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Zum 25. Jubiläum: David Lynch über The Straight Story

Selten hat David Lynch so straight gedreht und erzählt wie in The Straight Story – Eine wahre Geschichte. Am Sonntag feierte der Film sein 25. Jubiläum. Zu diesem Anlass haben wir noch mal zusammengetragen, was David Lynch über die Dreharbeiten sagt.

05. November 2024

"Alwin Straight ist ein Mann, der 1994 einen Ausflug auf einem fahrbaren Rasenmäher unternahm, um seinen Bruder zu besuchen. Ihn macht noch viel mehr aus, aber das ist der Kern unserer Geschichte." So erzählt es David Lynch in einem Interview während der Dreharbeiten von The Straight Story im Herbst 1998 in Wisconsin. Lynch gibt in dem Gespräch, das sich nun im Bonusmaterial der 4K-Edition findet, zu, dass es für ihn "ein außergewöhnlicher Film" sei. Später witzelt er, es sei sein "experimentellster Film". Es ist eine wahre Geschichte, es gibt keine erzählerischen Brüche, keine Traumszenen, keine Schockmomente. Der Film funktioniert wie ein sehr entschleunigtes Roadmovie und wurde von ihm in chronologischer Abfolge gefilmt.

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"Das ist eine komplett andere Welt als die, in der ich sonst arbeite", erklärt Lynch mit Blick auf die Dreharbeiten. "Es ist eine einzigartige Welt. Wir sind hier im Reich der amerikanischen Landwirte und es ist Erntezeit. Auf diese Art zu reisen, auf einem Rasenmäher, durch diese Gegend, bei diesem Wetter – das ist erstaunlich. Die Natur spielt dabei eine große Rolle." Das spüre man auch, wenn man die fertigen Szenen anschaue: "Man beginnt die Geschichte zu fühlen, man fühlt den Handlungsort und die verschiedenen Figuren. Dann ist es eigentlich egal, ob die Geschichte wahr ist. Sie spricht zu einem."

Weil sie aber wirklich wahr ist, spricht diese Geschichte noch ein wenig lauter zu einem. The Straight Story zeichnet den Weg des 1996 verstorbenen Alvin Straight nach, der im Sommer 1994 eine Strecke von rund 400 km zurücklegte, um seinen Bruder Henry zu besuchen. Er und Alvin hatten sich vor über zehn Jahren zerstritten und danach nicht mehr miteinander geredet. Alvin, dessen Gesundheit ebenfalls langsam nachlässt, will Henry, der im Film Lyle heißt, noch einmal besuchen und sich mit ihm vertragen. Alvin ist 73, hat eine Sehschwäche, keinen Führerschein und braucht inzwischen zwei Gehstöcke. Trotzdem sagt er seiner Tochter, er müsse allein reisen – und es auf seine Weise tun. Das bedeutet: Er fährt den ganzen langen Weg mit einem Rasenmäher-Trecker der Marke John Deere – Höchstgeschwindigkeit: 8 km/h. Alvin befestigt einen Anhänger mit Campingausrüstung, Sprit, Nahrung und Kleidung daran und zockelt los. David Lynch erkärt: "Ich habe den Film gedreht, weil ich mich in das Drehbuch verliebt hatte. Mary Sweeney lag mir mit der Geschichte schon seit drei Jahren in den Ohren, seitdem sie darüber in der 'New York Times' gelesen hatte." Sweeney, die damals seine Freundin war, schrieb das Buch schließlich mit ihrem guten Freund John E. Roach.

Zwei Kriegsveteranen unter sich: Was mit einem abendlichen Bier beginnt, wird später zu einem ergreifenden Austausch traumatischer Kriegserinnerungen. © STUDIOCANAL

Zwei Kriegsveteranen unter sich: Was mit einem abendlichen Bier beginnt, wird später zu einem ergreifenden Austausch traumatischer Kriegserinnerungen. © STUDIOCANAL

