In Jean-Pierre Melvilles Heist-Movie Der Chef - Un Flic aus dem Jahr 1972 spielt Catherine Deneuve ihre vermeintliche Paraderolle: die geheimnisvolle Schönheit Cathy. Allerdings ist sie nicht nur mit so unwiderstehlichen wie undurchschaubaren Blicken in den leicht missglückten Überfall auf eine Bank verwickelt, der eigentlich bloß zur Vorbereitung auf einen größeren Coup dient. Als Krankenschwester verkleidet schleicht sich Cathy ins Hospital und bringt mittels einer tödlichen Injektion den im Schusswechsel verletzten Bankräuber zur Strecke, bevor er singen und die Namen seiner Komplizen ausplaudern kann – glitzernden Schmuck und kostbaren Pelz hat sie zu diesem Anlass gegen eine schneeweiße Uniform eingetauscht. Die reine Unschuld. Dabei steht sie im Leben zwischen zwei Männern, denen sie nichts vormachen kann. Da ist zum einen Gangsterboss Simon, zum anderen der mit ihm gut bekannte und von Alain Delon verkörperte Kommissar Edouard Coleman. Beide sind in Cathy verliebt – ihr Herz scheint die wahre Beute der Konkurrenten zu sein. In der Ménage-à-trois ist sie jedenfalls die unergründliche Femme Fatale – ausgestattet mit den klassischen Waffen der Frau. Die Beziehung zwischen dem Kommissar und ihr bleibt letztlich ein Geheimnis.
Nicht nur mit Blicken in ein Verbrechen verwickelt: Deneuve als Gangsterbraut
Catherine Deneuve, die Geheimnisvolle, galt in Frankreich zunächst als "die kleine Schwester". Sie stammt aus einer Schauspielerfamilie und wurde von ihrer älteren Schwester Françoise Dorléac an die Welt des Films herangeführt. Ihren ersten großen Erfolg feierte sie in Jacques Demys Musicalfilm Die Regenschirme von Cherbourg. Eine tragische Liebesgeschichte, in der die Deneuve ihr gewisses Etwas, von dem sie in jeder der folgenden weit über 100 Rollen wenigstens einen Hauch verströmte, schon vollkommen ausspielen konnte. Diese perfekte Oberfläche, der man nicht über den Weg trauen kann, da sie vor allem die eigenen Untiefen kaschiert. Jeder ihrer Blicke scheint dies zu betonen. Mit Demy verbindet Catherine Deneuve eine weitere positive Erfahrung aber auch eine schreckliche Erinnerung. 1967 brillierte sie in dessen Meisterwerk Die Mädchen von Rochefort an der Seite ihrer Schwester. Unvergesslich die furiosen, gemeinsamen Tanz- und Gesangsszenen von Deneuve und Dorléac. Es sollte jedoch die letzte Gelegenheit für ein Familientreffen auf der Leinwand sein. Françoise Dorléac kam bei einem Autounfall ums Leben – und Catherine Deneuve streifte das Etikett der "kleinen Schwester" allmählich ab.
Geneviève aus Cherbourg gilt heute als Krone ihrer darstellerischen Schöpfung
Während die biedere Geneviève aus Die Regenschirme von Cherbourg bis heute als Krone ihrer Schöpfungen gilt, verwandelte sie sich in den folgenden Jahren auch mal in das Subjekt oder Objekt heftigster Begierde – wie etwa in Buñuels Belle de Jour - Die Schöne des Tages – und wurde zum Gegenstand wilder Spekulationen um ihre sexuelle Ausrichtung, die sie Rollen wie der lesbischen Marie in Zig-Zag zu verdanken hat. Die Dialektik von Unschuld und Untiefe in Catherine Deneuves Erscheinung kam aber bereits zehn Jahre zuvor in Polanskis Ekel zum Vorschein. Dort lernen wir im letzten und absolut unvergesslichen Bild des Films, wie sehr diese Frau ihr Leben lang mit frühesten Rollenzuschreibungen zu kämpfen hat. Vor der Kamera freilich hat sich Catherine Deneuve mit den Jahren freigespielt. Die 1980er und 90er verliefen vielleicht nicht ganz so spektakulär wie die 1960er und 70er, auch wenn sie für anspruchsvolle Produktionen wie Indochine vor der Kamera stand. Aber das neue Jahrtausend begann für sie, wie ihre steile Karriere 36 Jahre zuvor mit einem phantastischen Musical – Lars von Triers Dancer In The Dark.
Unter außergewöhnlichen "8 Frauen" die wohl außergewöhnlichste: Catherine Deneuve
Weitere Triumphe feierte sie in den anspielungs- und facettenreichen Kunststücken des François Ozon. In 8 Frauen mit Referenz an die Untiefen, in Das Schmuckstück mit Blick auf die Oberflächlichkeit. Nicht nur Demy oder Ozon beließen es nicht bei einer einmaligen Zusammenarbeit – wahre Schönheit, die auch den Äußerlichkeiten trotzt, die gemeinhin mit dem Schönheitsbegriff assoziiert werden, benötigt eben Raum und Zeit, um sich zu entfalten. Luis Buñuel drehte ebenfalls ein zweites Mal mit Catherine Deneuve, nämlich das Gesellschaftsdrama Tristana. Ihre große Klasse zeigt sich außerdem darin, dass sie auch in Nebenrollen zu brillieren weiß, ohne alltäglichen Figuren ihren zweifellos vorhandenen Superstar-Appeal überzustülpen. Jüngstes Beispiel ist das Palliativ-Drama In Liebe lassen. Mit 80 ist Catherine Deneuve weiter sehr gefragt und es ist davon auszugehen, dass sie auch in Zukunft stets diejenige bleiben wird, die sie vorgibt zu sein – aber dabei ganz sie selbst. Wir lassen uns gerne von ihr täuschen und in ihren natürlichen Bann ziehen. Ob von der jungen Catherine, die schon durch ihre Reife besticht oder von der gereiften Persönlichkeit, die eine gewisse Jugendlichkeit nie verloren hat.
WF