Es brauchte erst den Erfolg von Amores Perros, um Guillermo Arriaga hierzulande als Romanautor entdecken zu können. Knapp zwei Jahre später erschien "Der süße Duft des Todes" in Deutschland, allerdings nur in sehr kleiner Auflage. Was schade ist, denn die Geschichte über den Mord an einem jungen Mädchen namens Adela in einem kleinen mexikanischen Dorf entwickelt trotz ihres Krimi-Settings einen Sog und eine Poesie, die man nicht oft in dieser Kombination findet. Es ist zudem ein guter Weg, sich Guillermo Arriaga zu nähern – denn der Titel wirft uns direkt in zwei Schlüsselmomente seines Lebens.
Arriaga wird am 13. März 1958 in Mexiko-Stadt geboren und wächst in einem der ärmsten und gewalttätigsten Viertel der Stadt auf. Schon in jungen Jahren hat er zwei Begegnungen mit dem Tod, die seine Arbeit und seine Geschichten auf Jahre prägen sollten. Als Arriaga zehn ist, wird er auf der Straße in seiner Nachbarschaft mit einem Baseballschläger krankenhausreif geprügelt. "Mein neunjähriger Bruder sprang in eine Pfütze und spritzte aus Versehen ein junges Mädchen nass. Dessen Bruder, der so um die zwanzig war, schlug mir dafür ins Gesicht. Dann nahm er einen Baseballschläger und drosch auf mich ein. Ich sah übel aus. Der letzte Schlag, den ich spürte, bevor ich das Bewusstsein verlor, traf mich ins Genick." Der junge Arriaga glaubte in diesem Moment: Das war’s. Nur wenige Jahre später stürzte er dann in einem Truck von einer Klippe, weil der Fahrer die Kontrolle verloren hatte. Arriaga schlief auf der Rückbank und wurde im freien Fall wach. "Wir fielen ungefähr zehn Meter und ich kann mich noch genau erinnern, wie ich sagte: 'Wir werden sterben.'" Der Wagen überschlug sich viermal, Guillermo Arriaga überlebte, aber der Sturz zertrümmerte seine Nase fast vollständig. Seitdem trägt er eine Rekonstruktion – und hat keinen Geruchssinn mehr.
Es kommt also nicht von ungefähr, dass Arriaga in Der süße Duft des Todes erzählt, wie der Tod eines Menschen das Leben eines ganzen Dorfes beeinflusst, und der anschwellende Verwesungsgeruch wie ein roter Faden durch das Buch weht. Aber so makaber die Geschichte auch klingen mag, sie trägt zugleich eine Liebesgeschichte in sich: Denn Adela hat vor ihrem Tod erzählt, sie sei in den jungen Ramón verliebt, ja sogar mit ihm zusammen, obwohl sie ihn in Wahrheit nur von wenigen Begegnungen kannte. Eine jugendliche Schwärmerei, die plötzlich in den Geschichten der Einwohner und selbst in Ramòns Gedanken zu einer besonderen Form der Liebe heranwächst.
Guillermo Arriaga betont in jedem Interview über seine Arbeit, dass die Liebe die treibende Kraft und das große Oberthema seiner Storys sei, die er oft präzise, in einer kargen, klaren Sprache erzählt. "Jede einzelne Geschichte, die ich geschrieben habe, handelt von Liebe. Das muss nicht unbedingt die romantische Liebe sein – es kann auch die Liebe zu deiner Familie sein, selbst die Liebe zu deinem Hund." So entstand auch der Titel Amores Perros, über dessen Übersetzung ins Englische Arriaga nicht wirklich glücklich war: "Amores Perros bedeutet im Spanischen ein harte, profunde Art der Liebe. Eine Liebe, für die du kämpfen willst. Eine Liebe, die dir an die Kehle packt und dir die Luft abschnürt. Das bedeutet Amores Perros für uns. Love’s a bitch ist eine schlechte Übersetzung davon."
