Eine merkwürdige Vorstellung, dass große Schauspielerinnen wie Emma Stone und Catherine Deneuve wegen Musicalrollen morgens nach dem Aufstehen vor dem Spiegel ein paar Hampelmänner machen. Solch eine Vorbereitung aufs Tanzen verbindet man heutzutage eher mit den Kandidat*innen von Fernsehshows wie „Let’s Dance“, in der Prominente den Dancefloor und Die Boulevardmedien zugleich mit vollem Körpereinsatz beackern – mal mehr, mal weniger ansehnlich.
Aber zumindest im Fall von Emma Stone steckt dahinter nichts als die Wahrheit. Ihre Choreografin Mandy Moore verriet vor der Oscar-Verleihung 2017 nämlich kleine Geheimnisse des großen Erfolgs von La La Land – jener filmischen Liebeserklärung an Hollywood und die Kunst des Musicals, in der Emma Stone und Ryan Gosling Seite an Seite glänzen, so sehr, dass sämtliche Sterne in und über Los Angeles dagegen zu verblassen scheinen. In der berühmten Szene ihres Rendezvous in den Hills tanzen, singen und spielen die beiden über sechs Minuten lang ohne Schnitt. Das Training – eine Kombination aus der bereits erwähnten Übung für Amateure und Workouts für Fortgeschrittene – hatte sich gelohnt.
Aber Emma Stone beweist in La La Land mehr als Kondition. Ihre Bewegungen sind grazil und beherrscht, neben Geschmeidigkeit strahlt sie Haltung und Selbstbewusstsein aus. Man könnte ja meinen, dass es gar nicht so einfach ist, in adretten Kostümen und perfekten Choreografien noch die eigene Persönlichkeit zu entfalten. Aber wie Emma Stone unter
der Regie von Damien Chazelle ihrer Figur Mia auf Schritt und Tritt sowie mit Hand, Fuß und Köpfchen Leben einhaucht – das ist umwerfend!
Man könnte meinen, die Bilder stammen aus einem Film. Emma Stone als Mia in La La Land...
Willst du etwas über den Charakter eines Menschen erfahren, beobachte ihn auf der Tanzfläche, sagt man. Oder besser: Tanze mit ihm! Und Emma Stone lädt uns alle zum Mittanzen ein. Auch die Jury der Academy fühlte sich aufgefordert. Einer der sechs Oscars für La La Land ging an sie. Catherine Deneuve spielte in den 1960er-Jahren jeweils eine der Hauptrollen
in zwei Filmen aus Jacques Demys „Romantischer Trilogie“, die mit LOLA und Anouk Aimée als Star begann. Es folgte Die Regenschirme von Cherbourg, in eben jener Kleinstadt in der Normandie angesiedelt. Catherine Deneuve spielt Geneviève, die Tochter einer Regenschirmverkäuferin. JeDer Dialog des Films wird gesungen, und Deneuve verkörpert mit Leib, Seele und Stimme die Sehnsucht der verliebten jungen Frau aus der Provinz.
Catherine Deneuve und Françoise Dorléac ein halbes Jahrhundert früher … © �1996-CINE TAMARIS
Das Leben und die Liebe entpuppen sich in Demys Geschichte, ähnlich wie in Chazelles La La Land, als einziger Tanz – und zwar auf einem Vulkan, der immer dann Feuer spuckt, wenn man es am wenigsten erwartet. Eine Weisheit, die Catherine Deneuve mit einem einzigen Augenaufschlag zu verkörpern weiß.
Unmögliche Liebe steht auch im Mittelpunkt von Die Mädchen von Rochefort. Darin brilliert Deneuve neben ihrer älteren Schwester Françoise Dorléac, die kurz nach den Dreharbeiten bei einem Autounfall ums Leben kam. Dies erscheint umso tragischer, da die Tanzszenen der beiden Schwestern und aller anderen Figuren – angefangen bei der Ankunft der Schausteller*innen über die berühmte Schwebebrücke von Rochefort – eine durch und durch optimistische Leichtigkeit verströmen. So als wollten sie sagen: Wenn es schon kein Happy End geben wird, so will ich mich doch bis zum bitteren Ende selbst behaupten, um als Individualistin in der gemeinsamen Bewegung des Ensembles aufzugehen wie die Blüte im Sonnenschein. Die blühende Anmut Catherine Deneuves stach allerdings schon damals heraus.
Willst du etwas über den Charakter eines Menschen erfahren, beobachte ihn auf der Tanzfläche, sagt man. Oder besser: Tanze mit ihm!
© �1996-CINE TAMARIS
La La Land steckt noch 50 Jahre später voller Anleihen an die große Kunst der Hollywood-Musicals der 1960er-Jahre, denen auch der Franzose Demy in seinen Singspielen als Zeitgenosse mit vielen Referenzen Respekt zollte. Doch wenn man seine Filme und La La Land nacheinander schaut, kommt es einem vor, als würden seine Hauptdarstellerinnen sich an den Händen fassen und zusammen singen: „Wir lassen uns von niemandem auf dem Kopf herum tanzen, schon gar nicht von irgendwelchen Hampelmännern!“
Vielleicht liegt es ja auch ein wenig daran, dass solche wundervollen Musicals die Phantasie beflügeln.