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Bild zu Wenn die Gondeln Trauer tragen: Nicolas Roegs Meisterstück

Wenn die Gondeln Trauer tragen: Nicolas Roegs Meisterstück

Jason Wood würdigt den Regisseur, in dessen Werk nichts ist, wie es scheint. Und er ordnet Roegs wohl besten und nun aufwendig restaurierten Film historisch sein. Das opus magnum mit DER Liebesszene der Kinogeschichte…

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07. Oktober 2019

Als ich gebeten wurde, dieser liebevoll präsentierten Restaurierung von Nicolas Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973) – eine komplexe, ungemein wegweisende und hochgelobte Studie des menschlichen Umgangs mit Trauer und gleichzeitig eine schaurige Mordgeschichte vor dem Hintergrund der Kanäle und bröckelnden Kirchen Venedigs – ein Essay beizusteuern, war mein erster Gedanke, dass dazu eine breitere Betrachtung der Karriere dieses Regisseurs angebracht wäre. Diese Karriere, zweifellos die eleganteste und stilsicherste des britischen Nachkriegskinos, rückte erst kürzlich infolge von Roegs Dahinscheiden im Alter von 90 Jahren am 26. November 2018 wieder in einen engeren Fokus. Insofern soll hier eine generelle Kontextualisierung der Filme Roegs folgen. Besondere Aufmerksamkeit kommt dabei natürlich dem Platz zu, den seine Daphne-du-Maurier-Adaption (nach einem Drehbuch von Allan Scott und Chris Bryant) darin einnimmt – jener Film, der allgemein als sein bedeutendstes Werk gilt.

Das Mädchen mit dem roten Mantel

Das Mädchen mit dem roten Mantel

Roeg betrat das Parkett der britischen Filmindustrie im Jahr 1947. Anfangs war er Laufbursche in den De-Lane-Lea-Synchronstudios in der Londoner Wardour Street. Er arbeitete sich vom Klappenjungen hoch zum Kameraassistenten und steuerte langsam auf eine Laufbahn als Kameramann zu. Seinen Durchbruch hatte Roeg als Assistent von Freddie Young bei Knotenpunkt Bhowani (1956) von George Cukor. Als die grimmigen späten 1950er in die Swinging Sixties übergingen, gelang Roeg der Schritt von prestigeträchtigen Jobs als Kameramann bei Fred Zinnemans Der endlose Horizont (1960), Ken Hughes’ Der Mann mit der grünen Nelke (1960) und der Sequenz des explodierenden Zuges in David Leans Lawrence von Arabien (1962) hin zum ersten Kameramann bei zwei Clive-Donner-Filmen: Der Hausmeister (1963) und Das Beste ist grad’ gut genug (1964). Roeg erntete viel Lob für seine Farbbildgestaltung von Roger Cormans Satanas – Das Schloß der blutigen Bestie (1964) und Truffauts Fahrenheit 451 (1966). Beide Filme sollten einen bedeutenden visuellen Einfluss auf Roegs anschließende Arbeit als Regisseur haben. Dabei ist besonders Satanas in Bezug auf die unheilvolle Assoziation der Farbe Rot in Wenn die Gondeln Trauer tragen wiederzufinden.

Wer am Anfang von Wenn die Gondeln Trauer tragen nur kurz blinzelt, verpasst etwas Wichtiges…

