Die Geschichte der Jean d’Arc liest sich dermaßen phantastisch und abenteuerlich, dass ihre über die Jahrhunderte anhaltende Faszination kaum verwundert. Im 15. Jahrhundert schon taugte die junge Frau samt ihren (politschen) Visionen anderen Frauen als Role Model. Nach dem Tod Jeans auf dem Scheiterhaufen gab es mehrere Nachahmerinnen, die sich als die wahre Jean d’Arc ausgaben. Eine Art der Überidentifiktation vor der Erfindung der Massenmedien.
Ihr Anspruch auf die Standleitung zu Gott galt den meisten Religionsvertetern als Ketzerei, und ihr genderübergreifender Habitus war ein absolutes No-Go.
Der Historienfilm Die Passion der Jungfrau von Orléans (1928) von Carl Theodor Dreyer ist die erste Verfilmung des Lebens des im Nachhinein zur Heiligen erklärten Bauernmädchens, das seine spirituellen Erscheinungen mit den Mächtigen teilte, um den Verlauf des Hundertjährigen Krieges entscheidend zu beeinflussen. Jean machte sich damals nicht nur ganz England zum Feind, da sie sich für einen Sieg Frankreichs ins Zeug warf. Im Grunde war sie dem kompletten Klerus und allen Männern ein Dorn im Auge. Ihr Anspruch auf die Standleitung zu Gott galt den meisten Religionsvertetern als Ketzerei, und ihr genderübergreifender Habitus – wagte sie es doch offenbar, in Männerkleidung durch diese vormoderne Zeit zu schreiten – war ein absolutes No-Go.
Das Rad der Geschichte © Studiocanal
Dreyers Stummfilm war zunächst mit Ton geplant gewesen, jedoch erwies sich dieses Unterfangen als zu teuer. Auch gab es einige Reibungen mit der Zensur. Eine der unzensierten Fassungen fiel dem Feuer zum Opfer, womit sich die Gewalt der Flammen als roter Faden durch die Geschichte der Jean d’Arc zieht, vom Tag ihres Todes auf dem Scheiterhaufen am 30. Mai 1431 bis zur Verfilmung des Mythos durch Otto Preminger im Jahr 1957. Bei den Dreharbeiten zu dessen Die heilige Johanna zog sich die junge Hauptdarstellerin Jean Seberg, die bald darauf als Patricia in Außer Atem von Jean-Luc Godard berühmt werden sollte, bei der Szene auf dem Scheiterhaufen tatsächlich Verbrennungen zu.
In dieser Fußnote der Geschichte verbirgt sich ihre andauernde und bis heute schmerzhafte Nähe zur Wirklichkeit. Eine unter Männerherrschaft aus fadenscheinigen Gründen wie Feenzauber zu einem grausamen Tod verurteilte junge Frau, die wegen ihrer Teilnahme am Krieg als Möderin eingestuft wurde, deren fehlender Status als Soldatin jeden Mann, der während der Kampfhandlungen durch ihre Hand ums Leben kam, zum Mordopfer stilisierte, während man ihre körperliche Jungfräulichkeit akribisch untersucht: Das klingt nach Mittelalter, andererseits ist die gesellschaftliche Stellung von Frauen in einige Teilen der Welt auch heute mehr als prekär und absolute Gleichstellung darf selbst in den aufgeklärtesten Ländern nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden.
Einsame Heldin in einer Männerwelt © Studiocanal
So geht einem dieser grandiose Film mit einer überragenden Maria Falconetti in der Hauptrolle so verdammt nahe, weil er sich auf den Prozess gegen Jean d’ Arc konzentriert. Also dahin geht, wo Machtverhältnisse noch mal besonders wehtun – in die letzte Instanz. Moralisch, juristisch. Der Ort der Verhandlung ist letztlich auch Ursprung der Legende. Dort wurde die Geschichte aufgerollt, in den vorgeblich authentischen Aufzeichnungen des echten Prozesses manifestieren sich die Klugheit und Gewandtheit der Angeklagten sowie die dogmatische Tyrannei ihrer Ankläger. All das spiegelt sich auf beeindruckende Weise in den Gesichtern der Darsteller*innen, ihren Gesten und in der Inszenierung Dreyers, die nahelegt, dass eine weibliche Propehtin zur Geschichte der Menschheit gehören würde, wäre diese nicht über Ewigkeiten allein von Männern geschrieben worden. Später nahm sich bekanntlich auch Luc Besson des Themas an, mit einem quasi-feministischen Schlachtengemälde. 1999 schuf er seinen ausschweifenden Kostümfilm, in dem er drastische Bilder fand für das, was in Dreyers Meisterwerk durch Blicke und zwischen den Zeilen der Texttafeln verhandelt wird. Bessons Johanna von Orleans mit Milla Jovovich als Jean ist ein Spektakel.
Vor zehn Jahren landete der auf seine Art nicht minder spektakuläre Stummfilm Die Passion der Jungfrau von Orléans von Carl Theodor Dreyer übrigens auf Platz neun der Kritiker-Liste der besten Filme aller Zeiten des Sight & Sound-Magazins. Vollkommen zurecht, handelt es sich doch um eine fesselnde Auseinandersetzung mit einer der spannendsten Biografien der Weltgeschichte überhaupt. So unglaublich, dass sie nur wahr sein kann. Schauen Sie Jean tief in die Augen.
WF