1. Tragisch aber wahr
The Lobster ist der lustigste und zugleich tragischste Film von Yorgos Lanthimos – weil wir darin unser eigenes Dilemma wiedererkennen, in einer Gesellschaft der Vereinzelung mit der moralischen Pflicht zur Partnersuche geschlagen zu sein. Wem während dieser absurd-komischen Zuspitzung herrschender Realität zwischen Einsamkeit und Zweisamkeit nicht das Handy mit der geöffneten Dating-App aus der Hand fällt, wurde wohl schon längst ins Tier seiner Wahl verwandelt.
2. Das Tier im Menschen
Der Mensch ist sowieso auch nur Tier – und wird am Ort des Geschehens, einem Hotel am Meer, regelrecht auf Paar-Beziehung konditioniert. Die Singles haben 45 Tage Zeit, um eine/n Partner*in zu finden. Während man sich anfangs noch in einem durchgeknallten Lars von Trier-Film wähnt, gibt es bald erstaunlich viel zu lachen.
3. In Sachen Beziehungsstatus
Keine falschen Hoffnungen, das Lachen wird Ihnen im Hals stecken bleiben: Gut allerdings: In den 109 Minuten Laufzeit des Films können einen die eigenen Eltern nicht mit Fragen nach dem Beziehungsstatus nerven. Vorausgesetzt das Handy ist auf stumm geschaltet.
Wer die Wahl hat … © © 2015 Element Pictures, Scarlet Films, Faliro House Productions SA, Haut et Court, Lemming Film, The British Film Institute and Channel Four Television Corporation. All Rights Reserved.
4. Der Satz vom Gegensatz
The Lobster räumt mit ein paar Mythen auf: Gegensätze ziehen sich an? Sie träumen höchstens davon, einander auszuziehen – aber auch das funktioniert selten. Die Suche nach Gemeinsamkeiten wird hier zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Noch so ein fieser Seitenhieb von Lanthimos auf den in neoliberalen Gefilden grassierenden Individualismus, der als i-Tüpfelchen bizarre Lösungen für das Problem der Ich-Bezogenheit parat hält. Allgemein gilt zwar: Das Pärchen-Konzept hat in echt schon für so manche blutige Nase gesorgt. Aber hier wird das mit der blutigen Nase beim Dating schon sehr wörtlich genommen.
5. Butterkeks-Frau und lispelnder Mann
Das Figurenensemble klingt nach Beckett meets Boulevardtheater: "David, kurzsichtige Frau, Frau mit Nasenbluten, Hotelmanagerin, Butterkeks-Frau, Zimmermädchen, herzlose Frau, lispelnder Mann, Anführerin der Singles, Partner der Anführerin, humpelnder Mann". Und diese Kombi aus kargem Existenzialismus und schriller Unterhaltung für die Massen kommt dem Wesen der heutigen Zeit doch verdammt nahe. Man könnte sie gar als grundsätzliches Muster im Werk von Lanthimos identifizieren. Bestes Beispiel: Dogtooth.
6. Liebe zum Ensemble
Das Darsteller*innenensemble um Olivia Colman, Colin Farrell, Rachel Weisz, Jessica Barden und Léa Seydoux wiederum klingt einfach nur Oscar-verdächtig. Tatsächlich war The Lobster bei den Academy Awards in der Kategorie 2015 Bestes Originaldrehbuch nominiert. In Cannes wurde er mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.
Einsamkeit ist auch keine Lösung © © 2015 Element Pictures, Scarlet Films, Faliro House Productions SA, Haut et Court, Lemming Film, The British Film Institute and Channel Four Television Corporation. All Rights Reserved.
7. Fragen über Fragen
Woran denken Sie, wenn Sie The Lobster sehen? Vielleicht an den Song "Die Pärchenlüge" von den Lassie Singers mit dem unsterblichen Refrain "Pärchen verpisst euch, keiner vermisst euch!"? Oder an die Seinfeld-Folge "The Contest", in der Jerry, George, Elaine und Kramer darum wetten, wer es am längsten aushält, nicht zu masturbieren? Was auch immer ihnen während des Films in den Sinn kommen mag, kommen Sie vorher bloß nicht auf die Idee, ihn während eines First Dates zu gucken.
8. Die wunderliche Welt der Hummer
David wählt für die mögliche Transformation nach 45 Tagen ohne erfolgreiche Partnerwahl ein Dasein als Hummer. Den wenigsten dürfte bekannt sein, dass sich die Krustentierchen bei der Paarung in ein mehrtätiges Vorspiel vertiefen und einzelne Exemplare über hundert Jahre alt werden können. Sie sterben erst, wenn ihr Panzer zu eng wird und sie quasi von sich selbst erdrückt werden. Man kommt nicht umhin, auch in diesen evolutionären Absonderlichkeiten eine Metapher fürs menschliche Dasein zu suchen.
Der Film als Augenöffner? © © 2015 Element Pictures, Scarlet Films, Faliro House Productions SA, Haut et Court, Lemming Film, The British Film Institute and Channel Four Television Corporation. All Rights Reserved.
9. Mythen in Tüten
Der Mythos der Paarbeziehung wird in The Lobster letztlich doch wieder befeuert – und zwar durch seine radikalen Geger*innen, die im Wald nach genauso strikten Regeln alleine für sich leben, wie es die Beziehungswütigen im Hotel nach ihren rigorosen Vorgaben tun. Dass die einen Jagd auf die anderen machen, ist ein nur ein weiteres Zeichen für die Realitätsverbundenheit von Yorgos Lanthimos. In Zeiten heftiger gesellschaftlicher Grabenkämpfe ist der Traum von wenigstens einem verbündeten Menschen, mit dem man einige Vorstellungen vom Leben teilt, für viele längst nicht ausgeträumt – trotz all der furchtbaren Dinge, die über die Ehe und andere Paarkonstellationen bekannt sind. Was übrigens wirklich gut zusammenpasst: The Lobster und Popcorn.
10. Am Ende des Tunnels
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WF