Roegs hervorragende Kameraarbeit an diesen ikonischen 1960er- Jahre-Filmen fand ihren Höhepunkt in seiner Zusammenarbeit mit Richard Lester an Petulia (1968). Der Film sollte mit seiner Neigung zu Gegenüberstellungen und der Vorliebe für gewagte und schrille Designs, die natürliche Szenerien mit den Verwirrungen des technischen Fortschritts in Kontrast setzen, Roegs spätere Arbeiten vorwegnehmen. Als Kameramann genügte es Roeg selten, Handwerker zu sein. Während Regisseure wie Lester die gemeinsame Zusammenarbeit mit ihm genüsslich auskosteten, unterdrückten andere – wie Lean, der Roeg während der Dreharbeiten zu Doktor Schiwago (1966) feuerte – seinen natürlichen Instinkt für Expressionismus.
Roegs erster Spielfilm als Regisseur war Performance (1970), seine berüchtigte Zusammenarbeit mit dem Londoner Szenegänger und ehemaligen Maler Donald Cammell. Der kaleidoskopartige Schnitt und die Ablehnung von Linearität, beides stark beeinflusst von der Literatur Jorge Luis Borges’, sollten das Fundament für seine zukünftigen Soloprojekte bilden. Die Fragen zur Autorschaft sind zahlreich, doch der Film enthält zweifellos diverse von Roeg präferierte visuelle wie auch thematische Motive, darunter Auffassungen von Identität sowie Konzepte von Entfremdung und des gespaltenen Ichs. Die Idee, dass ein Mann sein eigenes Ende voraussagt, ist natürlich zentral für Wenn die Gondeln Trauer tragen. James Fox, der später zu anderem Glauben konvertierte, spielt in Performance Chas, einen unbedeutenden Gangster auf der Flucht vor seinen Unterweltkomplizen, der im Keller der alternden Rocklegende Turner (perfekt besetzt mit Mick Jagger, Roegs erstem popkulturell übergreifenden Casting) und seiner zwei Freundinnen Pherber (Anita Pallenberg) und Lucy (Michele Breton) Zuflucht findet. Der einsiedlerische Turner erkennt in dem gewalttätigen Kriminellen sein jüngeres Selbst wieder und sprengt die inneren Grenzen des Verbrechers mit einer Mixtur aus Sex, Drugs & Rock-’n’-Roll auf.

Ein Cocktail aus und Gewalt und das perfekte Skript…

Performance beginnt als geradliniger Thriller, bevor er in weitaus interessanteres und größtenteils unerforschtes Terrain abkommt; es ist ein visuell erstaunliches Werk (bei dem Roeg sämtliche fotografischen Aufgaben übernahm) und einer der anspruchsvollsten, einflussreichsten, intelligentesten und thematisch provokantesten britischen Filme aller Zeiten. Die Filmmusik – unter Leitung von Jack Nitzsche und einschließlich Jaggers phänomenalem "Memo From Turner" – schafft die perfekte Stimmung.
Finanziert von Warner Bros blieb Performance zwei Jahre lang unveröffentlicht. Das Studio machte kein großes Geheimnis aus seiner Verachtung für den Film. Letztendlich fand der Kinostart im besten Falle halbherzig statt – Warner stutze den meisterlichen Cocktail aus Sex und Gewalt ordentlich. Doch der Ruf des Films wuchs kontinuierlich und im Laufe der Jahrzehnte stieg er vom reinen Kultstatus auf zu regelmäßigen Spitzenplätzen in nationalen wie internationalenTop-Ten-Listen der besten Filme aller Zeiten. Roeg setzte Performance seinen Walkabout (1971) nach. Dieser basierte auf dem Roman von James Vance Marshall und einem Drehbuch von Edward Bond. Charakteristischerweise nutzte Roeg Bonds Skript als Katalysator für seine Vorstellungskraft: "Es ist perfekt", soll er ausgerufen haben als er Bonds handgeschriebenes 14-Seiten-Drehbuch erhielt.
Der Film – ein Blick auf die gescheiterte Liebesaffäre zwischen einer kultivierten Jugendlichen aus der Großstadt (gespielt von Jenny Agutter) und einem Aborigine-Jungen (David Gulpilil) auf Initiationsritus, der ihn ins Erwachsenendasein heben soll – untersucht die Barrieren zwischen Kulturen und die abstumpfenden Effekte der Konsumgesellschaft auf die menschliche Natur. Laut Roeg ist er so geschnitten, dass er die Art und Weise widerspiegelt, wie Kinder die Welt sehen. So werden zum Beispiel Aufnahmen der Tötung von Tieren rückwärts abgespielt, um sie ins Leben zurückkehren zu lassen und eine gewisse Unschuld im Hinblick auf Sterblichkeit anzudeuten. Auf diese Weise lenkt Walkabout die Aufmerksamkeit auch auf die direkten Konventionen filmischer Narrative und Handlungsverläufe. Eine besonders beeindruckende Sequenz blättert sich auf wie eine Reihe von Seiten – als ob der Zuschauer ein Comicheft zum Leben erwachen sähe.

