Ich kann mich erinnern, dass die Story "Cat Person" von Kristen Roupenian (die man hier noch immer lesen kann) 2017 aus dem New Yorker wie ein Lauffeuer durch meine Instagram- und Facebook-Bubble ging. Können Sie sich noch erinnern, wie "Cat Person" in ihr Leben trat?
Natürlich. Die Reaktionen darauf waren ja ebenso euphorisch wie explosiv. Ich las die Story erst, als die Diskussion schon eine Woche lief. Ich wollte mir eine eigene Meinung bilden, weil ich überrascht war, was Kristen da losgetreten hatte. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich beim Lesen völlig in der Geschichte versank, weil sie so emotional und perfekt beobachtet war – und mich danach fragte: Warum wird denn um diese Story so unerbittlich gekämpft? Was gibt es da zu streiten? Warum fühlen sich viele davon getriggert? Und warum sind die Menschen bei dieser Geschichte so verletzt? Warum sind Männer so beleidigt über die Darstellung von Robert, wo wir Frauen doch seit Jahrhunderten in der Männerliteratur Darstellungen unserer selbst und unserer Körper und alles andere ertragen müssen? Ich habe mich gefragt: Was zur Hölle ist das Problem? Warum flippen wir deswegen so aus? Diese Aufregung wurde zu einem Teil der Erzählung, der unausweichlich und relevant war – nämlich für das, was damals in der Welt vor sich ging: "Cat Person" kam im Dezember 2017, seit Oktober 2017 kannte jeder den Hashtag #MeToo. Kristen Roupenians Short Story ist also auch ein sehr explosives Stück in dieser Diskussion. Und dann war da noch die Wut der Leute über die Tatsache, dass der New Yorker "Cat Person" veröffentlicht hatte. Viele fragten ernsthaft: Warum ist die Geschichte dieser jungen Frau es wert, im New Yorker veröffentlicht zu werden? Was ja auch ein Licht auf den immer noch sehr realen Sexismus in der literarischen Welt wirft.
Wir haben in unserem Magazin in einem früheren Artikel die Geschichte hinter der Kurzgeschichte erzählt und da fiel mir noch einmal auf, wie viele geradezu verärgerte Kritiken Kristen Roupenians erste Short-Story-Sammlung später bekommen hat. Oft von männlichen Rezensenten. Obwohl sie sehr gut war.
Definitiv. Für mich fühlte es sich deshalb ein wenig so an, als hätte sie mir den Staffelstab überreicht. Kristen wurde richtiggehend ins Visier genommen, als die Story rauskam. Sie wurde mit Sexismus und Hass überschüttet. Das wollte sie sich bei der Verfilmung ein zweites Mal ersparen. Deshalb hat Michelle Ashford das Drehbuch geschrieben und ich habe Regie geführt.
Nachdem ich Ihren Film gesehen habe, hatte ich das Gefühl, sie hatten einen diabolischen Spaß daran, mit ihrem Film jene Leute zu triggern, die von "Cat Person" getriggert wurden.
Mir war klar, dass ich einen Film wollte, den nicht alle gut finden werden. Einen, zu dem man verschiedene Meinungen haben kann und der gegensätzliche Emotionen auslöst. Aber wir sollten nicht immer triggern sagen. Das ist glaube ich das falsche Wort. Ich wollte provozieren – auf eine Weise, die man nicht sofort greifen kann und die eine eigene Dynamik entwickelt. Die Menschen wollen über die Nuancen von Sex und Dating reden. Das ist ein Fakt. Sie wollen nicht nur über böse Männer oder böse Frauen reden. Sie wollen auch die Zwischentöne diskutieren, weil sie der Erfahrungen vieler prägen. Wir brauchen mehr Geschichten, die nicht nur von weiblichen Opfern reden und sagen, dass alle Männer schlecht sind. Wir brauchen Geschichten über die wirklich komplizierten Grautöne, die ja nun mal existieren. Es wäre schön, wenn Konsens immer auf ein "Ja" oder "Nein" beruht, aber im wahren Leben gibt es viele Geschichten von Frauen, die erst "Ja" sagen, und es dann bereuen. Oder von Männern, die nicht verstehen, dass es nach einer Zustimmung auch deutliche Anzeichen geben kann, dass sich das "Ja" nicht mehr gut anfühlt. Dabei geht es mir gar nicht um Schuldzuweisungen. Ich will mit Cat Person zeigen, wie falsch es auf vielen Ebenen laufen kann. Weil viele Menschen das in anderen Nuancen erlebt haben – und sich nach dem Film vielleicht eher trauen, mal darüber zu sprechen.
Susanna Fogel am Set © Hopper Stones SMPSP
Das Ende der Kurzgeschichte kommt schon ungefähr nach einer Stunde im Film. Margot sitzt da mit ihrer besten Freundin Taylor auf dem Bett und die beiden lesen einen sexistischen Rant von Robert in Echtzeit. Er endet mit den Worten "Bitch". Ihr Film dreht danach noch einmal richtig auf – und ist dann vollends auf eigenem erzählerischem Terrain. Warum diese Entscheidung?
