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Warum es keinen Schund gibt (zum Glück gibt es Schund)

Ein Plädoyer für popkulturellen Trash

12. Januar 2023

Wer sich nie dabei ertappt hat, popkulturellen Schund mit Wonne zu konsumieren, kann derartige Gelüste wohl gut vor sich selbst verstecken.

Die meisten von uns werden schon offen zugeben müssen, ab und zu mal eine Film- oder Serienproduktion zu gucken, die nicht unbedingt "höheren künstlerischen Ansprüchen" genügt. Da wären wir bereits beim Punkt. Darf man sich bei Stanley Kubrick langweilen und Steven Spielberg lieben? Es stehen ja einige Klassiker von Kubrick in der aktuellen Sight & Sound-Liste der besten Filme aller Zeiten, trotzdem soll es Leute geben, die sie öde finden. Mein Nachbar, dessen Name nicht genannt werden darf, schätzt Godard, liebt Truffaut und verehrt Tavernier. Aber manchmal muss es eben Louis de Funès sein. Dann dringt das für de Funès‘ Figuren typische "Ah" und "Oh" durchs ganze Haus.

Louis de Funès wurde ja tatsächlich in Frankreich von der Kritik sehr lange nicht besonders ernst genommen. Sein kommerzieller Erfolg war schließlich dadurch begründet, dass der von ihm meist verkörperte Charakter des stets nach unten tretenden Cholerikers sehr viel mit dem Alltag eines Millionenpublikums zu tun hatte, das sich einerseits herrlich über den Klamauk amüsierte und andererseits das Verhalten der eigenen Chefs, Bekannten oder Verwandten darin wiedererkannte. Das sollte ein Gütesiegel sein. Aber wenn die Kritik die Nase zu hoch trägt, ist Nähe zum echten Leben eben ein Kriterium, das eher gegen die Kunst spricht.

Unterschätzter Geniestreich: Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe © Studiocanal

Unterschätzter Geniestreich: Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe © Studiocanal

In den 1960er und 70er Jahren galten Filme von und mit Louis de Funès als Schund – im Vergleich zu den Meisterwerken der Nouvelle Vague. Mittlerweile ist er halbwegs rehabilitiert. Und es spricht für die Offenheit des ARTHAUS-Programms, das man ihm neben den anerkannten intellektuellen Größen des französischen Kinos von einst heute jenen Platz einräumt, der ihm seit jeher gebührt. Nur weil man Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe klasse findet, muss man ja nicht was gegen Tati haben. Ein Film wie dessen Traffic ist unbestritten genial – nur eben auf eine ganz andere Weise genial. Wenn sich Mr. Hulot und Balduin das Nachtgespenst doch nur in einem Film hätten treffen können.

Halten wir zur Sicherheit kurz fest: Es gibt schlechte vermeintlich anspruchsvoll gemachte Filme – so wie es gute vermeintlich weniger anspruchsvoll gemachte Filme gibt. Und es gibt gute vermeintlich anspruchsvoll gemachte Filme – so wie es schlechte vermeintlich weniger anspruchsvoll gemachte Filme gibt. Gar nicht so kompliziert, oder? Von einem "objektiven" Urteil sollte man sich besser nicht allzu sehr beeinflussen lassen. Es wird oft genug von der Geschichte eingeholt und revidiert. Wer Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Theater aufwuchs, könnte das aufkommende Kino als Ort der Massenunterhaltung abgelehnt haben, selbst wenn ein Werk von Fritz Lang zu sehen war.

Red Sonja: Ist das noch Trash oder kann das weg? © Studiocanal

Red Sonja: Ist das noch Trash oder kann das weg? © Studiocanal

Und wer jetzt "Qualitätsserien" liebt, gibt vielleicht nicht viel auf A-Team, Roseanne oder Buffy the Vampire Slayer – vom Autor dieser Zeilen verehrte Meilensteine der Pop-Sozialisation. Vermutlich dürfte aber jeder einsehen, dass ein Familienabend mit Arnold Schwarzenegger und Brigitte Nielsen in Red Sonja mehr Freude bringt als sich mit den Schwiegereltern Experimentalfilme reinzuziehen. Es ist auch halt auch eine Frage der Gemütlichkeit.