Nicolas Roeg am Set mit Julie Christie und Donald Sutherland

Nicolas Roeg am Set mit Julie Christie und Donald Sutherland

Nichts ist, wie es scheint

Wenn die Gondeln Trauer tragen ist bis heute Roegs wohl am meisten bewundertes und geschätztes Werk sowie eines seiner wenigen, die direkt nach der Veröffentlichung und noch zu seinen Lebzeiten gepriesen wurden. Posthum wird Roeg als wahres Genie seines Mediums betrachtet, doch wurde er nicht immer so hochgeschätzt. Dies betonte sein langjähriger Freund und Produktionspartner JeremyThomas, als er die britische Filmlandschaft für die Nichtbeachtung eines ihrer visionärsten Talente scholt:
"Roeg war eine der zentralen Figuren, doch er bekam keinerlei Unterstützung von der britischen Filmindustrie. Etwas stimmt nicht mit unserer Kultur, dass wir unsere größten Filmemacher nicht achten, besonders wenn sie in der Heimat bleiben, äußerst britisch und dazu außergewöhnlich sind."
Die intelligente, erschütternde und provokante Adaption von du Mauriers übernatürlichem Thriller zeigt den Horror auf, der dem Familienleben innewohnt, und das in Roegs charakteristischem visuellem Stil. Das Ehepaar Laura (Julie Christie) und John Baxter (Donald Sutherland) nimmt einen Arbeitsauftrag im winterlichen Venedig an, stimmungsvoll in Szene gesetzt von Kameramann Anthony Richmond. Dort versuchen sie, den Ertrinkungstod ihrer jüngeren Tochter zu überwinden. Der Film beginnt sensationell mit einer Eröffnungssequenz (Titel inklusive) aus mehr als Hundert Einstellungen in nur sieben Minuten. Wie Mark Sanderson in seiner Monografie über den Film erklärt, ist dies "ein Paradebeispiel für Verdichtung und Abkapselung, das dem ahnungslosen Zuschauer praktisch den gesamten folgenden Film in Kurzform präsentiert. Das Ganze fungiert als Warnung: wer blinzelt, verpasst es. Graeme Clifford ist der Cutter des Films. Gedanke zeitlicher Verlagerung (Fragile Geometrie, Joseph Lanzas Buch über Roeg, hat wahrscheinlich den perfektenTitel) nimmt
die meistgefeierte Szene des Films – abgesehen natürlich von der ungebrochen schaurigen Auflösung, in der der hellseherisch begabte John Baxter zu seinem Unglück einen mörderischen Zwerg im roten Mantel verfolgt, von dem er glaubt, es handle sich um seine verstorbene Tochter – wieder auf. Es ist ein zärtlicher, bewegender Moment, in dem das junge Paar sich in seinem Hotelzimmer das erste Mal seit derTragödie liebt. Steven Soderbergh entlehnte dieses vielleicht prägnanteste Beispiel für Roegs nichtsequentiellen Schnittstil eingestandenermaßen in Gänze für Out of Sight (1998).