Das war die Idee von Drehbuchautorin Michelle Ashford, aber auch das, was mich an dem Film gereizt hat. Die Short Story wird nur aus Margots Perspektive erzählt. Man muss also eh schon genau überlegen, wer dieser Robert ist, wie er sich verhält, wie er spricht und was man von ihm zeigt. Wenn Margot Angst hat, zeigt der Film, was das mit ihrer Wahrnehmung macht. Wir kippen plötzlich in einen Horror-Film, bis sich die Situation entschärft – oder auch nicht. Mit Robert hatten wir die Chance, etwas ähnliches zu machen. Er und all diese Männer, die Kristen für "Cat Person" hassten, fühlten sich als Opfer und wurden aggressiv. Wir hatten also die Chance, hier einen Blick auf die männliche Psyche zu werfen. Wir wollten Robert die Möglichkeit geben, das zu sagen und zu tun, was viele Männer in diesem Zustand loswerden wollen. Und auch wenn vieles davon unverzeihbar ist, gibt es glaube ich anderen Männer die Chance, sich mit Robert zu identifizieren, weil wir ihn eben nicht bloß als einen Täter zeigen.
Und das führte dann zu der Idee, das Finale so herrlich eskalieren zu lassen?
Wie gesagt: Das war Michelle! Aber ich liebs. Wir wollten eben eine entscheidende Frage mehr stellen. Die Story endet mit diesen toxischen Short Messages und dem Wort "Bitch". Dafür war das ein perfektes Ende. Aber es wirft wichtige Fragen auf. Margot ist eine Frau, die immer wieder das Gefühl hat, in Gefahr zu sein. Was bedeutet es also für sie, dass Robert diese Nachricht schreibt? Heißt es, er ist wütend, aber harmlos, und er schreibt bloß seine Aggressionen auf eine Weise raus, die er sich in der realen Welt nie trauen würde? Ist er ein großer Kerl, der keiner Fliege etwas zuleide tun könnte? Oder wird sich dieses Wutlevel in körperlicher Gewalt niederschlagen? Wissen Sie: Diese Fragen sind etwas, womit sich Frauen ständig auseinandersetzen müssen. Was bedeutet das? Wie soll ich das interpretieren? Ist es männliche Wut oder männliche Verletzlichkeit? Wird es gewalttätig enden, oder sind es nur die Worte einer emotional verletzten Person? Margot geht immer von dem Schlimmsten aus, weil wir Frauen das zu unserer eigenen Sicherheit beigebracht kriegen. Und sie hat eine Fantasie, die ihr gleich die Bilder dazu liefern kann. Um sich dagegen zu wappnen und zu schützen, tut Margot am Ende Dinge, die ihre Situation unendlich verschlimmern. Aber sie versucht in gewisser Weise nur, sich zu retten. Wir wollten dieses Gefühl erforschen, das man als Frau hat, wenn man sich fragt: Bin ich in Gefahr oder bin ich paranoid? Margots Ängste beruhen auf Dingen, die sie in Filmen gesehen, in Büchern gelesen oder in den Nachrichten gehört hat. Das bringt sie dazu, diese extremen Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, die Sie im Film sehen und die dieses Monster in Robert manifestieren. Es ist wie ein gemeinsamer Todesmarsch, der immer weiter und weiter in die Hölle führt.
Emilia Jones als Margot und Nicholas Braun als Robert beim nicht so gut laufenden Kino-Abend. © Studiocanal GmbH
Sie haben vorhin schon gesagt, dass Cat Person manchmal von einer Sekunde zur nächsten zu einem Horrorfilm wird. Wenig später ist man wieder in einer unangenehmen Rom-Com, dann kurz in einem Coming-of-Age-Film und ganz am Ende fast in einem Action-Film oder Thriller. Warum dieses Genre-Springen als Stilmittel?
Das hatten Michelle und ich von Anfang an vor Augen. Wir sprachen darüber, dass Margot selbst oft nicht weiß, in welcher Art Film sie gerade ist. Oder in welchem Genre ihr Leben spielt, seitdem sie Robert kennt. Eine Love Story mit Traumhochzeit? Ein Horrorfilm mit einer dramatischen Beerdigungsszene? Wir wollten Einflüsse verwenden, die Margot selbst eingebracht hätte. Diese Therapie-Szene könnte zum Beispiel direkt aus einer Woody-Allen-Retrospektive stammen, die sie in der Nähe ihrer Uni im Kino gesehen hat. Der Anfang ist sehr surreal, weil natürlich auch Margot als junge Studentin aus gebildetem Hause sicher mal Kubriks Shining gesehen hat. Meine Inspiration für diese Erzählweise war aber vor allem Parasite von Bong Joon-ho, auch wenn man das nicht auf den ersten Blick sieht. Aber die Art, wie Parasite als Komödie über Klasse und Gesellschaft beginnt und dann zu etwas ganz anderem wird, bei dem man sich am Ende fragt: WTF? Das hat bei mir großen Eindruck hinterlassen.
