aus gegebenem Anlass

12. November 2020

Meist steckt der Teufel im Detail, manchmal verbirgt sich dort aber auch ein Engel. Nun ist es stets so, dass eine Kleinigkeit große Irritationen auslösen kann. Im Fall von Ryan Gosling genügt ein Blick auf seinen Geburtsort, um die falsche Fährte einzuschlagen. Das künstlerische Multitalent – der Mehrzahl des Publikums als Schauspieler bekannt, allerdings auch schon als Regisseur, Drehbuchautor und Musiker in Erscheinung getreten –, wurde nämlich am 12. November 1980 in London geboren. In die Hauptstadt Großbritanniens hat es ihn dennoch erst viel später verschlagen. Jenes London, in dem Goslings Wiege stand, liegt in Ontario, Kanada.

Wir können Gosling heute also zum Wiegenfest gratulieren. Für einen Vierzigjährigen hat er dem Filmpublikum schon sehr viele Anlässe gegeben, um einmal Danke zu sagen und ihn im Geiste zu drücken. Ganz ehrlich, wer würde Ryan Gosling nicht gerne in den Arm nehmen? Der Londoner Bub ist ja vermutlich schon mit einem Geschenk auf die Welt gekommen, das er fortan nur noch entwickeln musste. Gemeint ist sein Charme, der ihn beinahe zwangsläufig auf die Bühne und ins Scheinwerferlicht führte – zunächst als Star des Mickey Mouse Clubs neben Britney Spears, dann als Hauptdarsteller in hochgelobten Indiefilmen und Big-Budget-Hollywood-Produktionen. Dabei reicht ihm oft ein Blick, um seine Filmfigur zu charakterisieren.

Als unkonventioneller Lehrer in "Half Nelson" © Studiocanal

Als unkonventioneller Lehrer in "Half Nelson" © Studiocanal

Die erste Rolle, die ihm höchste internationale Aufmerksamkeit und Anerkennung verschaffte, war die des unkonventionellen Lehrers Daniel Dunne in Ryan Flecks Drama Half Nelson (2006). Ein afroamerikanisch dominiertes Viertel New Yorks. Dort bringt Dan seinen Achtklässlern im Geschichtsunterricht den Fortgang der Historie mit Hegels Prinzip der Dialektik nahe. Das legt zum einen den Verdacht nahe, dass er ein Kommunist ist, da Marx bekanntlich Hegels Dialektik vom "Kopf auf die Füße" gestellt hatte – und was wäre geerdeter als die geschichtliche Wirkung von widerstrebenden Kräften in einem sozialen Brennpunkt zu lehren? Leider passt das nicht in den offiziellen Lehrplan. Zum anderen gibt es da noch ein Problemchen: Dan ist außerhalb des Unterrichts ein Arschloch und außerdem drogensüchtig.

Na, was nun, Engel oder Teufel? Half Nelson lässt die Frage offen, folgt selbst den verschlungenen Pfaden von These – Antithese – Synthese. Die ganzen Widersprüche der komplexen Figur, die Ryan Gosling mit verschlagener Liebenswürdigkeit auf den Punkt bringt, spiegeln sich zudem in seinem Verhältnis zur Schülerin Audrey. Die von Shareeka Epps gespielte Drey erwischt ihren Geschichtslehrer und Basketballcoach eines Abends high in der Umkleidekabine. Ihr Vater hatte mal wieder vergessen, sie vom Match abzuholen. Fortan pflegen die beiden eine ungewöhnliche Freundschaft, die nicht in einer moralischen Sackgasse mündet. Wir lernen: Es ist mehr als eine Sache, die den Menschen ausmacht.

Verwegen unterwegs in "The Place Beyond The Pines" © Studiocanal

Verwegen unterwegs in "The Place Beyond The Pines" © Studiocanal

Die Ambivalenz eines Typen, der es faustdick hinter den Ohren hat und dabei das Potenzial offenbart, zu den Guten zu gehören. Das verkörperte Ryan Gosling wieder perfekt als meisterhafter Fluchtfahrer in Nicolas Winding Refns Drive (2011). Sackgassen wurden hier ebenfalls tunlichst umkurvt, sowohl auf der Straße als auch im Drehbuch. Die Figur nahm Gosling in Teilen mit in den nächsten Thriller, der die Zuschauer begeisterte. Diesmal gab er den Motorrad-Stuntman in Derek Cianfrances The Place Beyond The Pines (2012). Und wenn man nur diese beiden Filme sowie Winding Refns Only God Forgives aus dem Jahr 2013 mit Ryan Gosling in tragenden Rollen gesehen hat, könnte man durchaus noch auf die Idee kommen, hier wäre jemand gecastest worden, weil sein gutes Aussehen perfekt in die Kulissen passte. So emotional wie ein Double seiner selbst.

Es ist allerdings exakt diese Prise melancholischer Erschöpfung, dank der Ryan Gosling in jeder Konstellation die Waage zwischen den Extremen hält. Das gilt auch für seine Auftritten in Stay und Song to Song. Ein moderner James Dean, der weiß, was er tut. Schauen Sie nur genau hin, wie er als Jazz-Pianist Sebastian Wilder in Damien Chazelles La La Land (2016) scheinbar alle Fesseln abstreift – die romantische Tanzszene mit Emma Stone! – und dabei stets diese gewisse Distanz wahrt. Man möchte sie doch – ob wie heute aus freudigen Anlass eines runden Geburtstags oder tröstend wie bei den bisherigen Oscar-Nominierungen für seine Darbietungen in La La Land oder Half Nelson, die keine Trophäe zur Folge hatten – mit einer herzlichen Umarmung überbrücken. Trösten wir uns selbst damit, dass Lebensgefährtin Eva Mendes das stellvertretend für seine Fans übernimmt. Und verneigen uns vor seiner Kunst.

WF

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