Eine der wichtigsten Seiten des Originaldrehbuchs

Eine der wichtigsten Seiten des Originaldrehbuchs

"Die berühmte Liebesszene – die berüchtigte Liebesszene – stand nicht im Drehbuch. Es traf mich ganz plötzlich nach vier Wochen, dass John und Laura ständig rudern müssen – die Zeit der Candlelight-Dinner ist vorbei, sie haben zwei Kinder. Sie lieben einander, wie die Szenen im Badezimmer und im Schlafzimmer beweisen. Sie sind von der Nacktheit des anderen nicht beeindruckt, sie versuchen, über etwas Schreckliches hinwegzukommen, und in dieser Trauer ist nichts, wie es scheint", erklärte Nicolas Roeg später.
Wird Roeg auch regelmäßig für seine visionäre Ästhetik gepriesen, seine Fähigkeit mit Schauspieler*innen an schwierigem und immer wieder so intellektuellem wie zutiefst gefühlsgeladenem Material zu arbeiten, erhält möglicherweise nicht ausreichend Beachtung. Christie und Sutherland sind grandios, ebenso wie Hilary Mason und Clelia Matania, als zwei Schwestern, von denen Erstere John Baxters Fähigkeit teilt, die Zukunft vorauszusagen, so makaber das auch sein mag. Dabei hätte Sutherland sich fast seine Chancen vermasselt, in dem Film mitzuspielen.
"Er [Roeg] und ich sprachen alles durch. Ernsthaft. Wohlüberlegt. Dann erklärte ich ihm, dass ich das Ende der Geschichte nicht richtig fand, dass ich in meinem Leben viele Erfahrungen mit übersinnlicher Wahrnehmung gemacht hatte und dass ich der Meinung war, sie sollte nicht als Werkzeug des Terrors verwendet werden und dass John, die Figur, für die er mich wollte, nicht davon getötet, sondern gerettet werden sollte. Ich glaubte, ich hätte gut argumentiert und hörte auf zu reden", erinnerte Sutherland sich später. "Ich dachte erst, die Telefonverbindung wäre abgebrochen. Dann endlich unterbrachen sieben unerbittliche Worte die Stille.
‚Willst du den Film machen oder nicht?’ Ich hielt den Atem an. Sämtliche Lichter gingen aus. Und dann gingen sie alle wieder an. Heller als zuvor. Zum ersten Mal in meinem Arbeitsleben akzeptierte ich im Grunde meines Herzens, dass ein Filmemacher den Film macht und ich dabei sein Gehilfe bin. Er würde mir sagen, was ich zu tun hätte, und ich würde es tun. Ich sagte Ja."

Typisch Roeg: Die Schauplätze und Kulissen wie die Kirchen von Venedig erzählen eine eigene Geschichte

Typisch Roeg: Die Schauplätze und Kulissen wie die Kirchen von Venedig erzählen eine eigene Geschichte

Wenn die Gondeln Trauer tragen ist außerdem wichtig im Roeg-Kanon aufgrund seiner Verwendung von Schauplätzen. Dabei stellt der Regisseur regelmäßig in Frage, wie wir behaupten können, uns selbst zu verstehen, oder die Menschen, die wir lieben, wenn wir uns an den Orten, an denen wir leben, so unwohl fühlen. Der Film ist auch ein grundlegendes Beispiel dafür – ebenso wie der Kommentar des Regisseurs, was die nicht im Drehbuch stehende Liebesszene betrifft – dass das Skript für Roeg lediglich Katalysator ist, etwas, an dem er seine Vorstellungskraft aufhängen kann. "Filme sind nicht Drehbücher – Filme sind Filme; sie sind nicht Bücher, sie sind nicht das Theater. Sie sind eine vollkommen andere Disziplin, die allein für sich existiert. Ich würde sagen, dass die Schönheit dessen darin liegt, dass es nicht wie beim Theater ist; es wird nicht immer wieder neu aufgeführt. Alles entsteht Stück für Stück. Es passieren Dinge, die man niemals noch mal bekommt. Ich verbiete jedem ‚Cut‘ zu sagen, dem Tonmann, dem Kameramann, wem auch immer. Auch wenn sie denken, dass irgendetwas falsch läuft", fährt Roeg fort: "In Wenn die Gondeln Trauer tragen ist eine Szene fälschlicherweise entstanden: Es ist die Szene, in der Donald Sutherland sich auf die Suche nach dem Polizisten macht, der gegen die zwei Frauen ermittelt. Wir hatten einen italienischen Schauspieler, der kein einziges Wort Englisch sprach, nicht mal ‚Hallo‘. Über den Dolmetscher bat ich ihn, ‚Hallo‘ zu sagen, wenn er Donald an die Tür klopfen hörte.
Und ich sah ihn übend über den Set gehen. Als es Zeit für Donald war, an die Tür zu klopfen, sagte der Tonmann dem italienischen Schauspieler – nicht ahnend, dass der kein Englisch sprach – er solle bleiben, wo er war. Donald ging also den Flur entlang, klopfte an die Tür und öffnete sie, um dann in einem leeren Raum mit einem großen Lampenschirm zu stehen. Donald durchsuchte alles und der Tonmann sagte ‚Hallo?‘ und von hinter dem Lampenschirm kam die Antwort ‚Hallo!‘ Es war fantastisch. Weil es ein so bedrohlicher Film war, passte dies perfekt zum Ton – der Polizist wirkte sofort befremdlich."

