"Verpiss dich, du verschrumpelter alter Pissbrocken!" Vermutlich hat sich Drehbuchautor Johnny Sweet köstlich amüsiert, als er Beleidigungen wie diese in sein Dokument tippte. Er war es, der bei persönlichen Recherchen auf diese besondere Geschichte zweier sich bekriegender Nachbarinnen und einer Reihe von unflätigen anonymen Briefen stieß, die im England der 20er-Jahre kurz Berühmtheit erlangten. Die fromme, alleinstehende, bei ihren Eltern lebende Edith Swan (Olivia Colman) und die freigeistige, alleinerziehende Mutter Rose Gooding (Jessie Buckley) sind Nachbarinnen, waren sogar kurz befreundet, geraten dann aber im Zuge der Briefaffäre aneinander. Ediths Vater Edward – ein grimmiger Kriegsveteran und patriarchaler Tyrann – behauptet, Rose sei die Verfasserin der Briefe und drängt Edith, sie anzuzeigen. Rose wird verhaftet und befürchtet, das Sorgerecht für ihre Tochter zu verlieren. Der "weibliche Polizist" (so nannte man die ersten Frauen in der englischen Polizei wirklich) Gladys Moss (Anjana Vasan) glaubt jedoch nicht, dass Rose die Briefe schreibt. Gegen den Willen ihrer Vorgesetzten nimmt sie eigene Ermittlungen auf.
Johnny Sweets Drehbuch stand ganz am Anfang der Produktion von Kleine schmutzige Briefe. "Ich erinnere mich, wie es mir heiß und kalt den Rücken runterlief, weil ich nach genau dieser Art von Geschichte Ausschau gehalten hatte. Eine Geschichte, die mir die Möglichkeit gab, etwas zu schreiben, das richtig originell und witzig sein, aber auch eine echte Bedeutung haben würde", sagt Sweet. "Ich denke, dass die Zeit, in der die Geschichte spielt, mit ihren absurden Sittenvorstellungen und Verhaltensregeln, einem erlaubt, einerseits schön albern und aberwitzig zu sein, andererseits aber auch den Finger in die Wunde zu legen, gleichzeitig unerwartet und ordentlich dramatisch zu sein", sagt er. "Die Mischung verschiedener Tonalitäten fand ich besonders reizvoll."
Auch Regisseurin Thea Sharrock erkannte schnell das Potential, anhand dieser kleinen Geschichte von Größerem erzählen zu können. "Es gibt definitiv große Themen in diesem Film, aber diese großen Themen werden nie in den Vordergrund gerückt oder übermäßig betont", sagt Sharrock. "Es wird einem nicht bewusst gesagt: ,Achtung, dies ist ein Film über die Emanzipation der Frauen‘. So etwas denkt man auch nicht, während man den Film sieht, und das ist das Geniale an Jonnys Drehbuch."
Olivia Colman (Edith Swan) am Set mit Regisseurin Thea Sharrock © © STUDIOCANAL / Parisa Taghizadeh
Man muss an dieser Stelle nicht spoilern, wenn man sagt, dass Kleine schmutzige Briefe das ist, was man im Englisch ein "foul-mouthed feeldgood movie" nennen würde. Immer wieder ist es eine große Freude, die Briefe zu hören und ihre Wirkung zu sehen – und man muss es der Synchronisation hoch anrechnen, dass sie den ordinären Witz auch ins Deutsche gerettet hat.
Aber auch das Ensemble treibt einem immer wieder das Grinsen ins Gesicht: Olivia Colman spielt Edith mit einem inneren Brodeln hinter der frommen Fassade, das immer wieder in ihrer Mimik sichtbar wirkt. Jessie Buckleys Rose wiederum ist eine charismatische, wilde, laut fluchende, leidenschaftliche Frau, die das beschauliche Littlehampton immer wieder aufmischt und wahlweise verachtet oder im Stillen bewundert wird. Buckley sagt über Rose: "Sie ist Irin, hat eine Tochter und einen attraktiven Mann. Sie steckt voller Leben, und sie genießt ihr Leben in vollen Zügen, wenn die Zeiten auch noch so schwer sind. Sie liebt es, in den Pub zu gehen, sie liebt es, zu spielen, zu rauchen und zu trinken. Für Edith, die eher wie eine Nonne ist, ist das zutiefst schockierend."
Kate (Lolly Adefope), der "weibliche Polizist" Gladys Moss (Anjana Vasan) und Ann (Joanna Scanlan) versuchen herauszufinden, wer hinter den Briefen steckt. © © STUDIOCANAL / Des Willie
Trotzdem sind die beiden nicht nur Gegenspielerinnen. Die Beziehung ist komplexer und sorgt für einige der ergreifendsten Szenen des Films. Buckley meint: "Diese beiden Frauen fühlen sich von Wesenszügen der jeweils anderen angesprochen, die sie wohl für sich selbst wollen", sagt Buckley. "Es gibt einen Teil von Edith, den Rose erkennt, wie zum Beispiel ihre Zärtlichkeit, und sie für sich selbst will. Aber es gibt auch einen Teil von Rose – ihre Wildheit und Unerhörtheit –, den Edith für sich selbst will."
Kleine schmutzige Briefe zu schauen, wird wohl jedem und jeder den Tag versüßen. Der perfekt getimte, sehr pointiert geschriebene Film treibt einem immer wieder Tränen in die Augen. Mal vor Lachen. Mal vor Rührung. Und er hat großen Spaß daran, die Königsdisziplin der englischen Sprache in all ihrer derben Schönheit auszubreiten: das laute, unter die Gürtellinie zielende, mit "F-Words" gewürzte, derbe Fluchen. Das übrigens hochinfektiös ist. Ein britischer Kritiker schrieb bereits, es sei "a fucking great movie" und auch wir waren kurz versucht, diesen verfickt lustigen Film nicht mit einer verdammt langen, scheißgeilen Empfehlung wie dieser zu versehen, sondern einfach nur auf die Website zu schreiben: "Scheiße nochmal, dieser Film tut gut!" Aber dann hätten Sie vermutlich gedacht: "Wollen die Wichser mich eigentlich verarschen?"
Kleine schmutzige Briefe startet am Donnerstag, dem 28. März in den deutschen Kinos.