Der erste gemeinsame Film mit Alejandro González Iñárritu entstand über mehrere Jahre hinweg. Die beiden hatten ursprünglich geplant, elf Kurzfilme über das widersprüchliche Leben in Mexiko-Stadt zu schreiben – viele davon inspiriert von realen Begebenheiten. Zum Glück verwarfen sie dieses Vorhaben und konzentrierten sich auf die drei Handlungsstränge in Amores Perros. Drei Jahre brauchten sie dafür. Der Film wurde der erste der sogenannten Trilogía de la muerte, die er und Iñárritu in den nächsten Jahren gemeinsam realisierten. Die Liebe ist in 21 Gramm und Babel ebenso präsent wie der Tod, der der Trilogie den Namen gab. Denn es ist die Dynamik dazwischen, die Guillermo Arriaga interessiert: "Meine gesamte Identität wird durch die Menschen, die ich liebe, definiert. Jedes Mal wenn einer dieser Menschen stirbt, geht ein Teil von mir kaputt oder gar verloren. Ich bin besessen von der Frage, wie dieser Verlust mich im Kern verändert. Aber wir leben in einer Gesellschaft, die die Auseinandersetzung mit dem Tod unterdrückt. Deshalb denke ich, dass es meine Aufgabe als Autor ist, die wichtigen Themen des Lebens zu verhandeln – unter anderem die Vergänglichkeit und den Tod."
Vergänglich ist auch die Zusammenarbeit mit Iñárritu. Noch während der Dreharbeiten zu Babel kommt es zum Streit und Arriaga erhält Zutrittsverbot am Set. Auch bei der Weltpremiere in Cannes wird er nicht eingeladen. In diversen Interviews in den vergangenen Jahren betonte Guillermo Arriaga, dass er nicht mehr mit Iñárritu arbeiten werde. So zum Beispiel im Guardian, wo Arriaga 2009 erklärte: "Alejandro hat das Gentleman’s Agreement, das wir hatten, gebrochen. Wir haben keinen Kontakt mehr. Ja, das ist schade. In kreativen Dingen waren wir auf einer Wellenlänge – das war nicht das Problem. Aber Alejandro und ich hatten völlig verschiedene Ansichten, was die Bedeutung unserer Arbeit angeht." Viel konkreter ging Arriaga nie ins Detail, aber in weiteren Interviews deutete sich an, dass Arriaga darauf gedrängt hatte, in den Filmcredits deutlicher bedacht zu werden. "Wir Autoren erschaffen das Skelett und das Rückgrat einer Story und auch das Blut, das durch ihre Adern fließt. Wir schaffen die Basis, die den ganzen Film trägt. Und wenn die schwach ist, wird alles leblos zusammensacken. Ich wünschte mir, das würde mehr Anerkennung finden."
Nach dem Streit um Babel wechselte Arriaga schließlich selbst ins Regiefach. Das Drehbuch seines Regiedebüts Auf brennender Erde stammt ebenfalls von ihm. Der Film, ein chronologisch verschachteltes Familiendrama mit Charlize Theron und der gerade 18jährigen Jennifer Lawrence, erhielt gemischte Kritiken: Während man Arriaga in Deutschland eine "unvergleichlich souveräne Dramaturgie" attestierte, ätzte das US-Fachblatt "Variety", Arriagas "Spaghetti-Strukturen" könnten nur bei einer guten Regie funktionieren – die er nicht zustande gebracht hätte.
Bei all dem Know-How in Sachen Film darf aber bitte nicht der Romanautor Guillermo Arriaga in Vergessenheit geraten. Gerade jetzt ist eine gute Zeit dafür, ihn zu entdecken, denn der Verlag Klett-Cotta hat Ende letzten Jahres "Der Wilde" in deutscher Übersetzung veröffentlicht: ein verschachtelter, wilder, brutaler, zärtlicher Roman, der in den Straßen von Mexiko-Stadt spielt. Kommt einem das nicht irgendwie bekannt vor?
DK