So viele Eindrücke zu erfassen und zu behalten

Als nächstes schöpfte Roeg wieder aus dem Popstar-Pool und verfilmte Der Mann, der vom Himmel fiel (1976) von Walter Tevis als verschachtelte
und puzzlehafte Fabel über die abstumpfende Wirkung der zeitgenössischen US-Gesellschaft und das destruktive Wesen der Konsumkultur. Während David Bowie als Thomas Jerome Newton die beste Schauspielleistung seiner Karriere abliefert, bietet Roegs englische Perspektive einen einzigartigen Blick auf die ausgedehnte amerikanische Landschaft, der ihre mythischen Eigenschaften sowohl fetischisiert als auch untergräbt. Als visuell schwindelerregende Tour de Force, die ein Narrativ zugunsten thematischer Gegenüberstellungen verwirft, korrespondiert Der Mann, der vom Himmel fiel außerdem mit Roegs Filmografie, was sein Interesse an der Korrelation von Sex und Gewalt sowie seine ständige grafische Darstellung von beidem betrifft.
In dem meisterhaften und anfangs stark geschmähten Black Out – Anatomie einer Leidenschaft (1980), einem der trügerischsten und komplexesten Filme des Regisseurs, wird wie zuvor Venedig nun Wien mit erschreckender Wirkung verwendet. Beschäftigt mit denThemen von Obsession und Psychoanalyse untersucht der Film in Rückblenden die verzehrende Beziehung zweier Amerikaner (Art Garfunkel und Theresa Russell, Roegs spätere Muse und Frau) in der österreichischen Hauptstadt. Roeg hat Black Out als passendes Schlussplädoyer seiner Karriere bezeichnet, glaubte er sich doch immer seiner Zeit voraus statt schlichtweg aus ihr zu stammen.