Cat Person lief schon vor einigen Monaten auf diversen Festivals. Die ersten Rezensionen scheinen einerseits zu bestätigen, dass die Sache mit dem Polarisieren im besten Sinne aufgeht. Aber Sie bestätigen leider auch manchmal, das sich bei Ihnen wiederholt, was Kristen Roupenian passiert ist. Ich habe einige Kritiken gelesen, die geradezu verbissen oder unfair waren. Bei einer hatte ich das Gefühl, der Autor nähme Ihnen übel, dass sie sich in der Kino-Date-Szene auch ein wenig über Kritiker oder Filmfans lustig machen, die vor allem Filme von Frauen hart kritisieren, selbst aber einige sogenannte Meisterwerke hochhalten, die auch viele Fehler haben. Wie sehen Sie das? Oder so gefragt: Wie viele Roberts sind Ihnen in ihrem Berufsleben als Regisseurin und Drehbuchautorin begegnet?
Hunderte. Die Reaktionen auf meinen Film haben für mich eine Metaebene. Sie zeigen, dass es immer noch Sexismus gibt. Nicht, weil jeder meinen Film mögen muss – ich freue mich über jeden fundierten Verriss. Sondern weil einige der Kritiken Margots Perspektive abwerten. Sie sagen: "Dieser Film hat viele Zwischentöne, deshalb mag ich ihn nicht. Es geht nicht darum, irgendetwas über Margots Psychologie zu erfahren. Es wird nur gesagt, dass sie sich entscheiden muss, was sie denken will." Und ich sage: "Nein, das muss sie nicht. Der Film handelt davon, wie sie versucht, genau das herauszufinden." Kritikerinnen haben das bisher immer verstanden, Kritiker nicht. Das soll aber nicht heißen, dass nicht einige Männer den Film lieben und einige Frauen ihn nicht hassen, denn das tun sie. Aber es ist einfach so: Für mich haben sich einige der männlichen Kritiken angefühlt, als kämen sie von solchen Roberts. Es sind dieselben Männer, die gesagt haben: "Ich hasse die Geschichte im New Yorker. Das ist keine Literatur." Oder es sind Männer, die es nicht ertragen, dass wir uns über Roberts Wohlstandsbauch lustig machen. Und ich denke dann: "Oh, wirklich? Hast du mal einen Roman von John Updike gelesen? Da geht es manchmal nur um die körperlichen Mängel. Oder all die anderen Bücher in eurem Kanon? Da geht es ebenso oft um die Schwächen der Frauen und ihre Erbärmlichkeit. Über das Gesamtwerkt von Milan Kundera brauche wir gar nicht erst reden." Sie wissen schon, was ich meine. Das sind aber die Extrembeispiele unter den Rezensionen. Manchmal spürt man auch die männliche Sensibilität. Es gibt viele Männer, die den Film und meine kreativen Entscheidungen als Regisseurin wirklich verstehen. Aber andere sind geblendet von ihrem Gefühl, als Mann ungerecht behandelt worden zu sein. Manchmal kompensieren sie das mit einer Besessenheit, den Film mit der Originalgeschichte zu vergleichen. Sie erwähnen alles, was wir verändert haben – und das ist dann die ganze "Kritik".
Das hätten sie bei Stanley Kubrik und Shining sicher auch getan.
Haha. Bestimmt. Aber noch einmal zur Ihrer Frage: Es ist zwar nicht so, dass ich als weibliche Regisseurin im Moment keine Chancen bekomme. Ich arbeite schon lange in diesem Bereich und viele schätzen meine Arbeit. Aber die Nuancen sind entscheidend: Wie Filme von Frauen in der Filmkultur ankommen. Wie die Kritik ausfällt. Wie bestimmte Leute Frauen behandeln, obwohl sie inzwischen welche als Regisseurinnen einstellen. Meiner Erfahrung nach ist der Sexismus nuancierter. Die Kritik zu The Spy Who Dumped Me, meiner großen Action-Komödie, war auch sehr geschlechtsspezifisch: Die Männer mochten ihn nicht. Die meisten Männer meinten, der Film sei zu gewalttätig für einen Film über Frauen. Und ich habe Kritiken bekommen, die so lauteten: "Diese Action ist zu heftig." Und ich dachte mir so: "Na ja, ich habe den Typen aus Casino Royale für die Action engagiert. Weiß der Kerl, wovon er da gerade spricht?"
Ich habe leider nur noch Zeit für eine letzte Frage: Wie leben Sie damit, dass Sie uns eine der schlimmsten und auf tragische Weise lustigsten Kuss-Szenen der Filmgeschichte beschert haben?
Oh Gott! Manchmal frage ich mich, was wir da angerichtet haben. Mir begegnen ständig Frauen, die mir sagen, sie könnten sich mit dem Film identifizieren – vor allem wegen der Kuss-Szene. Mir rutscht dann immer ein "Oh, toll!" raus – und dann erstarre ich und sage: "Oh Shit, gar nicht toll! Das ist doch schrecklich für dich!"
Daniel Koch