Wenn es um Musik geht, gibt es kaum größere Nervensägen als jene Indie-Spießer, die alles blöd finden, was mehr als drei Leute hören, die leider die falschen Klamotten tragen. Faustregel: Jeder Snob, der einem begegnet, macht den Schund umso attraktiver. Wir reden hier nicht von Spielberg oder de Funès, auch nicht von Aneignungsstrategien wie Camp oder dem kulturell hochgeschätzten Upcycler von B-Movie-Ware namens Quentin Tarantino. Nee, wir sprechen jetzt von John de Bellos Angriff der Killertomaten oder Marino Girolamis Zwei Trottel gegen Django. Filme, die manche Menschen brauchen wie andere Bachs Goldberg-Variationen, um gesund zu werden, wenn sie krank im Bett liegen.

Die populäre Massenkultur ist sowas wie Benjamin Button. Alt geboren, verjüngt sie sich beim Aufwachsen. Medientheoretiker Marshall McLuhan fasste ihr Coming-of-Age einst mit der genialen Feststellung zusammen, das Medium sei die Botschaft, also die Technologie, während die in ihr transportierten Inhalte immer weniger zu bedeuten scheinen. Diese Behauptung hat durch das Internet nicht an Relevanz verloren – und kommt uns heute als Ausrede für unsere Guilty Pleasures äußerst gelegen. Spotify, nur damit es dudelt. Netflix, egal was da läuft. Fernsehen, weil es Oldschool ist. Mit Popcorn, Chips und Zeit zum Totschlagen.

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Es gibt Tage, die sind fürs Bingewatching von Fassbinders Berlin Alexanderplatz gemacht – sehr empfehlenswert! Aber an anderen erscheint die Session mit alten Love Boat-Folgen reizvoller. An dieser wunderbaren Show lässt sich auch der Einfluss der Pop Art auf die ach so schönen Künste gut festmachen, spielt doch Andy Warhol in einer der Episoden des US-Traumschiffs mit. Wie cool wäre es, wenn Gerhard Richter bei Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei dabei wäre! Überhaupt, was sind schon ein peinlicher Lieblingsfilm oder eine peinliche Lieblingsserie gegen kulturelle Blasiertheit? Hochkultur ist auch nur eine Ware wie Zahnpasta, möchte man den Bornierten zurufen. Popkultur kann Leben verändern, und zwar zum Besseren, selbst wenn sie den Stempel Trash trägt. Basta! Mein Nachbar mag es übrigens auch nicht, wenn man herablassend Kultfilm zu einem seiner Lieblinge sagt. Da dreht er durch.

Dass es gar keinen Schund gibt, weil E- und U-Unterhaltung sich verdammt ähnlich sind, wenn sie ihr Publikum nur gut unterhalten, und weil die Trennung eher die soziale Herkunft der Rezipienten spiegelt, ist im akademischen Milieu inzwischen ein Allgemeinplatz. Der Historiker Eric Hobsbawm zitiert in "Der Tod der Avantgarde: Die Künste nach 1950" die Einsicht der progressiven Literaturkritik des ausgehenden 20. Jahrhunderts: "Die Entscheidung, ob Shakespeares 'Macbeth' besser oder schlechter als 'Batman' sei" – die wäre "unmöglich, irrelevant und undemokratisch" zu fällen. Elitärer Klassismus hat mit wahrem kulturellem Erleben nun mal wenig zu tun. Nichts muss, alles darf. "Ah" und "Oh" würde Louis de Funès jetzt rufen und die letzten Zweifel ausräumen, dass der Begriff Schund begraben gehört, während man sich trotzig an ihm erfreuen kann. Einfach weil’s Spaß macht und weil gesund ist, was schmeckt.

WF

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