David Bowie als Mann, der vom Himmel fiel

David Bowie als Mann, der vom Himmel fiel

Von seinem Verleih mit Geringschätzung betrachtet (einer der dortigen Bosse nannten ihn einen "kranken Film von kranken Menschen für kranke Menschen"), wurde Black Out ohne das Rank-Logo veröffentlicht. In der Folge erlebte Roeg eine Schwächung seiner Position als kommerzielle Triebkraft. Die Weigerung des Regisseurs, seine Vision zu verwässern, sich dem Populismus anzubiedern oder "dem Club beizutreten" schränkte seine Möglichkeiten immer wieder ein. Neue Projekte sollten kommen und gehen – oftmals auf Roegs eigenes Drängen hin, gemäß seinem Misstrauen gegenüber Zugeständnissen. Hierbei ist es bemerkenswert, dass eine Filmografie jener Werke, die er in den Anfängen entwickelt hat, bevor er ihnen letztlich den Rücken kehrte, vielfach interessanter ist als die vollständigen Lebensläufe mancher anderer britischer Regisseure. Der Todesschrei (1978), High-Rise (2015), Flash Gordon (1980) und ein Film über den Amateursegler Donald Crowhurst sind nur vier Beispiele.
Eine weitere Komposition, die von ihrem Schöpfer selbst sehr geschätzt wurde,
Eureka (1983), stellt eine Rückkehr zu den kosmischen Belangen von Der Mann, der vom Himmel fiel und den ruchlosen "Geschäftsinteressen" aus Performance dar. Geschrieben von Roegs Standardautor Paul Mayersberg dröselt Eureka die Lebensgeschichte eines Goldgräbers (Gene Hackman) auf, der nach einem immensen Fund im Kanada der 1920er Jahre dazu gezwungen ist, den Rest seines Lebens im luxuriösen Exil zu verbringen, das von den immer bösartigeren Auseinandersetzungen mit Konkurrenten belastet wird, von denen eine Vielzahl enge Familienmitglieder oder deren Sendboten sind. In seinem Umfang und der Darstellung eines Mannes, der zu einem hohen persönlichen Preis zu gigantischem Reichtum kommt, ist der Film vergleichbar mit Citizen Kane (1941). Zugleich beschwört er mit seinem ökologischen Anliegen und der Bestrafung derer, die die Reichtümer der Erde für ihre persönliche Bereicherung geplündert haben, auch Roegs Mitdenker im Geiste John Boorman. Stellenweise extrem und unangenehm brutal wurde auch Eureka wieder öffentlich von seinem Verleih (MGM/UA) verachtet, der den flüchtigen Kinostart auf Roegs persönliche wie professionelle Kosten sabotierte. "Eureka war ein Kind, das geboren wurde, ohne dass seine Eltern es gewollt hätten. Die Eröffnung des Films lieferte die Vorlage für den Anfang von Paul Thomas Andersons There Will Be Blood (2007), gemeinsam mit dem kraftvollen Ausruf der Hauptfigur: "Ich habe nie auch nur einen Nickel mit dem Schweiß eines anderen verdient."

Ein Alien in Menschengestalt und die modernen Medien…

Ein Alien in Menschengestalt und die modernen Medien…

Die Allgemeinheit betrachtete diesen Punkt oft als Beginn eines Qualitätsabfalls in Roegs Œuvre. Es wäre jedoch ein Fehler, die Jahre des Regisseurs nach Eureka als unaufhaltsamen Niedergang zu sehen. Insignificance – Die verflixte Nacht (1985) – eine Betrachtung von Liebe, Hass, Ruhm und Eifersucht – vereint Monroe, Einstein, DiMaggio und McCarthy für eine Reihe intensiver Diskussionen in anonymen Hotelzimmern. Die moderne Fabel auf das Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg demonstriert einmal mehr die einzigartige Herangehensweise des Regisseurs an die Elemente, die uns vereinen, sowie seine natürliche Verbundenheit mit seinen Darstellern Tony Curtis glänzt mit einem späten Karrierewendepunkt.
Nachdem er die Ellipsen ein Stück zurückgeschraubt hatte und vielleicht auch zufrieden damit war, sein Publikum die vorangegangenen zwei Jahrzehnte konstant gefordert zu haben (Roeg behielt sich den höchsten Respekt für seine Zuschauer und ermutigte sie, auf sein Kino zu reagieren, gleich ob diese Reaktion positiv oder negativ ausfallen würde), schlug Roeg mit Castaway – Die Insel (1986) eine massenkompatiblere Richtung ein. Es handelt sich um die amüsante Adaption der Biographie von Lucy Irvine, in der die Hauptfigur auf das Gesuch nach einer Ehefrau für ein Jahr auf einer einsamen Insel antwortet. Darauf folgten rasch ein Segment des Episodenfilms Aria (1987) und das fesselnde Ödipus-Drama Track 29 – Ein gefährliches Spiel (1988) mit Gary Oldman. Das Drehbuch stammte aus der Feder von Dennis Potter, womit Roegs Talent dafür bestätigt wurde, mit den allerbesten britischen Autoren zu arbeiten. Seinen kommerziellen Höhepunkt erreichte Roeg mit dem köstlich düsteren und ganz und gar entzückenden Hexen hexen (1990) nach Roald Dahl. Mit einer unwiderstehlichen Darstellung von Anjelica Huston erinnert der Film mit seinem Glauben, dass ein Kind in einem Horrorfilm in ernsthafte Gefahr geraten sollte, an die Werke von Guillermo del Toro.

