Al Pacino hat wahrlich kein 08/15-Gesicht. Wer ihn einmal in einem Film gesehen hat – als Michael Corleone in Francis Ford Coppolas Der Pate (1972) oder als Frank Serpico in Sidney Lumets Serpico (1973) – dürfte ihn nicht so schnell vergessen. Doch gerade in der letztgenannten Rolle, die ihm seine erste Oscar-Nominierung für den besten Hauptdarsteller einbrachte oder als Sonny Wortzik im Heist-Drama Hundstage (1975), das Sidney Lumet nach einer haarsträubenden wahren Begebenheit drehte, erinnert Pacino doch leicht an einen Kollegen. Dessen Stern ging 1976 auf. Sie wissen schon… Ausgerechnet als es um ihn selbst nach den erwähnten Riesenerfolgen für kurze Zeit etwas ruhiger wurde. Man muss nicht lange googeln um jede Menge Links zur Ähnlichkeit zwischen Rocky-Darsteller Sylvester Stallone und Al Pacino zu finden. Der Grund dafür liegt sicher nicht nur in den Schlafzimmerblicken der beiden. Vielmehr verkörperten sie mit ihren bekanntesten Figuren – Pacino als unbestechlicher Cop, Stallone als krasser Außenseiter im Boxring – jeweils typische Underdogs. Große Kinder, die sich durch nichts in ihrem Weltbild beirren lassen und es ganz allein mit allen aufnehmen, auch wenn die Schlacht, auf die sie sich eingelassen haben, hoffnungslos verloren scheint.
In Scarface traf sich Al Pacinos noch recht neuer Hang zum Overacting kongenial mit Brian de Palmas unverkennbarer Art des Overdirecting
Optimismus in einer Sackgasse. Dazu die berüchtigte harte Schale über dem weichen Kern. Al Pacinos Darstellungen stecken voller Momente, in denen man mit seinen Charakteren die Faust ballt – und gleichzeitig heulen möchte. So Italian Stallion-mäßig eben. Ziemlich verblüffend allerdings was die Internet-Suche noch so her gibt, wenn man schon mal dabei ist. Fotomontagen "belegen" auffällige Übereinstimmungen zwischen Al Pacino und Paul McCartney oder mit dem Schriftsteller J.D. Salinger. Aber im Gegensatz zu seinen Pendants könnte Al Pacino diese Typen wirklich sein. Und noch viel mehr. So unvergleichlich er ist, so überzeugend kann er ja alles und jeden spielen. Und immer zeigt er dabei diese gelassene Verletzlichkeit. Wie im hier verlinkten Fernsehinterview-Ausschnitt aus dem Jahr 1983, in dem es auch um die Frage geht: Was bedeutet tough?
Es gibt diese Filme, die guckt man auch, weil man plötzlich Lust bekommt, einen Ausflug ins alte New York zu machen. Sagen wir mal William Friedkins French Connection – ohne Pacino aber dafür mit einer der bis heute besten Verfolgungsjagden überhaupt. Oder auch Friedkins abgefahrenen Cop-Movie Cruising, in dem Al Pacino als Undercover-Agent in der Gay Community von NYC nach einem Serienkiller sucht. Das war Anfang der 1980er, als es mit Pacinos Karriere wieder steil bergauf ging. Das hatte er Brian de Palmas Scarface zu verdanken, in dem sein noch recht neuer Hang zum Overacting kongenial auf de Palmas unverkennbare Art des Overdirecting traf. Eine Kombination, die auch 1993 in Carlito`s Way noch mal bestens funktionierte. Dieser Mafia-Thriller, den man ruhig virtuos nennen darf, liegt exakt zwischen zwei Meilensteinen in Al Pacinos Laufbahn.
Ein Jahr vorher hatte er mit Der Duft der Frauen seinen ersten und bislang einzigen Oscar gewonnen. Jener erblindete lebensmüde Lieutenant Colonel Frank Slade, der sich von seinem jungen Betreuer zu einem Wochenendtrip mit Schäferstündchen begleiten lässt, an dessen Ende er sich das Leben nehmen will, war Pacino wie auf den Leib geschneidert. Es kam einem beinahe so vor, als habe das Handicap seines Filmcharakters noch ein paar mehr Fähigkeiten in ihm als Schauspieler freigelegt. So wie man sagt, dass eine bestimmte körperliche Beeinträchtigung andere Sinne zu schärfen vermag. Pacino hatte sich an den Oscar mehr als herangetastet – auch wenn für ihn heute acht folgenlose Academy Award-Nominierungen zu Buche stehen, wobei er natürlich noch fünf Golden Globes und viele weitere Auszeichnungen abräumte.
Robert De Niro und Al Pacino fackeln beide nicht lang
1994 folgte die von vielen lang ersehnte "Reunion" mit einem anderen Hollywood-Star italienischer Abstammung. Zwar waren Al Pacino und Robert De Niro jeweils in Der Pate II (1974) aufgetreten, hatten allerdings bis dato noch nie eine gemeinsame Szene gedreht. Das änderte sich nun mit Michael Manns Heat. 2008 spielte Al Pacino dann wieder Seite an Seite mit de Niro in Kurzer Prozess – Righteous Kill. Das führte ihn, der zwischenzeitlich in Donnie Brasco oder Im Namen des Teufels (jeweils 1997) mit reifen Leistungen glänzte, wieder nach New York. Dort ist er am 25. April 1940 geboren worden und in einer eher rauen Nachbarschaft aufgewachsen. Der Schulabbrecher aus der South Bronx schaffte es zu einem der gefragtesten Charakterdarsteller Hollywoods. Ob zurückhaltend oder exaltiert, mit Charme oder Wut, mit einem unerwarteten Touch Peter Sellers wie in Serpico oder inspiriert vom echten Bankräuber John Woijtowicz, den er an Authentizität quasi spielerisch übertrifft. Eine Figur, die Al Pacino einmal gespielt hat, kann man sich von niemand anderem verkörpert vorstellen (ja nicht mal von der echten Person selbst). Aber Pacino als Rocky Balboa. Das würde man heute noch gerne sehen, oder? Wir gratulieren dem Unverwechselbaren mit dem einzigartigen Augenaufschlag herzlichst zum 80. Geburtstag.
WF