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Bild zu Wie der Angriff auf das Bataclan die Musikwelt erschütterte

Wie der Angriff auf das Bataclan die Musikwelt erschütterte

Kürzlich startete der Film "Frieden, Liebe und Death Metal" von Isaki Lacuesta über zwei Überlebende des Terror-Anschlags auf das Konzert der Eagles Of Death Metal in den Kinos. Eine schreckliche Tat, die Musikfans und Livebranche über Jahre beschäftigen sollte. Ein persönlicher Rückblick.

22. Dezember 2022

Den 13. November 2015 verbrachte ich auf einem Festival in Luxemburg unweit der französischen Grenze. Ich schreibe nicht nur für das ARTHAUS Magazin, sondern bin seit Jahren vor allem Musikjournalist. Damals war ich Chefredakteur des INTRO Magazins und sollte beim Sonic Visions Festival in Luxemburg auf einem Panel sprechen. Und tolle Konzerte schauen. So war es gedacht.

Als die ersten Nachrichten von den Anschlägen in Paris am 13. November 2015 die Smartphones erreichten, stand ich gerade mit den Veranstalter:innen des Pariser Festivals "Rock en Seine" zusammen. Man hatte mich und ein paar Kolleg:innen kurz zuvor vorgestellt, weil das Festival auch in Deutschland präsenter sein wollte und wir einen Artikel über drüber schreiben wollten. Plötzlich zog die Bookerin des Festivals ihr Smartphone aus der Tasche. Schaute ungläubig drauf – und hetzte aus dem Raum an die kalte Winterluft. Vielleicht überhöht man solche Momente im Rückblick, aber ich habe diesen schockierten Gesichtsausdruck lange nicht vergessen. Wir hörten, wie sie hektisch und weinend telefonierte, sahen wie ein Kollege versuchte zu trösten und erfuhren erst dann nach und nach, was los war: Das Konzert der Eagles Of Death Metal im Pariser Club Bataclan wurde von Terroristen angegriffen. Ein Konzert, das ihr Arbeitgeber veranstaltet hatte. Ein Konzert, das ein Freund von ihr gebucht hatte. In einem Club, der in unmittelbarer Nachbarschaft des Festivalbüros lag. Wenig später schlichen wir alle konsterniert in unsere Hotelzimmer. Sämtliche Feiern und Konzerte wurden abgesagt, die Grenze zu Frankreich wurde geschlossen. Ich verbrachte eine fiebrige Nacht am Smartphone und am Fernseher. "Meine" Branche, die Musik- und Konzertwelt, war schockiert und nervös. Denn zwei Dinge wurde immer deutlicher: Aus Sicht der Terroristen war ein Konzert ein effektives Ziel. Und: Es wäre unmöglich, solche Veranstaltung ausreichend zu schützen.

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Sieben Jahre nach den Angriffen auf das freie Leben in Paris kommen nun die ersten Filme in die Kinos, die sich dieser Nacht widmen. Während Regisseur Cédric Jimenez in November die Jagd der Terrorfahnder*innen nach den Drahtziehern und Tätern der Terrorangriffe in Form eines atemlosen Thrillers inszeniert, war es vor allem Frieden, Liebe und Death Metal von Isaki Lacuesta (hier gibt's ein Interview mit Cast und Regisseur), der mich aus dem Tritt brachte. In dem behutsam inszenierten Drama erzählt er die Geschichte des Pärchens Céline (Noémie Merlant) und Ramón (Nahuel Pérez Biscayart). Der in Barcelona lebende Ramón González schrieb seine Erfahrungen im Buch Frieden, Liebe und Death Metal nieder, dessen Titel Bezug nimmt auf ein Album der Band, die an jenem Abend dort spielte: die Eagles of Death Metal des Sängers und Gitarristen Jesse Hughes. Lacuestas Film trägt nun auch diesen Titel, nachdem er bei der Berlinale erst "Un año, una noche – Ein Jahr, eine Nacht" lief. Als ich den Film bei einer morgendlichen Pressevorführung kurz vor der Berlinale sehen konnte, blieb mir vor allem bei den Szenen im Bataclan der Atem stehen. Sie zeigen nämlich noch einmal das, was alle Fans von Musik und alle Veranstalter:innen in den nächsten Jahren fürchteten – und was drei Jahre später noch einmal bittere Realität wurde, als im Mai 2017 ein islamistischer Selbstmordattentäter ein Konzert von Ariana Grande in Manchester attackierte.

Ich habe die Unruhe, die viele Fans und Veranstalter:innen in den Wochen nach dem Attentat spürten, sehr genau beobachten können. Viele meiner Freunde und Kolleginnen arbeiten in der Livebranche und dort wurden viele Stunden damit verbracht, zu checken, wie man Konzerte und Festivals sicher machen kann, ohne den freien Geist, der diese Shows ja eigentlich ausmacht, zu ersticken. Auch ich als Konzertgänger stand oft vor der Bühne und malte mir im Kopf Horrorszenarien aus, die exakt so aussahen, wie die Club-Szenen in Friede, Liebe und Death Metal. Ich möchte mir gar nicht erst ausmalen, wie sich das für betroffene Menschen anfühlen musste, die überlebten oder gute Freund:innen oder Verwandte bei den Anschlägen verloren haben.

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Es mag ein wenig pathetisch klingen, aber mir haben die Französinnen und Franzosen sehr deutlich vorgelebt, wie man so einen Schock als Gesellschaft überwinden kann. Als ich im Spätsommer 2016 auf dem Festival Rock en Seine in Paris eingeladen war, traf ich wieder auf die Veranstalter:innen, die in der Nacht im Februar von den schockierten Nachrichten getroffen wurden. Sie sprachen noch über den Verlust, waren noch im Trauerprozess, aber sie haben beschlossen, ihr Festival durchzuziehen und der Angst zu trotzen. Die Kontrollen am Einlass waren zwar sehr intensiv und an den Anblick von Polizisten mit Gewehren vor der Hüfte musste man sich auch erst gewöhnen, aber dennoch spürte man das "Jetzt erst recht!", das sich schon zeigte, als die Pariser:innen wenige Tage nach den Anschlägen wieder in die Bars der Viertel gingen, die zum Ziel geworden waren.

Ich glaube, es war schließlich dieser Trotz, der dafür sorgte, dass die Konzertwelt ein gutes Maß für die Sicherheitsvorkehrungen fand und nicht jedes Event zu einem Hochsicherheitstrakt umbauen wollte – was eh finanziell kaum zu leisten gewesen wäre. In diesem Jahr noch einmal Filme darüber zu schauen, hat mich noch einmal zurückgebracht in diese diffuse Angst, die damals auf einigen Konzerten zu spüren war. Trotzdem, würde ich sofort unterschreiben, was Hauptdarstellerin Noémie Merlant mir in einem Interview auf der Berlinale über Frieden, Liebe und Death Metal sagt: "Ich denke, dieser Film war nötig und es ist gut, dass es ihn gibt. Er ist nur ein kleiner Teil eines Trauerprozess, der aber helfen kann, diese schreckliche Tat einzuordnen."

DK

Dazu in unserem Magazin

Bild zu Cast und Regisseur über Frieden, Liebe und Death Metal

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