The Straight Story – Eine wahre Geschichte hätte auch recht kitschig enden können – und tatsächlich schrammen einige Dialoge nur knapp am Kitsch vorbei. Dass sich der Film trotzdem poetisch, warm und weise anfühlt, liegt zum einen an den wundervollen Bildern von Kameramann Freddie Francis, der das Wetter und die Szenerie perfekt eingefangen hat, und zum anderen an Hauptdarsteller Richard Farnsworth. David Lynch sagt über ihn: "Richard Farnsworth zählt zu den außergewöhnlichsten Menschen, die ich kenne. Man findet so vieles bei ihm, das aus dem Tiefsten seines Inneren kommt. So was hatte ich noch nie zuvor gesehen. Er ist eine sehr besondere Person. Er legt Nuancen über Nuancen für jedes Wort und jeden Satz, den er spricht. Es ist wunderbar, sein Gesicht zu sehen." Tatsächlich reicht es oft schon, Alvin bzw. Richard einfach nur anzuschauen: Wie er auf seiner Lippe kaut, wenn er nachdenkt. Wie er zufrieden während der Fahrt nickt, wenn diese ruhig verläuft. Wie er verschmitzt lächelt, wenn Alvin mal wieder sein Verhandlungsgeschick ausspielt und dabei sein Alter und seine Gebrechlichkeit sehr bewusst überbetont, bis man ihm nichts mehr abschlagen mag.

Aber auch hier liegt eine tiefere Wahrheit zugrunde: Richard Farnsworth wusste ebenfalls, dass er bald sterben wird. Er hatte kurz zuvor eine unheilbare Prostata-Krebs-Diagnose erhalten, war erkennbar schwach auf den Beinen (die beiden Gehstöcke brauchte er tatsächlich) und wollte die Rolle erst nicht übernehmen – obwohl er wusste, dass er David Lynchs erste Wahl war. Weil Farnsworth allerdings den echten Alvin Straight verehrte (der bereits 1996 verstorben war), sagte er schließlich zu. Allerdings erst, nachdem er sich versichern ließ, dass der Film nicht voller Schimpfwörter sei. Richard Farnsworth hasste vulgäre Sprache und hatte von Lynch nur Blue Velvet gesehen, wo ja recht viel geflucht wird. Farnsworth beging 1999 – im Jahr des Kinostarts – aufgrund seiner unheilbaren Krebserkrankung Suizid. The Straight Story war außerdem auch für Kameramann Freddie Francis das letzte Hurra – er zog sich nach diesem Meisterstück aus der aktiven Arbeit am Film zurück.

Der fahrbare Rasenmäher der Marke John Deere schaffte maximal acht Kilometer pro Stunde – Alvin Straight war insgesamt sechs Wochen on the road. © STUDIOCANAL

Der fahrbare Rasenmäher der Marke John Deere schaffte maximal acht Kilometer pro Stunde – Alvin Straight war insgesamt sechs Wochen on the road. © STUDIOCANAL

Es tut ungemein gut, The Straight Story – Eine wahre Geschichte heute noch einmal zu sehen. Das in der Jetztzeit so polarisierte Amerika wirkt in diesem Film noch angenehm friedlich. Die Menschen helfen sich gegenseitig, begegnen Alvin mit Neugier, nehmen ihn auf, bewundern seine Sturheit. Auch Alvin inspiriert und hilft den Menschen, die ihm begegnen: der jungen, schwangeren Ausreißerin, den Sportler:innen, die in seiner Gesellschaft merken, dass man sein Leben und seine Gesundheit feiern muss, so lange man es kann. Der Film wiederum feiert die Ältesten der amerikanischen Gesellschaft: Alvin und seine Freunde sind zwar schon ein wenig grau und zerbrechlich, aber im Grunde herzensgut. Wenn Alvin am Ende des Films mit seinem von Harry Dean Stanton gespielten Bruder auf der Veranda sitzt und die beiden wortkarg ihr über zehn Jahre währendes Schweigen brechen, wird man sich die Tränen oder zumindest ein Seufzen kaum verkneifen können. Es braucht für Alvin und seinen Bruder keine Entschuldigungen mehr: Die Tatsache, dass er über mehrere Wochen mit einem Rasenmäher-Trecker über 400 Kilometer zu ihm gefahren ist, sagt eben mehr als tausend Worte.

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DK

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