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Basierend auf dem Roman von Brian Moore und von seinem Langzeitkollegen Allan Scott in ein Drehbuch adaptiert markierte Kalter Himmel (1991) die letzte Zusammenarbeit des Regisseurs mit Theresa Russell. Auf die ambitionierte übernatürliche Geschichte, die eine originelle Variante des Roegschen Interesses an Glaube und Ehebruch lieferte, folgte der Fernsehfilm Herz in der Finsternis (1993). Die originalgetreue Conrad-Adaption mit Tim Roth, John Malkovich und James Fox ist reif für eine Neuentdeckung. Gebrochen von der britischen Filmindustrie arbeitete Roeg in der Folge im US-Fernsehen an eher belanglosen Auftragsarbeiten, bevor er sich mit Puffball (2007), einer weiteren übernatürlichen Fabel nach einem Roman von Fay Weldon, wieder in vertraute Gewässer begab. Das mutige Unterfangen verdient wohl die meiste Anerkennung dafür, dass es Roeg mit Donald Sutherland wiedervereinte, der lange Jahre ein Unterstützer und Freund gewesen war und sogar einen seiner Söhne Roeg genannt hatte.

Eine intellektuelle aber zutiefst bewegende Meditation

In Anerkennung einer der bedeutendsten kreativen Schaffensphasen des Kinos in den Jahren 1968-1983 (eine Phase, die Parallelen mit David Bowies tonangebender Periode von 1971-1980 aufweist), erhielt Roeg im letzten Jahrzehnt seines Lebens Ehrungen von der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences für seinen Herausragenden Beitrag zum Kino, einen BAFTA Award (ebenfalls für seinen Herausragenden Beitrag) sowie eine BFI-Retrospektive. Und er erlebte mit, wie Wenn die Gondeln Trauer tragen von Time Out zum besten britischen Film aller Zeiten ernannt wurde.
Wie jüngste Nachrufe belegen, ist es eine fast unmögliche Aufgabe, nur einen Film auszuwählen, der als Zeugnis für die Art und Weise steht, wie Roeg die Kinokultur beeinflusst und uns dazu gebracht hat, radikal zu überdenken, wie wir Töne und Bilder verarbeiten. Im Nachgang seines kürzlichen Dahinscheidens zeichnet sich allerdings der generelle Konsens ab, dass Wenn die Gondeln Trauer tragen vielleicht eine Art Höhepunkt in seinem Schaffen und seinem Vermächtnis darstellt. Als intellektuelle, aber auch zutiefst bewegende Meditation über das Wesen der Trauer, der es außerdem gelingt, eine unglaublich beunruhigende Geschichte des Übernatürlichen zu erzählen, markiert der Film jenen Augenblick,in dem sämtliche von Roegs charakteristischen stilistischen und thematischen Obsessionen perfekt verschmolzen waren. Vielfach neu veröffentlicht – ein klares Zeichen seiner bemerkenswerten Langlebigkeit und kritischen wie kommerziellen Aktualität – ist er ein Werk, das dazu bestimmt ist, die Ewigkeit zu überdauern.

Übesetzung: Matthias Pasler

JW

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